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Brief vom 23. Dezember 1701

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Amalie Elisabeth zu Pfalz


149.


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Versaille den 23 December 1701.
Hertzliebe Amelisse, vor etlichen tagen habe ich Ewern lieben brieff vom 10 December zu recht entpfangen, will hiemitt geschwindt drauff antwortten, damitt es mir nicht gehen möge wie schon gar offt undt daß ich auff zwey schreiben zugleich antworten müße. Ich hoffe, Ihr werdet nunmehr mein letztes erhalten haben, welches von der taille war, wie Ihr sie gern habt, welche Eüch meinen zustandt berichten werden. Ich lebe all zimblich vergnügt, allein ursach, content zu sein, helt viel in sich, welches allezeit nicht so genau zu examiniren ist. Monsieur de Saint Morice undt nicht Simons, wie Ihr ihn heist, wirdt Eüch gar wenig von mir haben sagen können; den er sicht mich gar selten. Ich muß auch noch den nahmen von dem ort corigiren, wo er hin wirdt, welches nicht Turinge heist, wie Ihr sagt, liebe Amelisse, sondern Turin. Daß gemandt mich ahn eine commedie von Molliere, wo einer allezeit [260] Turin vor Tunis sagt[1], hatt mich also lachen machen. Eines hatt St Maurice recht gesagt, nehmblich das mir der könig viel gnade erweist. Waß meine gutte freündin ahnbelangt, so konte ich sie schon vor meines herrn todt sehen, wen ich wolte; in meiner wehrender kranckheit kame sie nach St Clou undt besuchte mich undt sahe Monsieur auch, also ist diß nichts neües. Sie hilte sich auch nie in einem closter auff, aber wen ich gesundt war, sahe ich sie offt im closter vom Port royal, weillen ich gewondt war, sie dort zu sehen. St Maurice hette Eüch mehr zeittung von deß hertzog von Savoyen fraw mutter verzehlen können, alß von mir; mitt deren ist er vor dießem sehr woll gestanden. Ich glaube nicht, daß, wen unßer könig waß zu negociren hette, daß er dießen Savoyer dazu gebrauchen würden, den I. M. wenig kenen; thut er etwaß, so muß es vor seinen landtsfürsten sein. Die contesse d’Auvergne ist noch nicht todt, aber sie ist noch gar übel; solle nun die wassersucht haben undt man will ihr daß waßer außzepffen; wie diß ablauffen wirdt, werden wir sehen. Sie solle gar gallant im Haag geweßen [sein], hir aber helt sie sich sehr modest. Die warheit zu bekenen, so glaubt jederman, daß es ihr sehr gerewet, den comte d’Auvergne geheüraht zu haben. Wie sie noch gesundt war, ginge er nie ein schritt von ihr. Die, so St Morice kenen, sagen alle, daß er ein großer schwetzer ist; solle auch nicht von vanitet fehlen; ich kene ihn wenig. Mademoiselle Spanheim ist gar ein artig medgen, sowoll von gesicht, alß von taille. Er hatt recht, sie ware sehr a la mode, ging auch mitt großen schmertzen weg. Ich versichere, liebe Louisse, daß diß junge medgen sich gar woll bey alles, waß in Engellandt artig ist, wirdt weißen dörffen. Ihr embrouillirt die marquisse de Richelieu mitt der duchesse; die duchesse ist lengst todt, aber die marquisse ist auff allerhandt weiß abscheülich desbauchirt, legte sich einsmahls hir in monsieur le Dauphins bett, ohne daß er sie drumb gebetten, umb bey ihm zu schlaffen. Wie er in sein cammer kam, sagten die cammerdinner: Monseigneur, vne dame est dans vostre lit, qui vous attand; elle n’a pas voulu ce nomer. Er ging hin, sach wer es war; wie er sahe, daß es die marquisse de Richelieu war, schlieff er bey ihr, sagte es aber andern tags ahn alle menschen. Dieße [261] marquisse ist jetzt in einem closter bey ihrer schwester au Lis nahe bey Fontainebleau. Solte die gräffin von Sintzendorff eine galanterie gehabt haben mitt St Morice, kan es nur sein, umb ihren man zu bezahlen vor alle untrewe, so er ihr hir erwießen; den er solle mitt mans- undt weibspersonnen zu thun gehabt haben; aber ich bin woll Ewerer meinung, daß man den St Maurice ohnmöglich lieb kan haben. Von allerhandt so zu sprechen, ist gar nicht verdrießlich undt macht nicht müde. Wir haben wenig neües hir itzunder hir bey hoff, aber von Paris hört man gar wunderliche geschichten. Ein burgersmättgen, so zimblich reich war undt von 14 jahren, wurde von einem jungen menschen ahngeführt undt wurde schwanger. Sie war schlaue genung, die sach zu verhehlen undt heimblich niederzukommen, bekam einen sohn; den trug sie gleich aux enfants trouves, alß wens ihr kindt nicht wer, zeichnete es aber, umb es mitt der zeit wider zu kenen können. Ein par jahr hatte sie große sorg vor daß kindt undt gab ihm alles, waß ihm nöhtig war. In der zeit wirdt ein reicher kauffman von Paris verliebt von diß mensch undt heüraht sie. Sie, die, wie schon gesagt, schlau war, dachte, daß, wen sie aux enfants trouves gehen solte, daß es ihrem man einen argwohn geben mögte, insonderheit wen sie gelt hintrüge, resolvirt sich auff einen stutz, nicht mehr hinzugehen. Sie lebt so 20 jahr mitt ihrem man, welcher ihr all sein gutt gibt undt stirbt. Sie hatte eine große inclination vor ihres mans erster ladenknecht; er hatte sie auch lieb; sie heüraht ihn dießen sommer. Wie ihr man außgezogen bey ihr war, wirdt sie auff einmahl gewahr, daß er daß zeichen ahm leib hatt, so sie ihrem sohn gemacht. Sie erschrickt, lest sich aber nichts mercken, leüfft aux enfant trouves undt fragt, wo der jung hinkommen seye, so sie zu ihnen gethan. Sie sagen, er hette inclination gehabt, wie er ahnfangen, groß zu werden, umb ein kauffman zu werden; er hette daß weßen gelehrnt undt were in dem laden von einen reichen kauffman gangen, nenten ihr darauff ihren ersten man. Da konte die fraw nicht mehr zweyfflen, daß ihr zweyter man nicht ihr sohn were. Sie lieff gleich zu ihrem beichtsvatter undt gestundt ihm den gantzen handel. Der beichtsvatter sagte, sie solte die sach heimblich halten, nicht mehr bey ihrem man schlaffen, biß die sach in der Sorbonne vorgetragen würde sein. Man weiß noch eygendtlich nicht, waß die Sorbonne drüber ordonirt hatt; erfahre ich es, [262] werde ichs Eüch [schreiben]. Es seindt vor 8 tagen noch 2 dolle historien zu Paris vorgangen. Ein jalousser man hatt sein weib auffgepast, undt wie sie mitt ihrem galand ahn taffel war, ist der man kommen undt hatt erstlich sein weib erstechen wollen; sein degen ist aber in die kohlpfan kommen, so vor ihr stundt undt zerbrochen; den amant aber undt confidenten hatt er mitt einem poignart erstochen. Die 3te historie were zu lang zu beschreiben. Adieu, liebe Amelisse! Ich ambrassire Eüch undt Louisse von hertzen undt behalte Eüch allezeit recht lieb.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 23. Dezember 1701 von Elisabeth Charlotte an Amalie Elisabeth zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 1 (1867), S. 259–262
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d01b0149.html
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