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Brief vom 23. Juni 1699

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


87.


[153]

A mad. Louisse, raugraffin zu Pfaltz, a Franckfort.

St Clou den 23 Juni.
Hertzliebe Louisse, vergangen donnerstag habe ich Eweren lieben brieff vom 9 Juni – 30 May zu recht entpfangen, aber ohnmöglich eher, alß nun, beantworten können; den freitag war ich den gantzen tag auff der jagt, sambstag schrieb ich ahn mein [154] tochter, hatte audientz vom envoyes von Savoye, muste in kirch; den man ist in der octave vom st sacrement, wie mans hir heist, da muß man alle abendt in kirch; hernach bin ich mitt Monsieur spatziren gefahren, habe also nur ahn mein tochter undt madame de Beuveron schreiben können; sontag bin ich nach Paris, habe dort ahn ma tante, die fraw churfürstin von Braunsweig, geschrieben, hernach in kirch undt wider her, also auch kein zeit gefunden. Gestern muste ich nach Savoyen undt Lotheringen schreiben, 2 brieff nach Turin, zwey nach Nancie; die handt war mir hernach zu müde, umb mehr zu schreiben, habe es also auff heütte verschoben. Eüch undt Amelisse zu schreiben, incomodirt mich gar nicht; den wie Ihr secht, so nehme ich meine zeit dazu. Dieß bedarff aber keiner dancksagung; den es erstlich recht billig ist, zum andern aber so habe ich Eüch beyde auch lieb, ist mir also selber ein vergnügen, schrifftlich mitt Eüch zu sprechen, weillen ich es leyder nicht mündtlich thun kan. Die graffen von Nassau scheinen gutte kinder zu sein; ich hoffe, sie werden nichts übels hir lehrnen. Ich weiß unßern gutten ehrlichen Teütschen recht danck, nicht in daß abscheüliche laster zu fallen, so hir so sehr im schwang geht, daß es gantz offendtlich ist; man vexirt die junge kerls hir, daß dießer undt jener verliebt von ihm ist, eben wie man in Teütschlandt eine ungeheürahte jungfer vexirt. Waß noch mehr ist, die weibsleütte sein in einander verliebt, welches mich noch mehr eckelt, alß alles. Man kan woll von hir im landt sagen, wie in der heylligen schriefft stehet: Alles fleisch hatt sich verkehret. Es ist mir alß bang, daß man mitt den moden die laster von hir auch wirdt in unßer vatterlandt bringen; den wen die Frantzoßen einen hübschen Teütschen sehen, lauffen sie ihnen so lang nach, alß sie können, umb sie zu ertappen. Ich weiß ihrer viel, so sich nicht haben persuadiren laßen undt mitt ehren davon kommen sein, andere aber seindt ärger worden, alß die Frantzosen selber, undt haben ein solch gotslästerliches leben geführt, daß es nicht außzusprechen ist. Ich muß lachen, daß Ihr glaubt, daß mansleütte sein, so gar keine desbauche haben; daß müßen phenix sein, undt glaube ich, daß die, so Ihr beschuldiget, keine galanterie zu haben, es Eüch mehr undanck wißen würden, alß die, so Ihr beschuldiget, desbauchirt zu sein, oder die Teütschen müßen sehr different von den Frantzoßen sein; den sie halten sichs vor eine rechte ehr, [155] desbauchirt zu sein; undt wer sich piquiren solte, seine fraw allein zu lieben, würde vor ein sot passiren undt würde von jederman verspot undt veracht werden; so ist es hir beschaffen. Ich dancke Eüch sehr, liebe Louisse, vor die gutte wünsche, so Ihr meiner dochter thut. Meine reiß nach Bar ist gar unsicher; den man fengt ahn, zu sagen, daß es viel kosten würde undt unnöhtige kosten sein; zweiffle also sehr, daß man mich hin wirdt laßen, ob ich es zwar sehr wünschte. Vergangenen freitag bekamme ich ein schreiben von unßerer hertzogin von Hannover von Modene. I. L. sagten mir aber nicht, daß ihre fraw tochter niederkommen seye, kan es also schwerlich glauben. Wie man mir der römischen königin ihr schwangersein beschreibt, so ist große aparentz, daß I. M. einen printzen bekommen werden. Ich glaube nicht, wie ich Eüch schon gesagt, liebe Louisse, das Ihr vernehmen werdet, daß ich zu Bar werde sein; den meine reiße ist gar unsicher. Waß Ihr mir sagt, worumb Ihr fro seit, wen ich Euch nicht sehen werde, daß heist man auff gutt frantzösch vne fausse humilité; den ich sehe woll auß Ewere brieffe, daß Ihr verstandt habt undt nicht abgeschmackt seydt. Waß aber ahnbelangt, daß es Eüch schmertzen solte, mich wider zu verlaßen, so deücht mich aber, daß, wen man einander wider sicht undt dadurch keine unmöglichkeit findt, einander zu sehen, so kan man getröster von einander scheyden, weill die hoffnung, einander wider zu sehen, die trawerigkeit mindert. Es ist woll war, daß wenig freüden in der welt volkommen sein, die unglücke aber seindt gar volkommen. Ma tante ihr unglück, ihre gutte freündin, die fürstin von Ostfrießlandt, verlohren zu haben, habe ich gleich 8 tag hernach erfahren undt bin recht drüber erschrocken; den ich mir leicht einbilden kan, wie dißer todt all I. L. unglück undt betrübtnuß wirdt vernewet haben. Die hertzogin von Eyßenach ist woll zu beklagen, aber wen man einmahl ins trawern kompt, kan man nicht wider herauß kommen; ich habe es leyder nur zu sehr experimentirt. Nichts in der welt endert mehr den humor undt macht melancolischer; man wirdt nie trawerig, umb etwaß damitt außzurichten, sondern nur, weillen man es nicht endern kan; daß man selber sterblich ist, ist gar nicht tröstlich. Ich habe vor etliche jahren eine alte dame hir gekent, so madame de Fiene hieß, die war gar natürlich. Einmahl starb jemandes von ihrer kundtschafft, madame de Fiene weinte [156] bitlich. Jemandes sagte zu sie: Il n’a pas paru, que vous ayes tant aimes cette personne, qui vient de mourir, pandant sa vié, pour la tant pleurer pressentement, qu’elle est morte. Madame de Fiene andtwortete: Mon dieu, que tu est sot, de creire, que je pleure cette personne! Ce n’est pas elle que je pleure, mais bien moy mesme, puis qu’il faut, que je meure aussi bien qu’elle, et sa mort m’en fait souvenir. Hirauß secht Ihr woll, liebe Louisse, daß wenig leütte den todt vor einen trost halten können. Mich deücht, es were beßer, daß ich Eüch jetzt deß herrn Ludolff buch zahlte undt hernach die überigen auch zu ihrer zeit. Es wundert mich, daß man sein contrefait nicht hatt in sein buch eingebunden; den das were billig. Wir haben nun nichts neües hir. Man spricht jetzt von nichts, alß von deß conseilliers fraw, so ihr man hatt assassiniren lassen, wie standthafftig die den todt außgestanden, aber jämmerlich ist gerichtet worden; den der hencker hatt ihr 5 oder 6 mahl in den kopff gehawen, ehe er ihr den kopff hatt abbringen können; es ist eine solche menge leütte geweßen, so die execution haben sehen wollen, daß man die fenster 50 Louis d’or geheüret hatt. Sie hieß madame Ticket; sie hatte sich ihre geburt stellen laßen undt man hatte ihr gesagt undt geprophezeyet, daß, wen sie sich nur vor eine manshandt hüttete, so ihr eygenen nahmen führt, so würde sie unerhört lang leben undt glücklich sein; sie hieße mitt ihrem zunahmen Carlier undt es findt sich just, daß der hencker, so sie gericht, denselben nahmen hatt; daß ist doch etwaß remarquables. Man rufft mich zur taffel. Adieu, liebe Louisse! Ich werde vor dießmahl nicht mehr sagen, alß daß ich Eüch allezeit von hertzen lieb behalte.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 23. Juni 1699 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 1 (1867), S. 153–156
Onlinetext URL: http://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d01b0087.html
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