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Brief vom 27. Juli 1702

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


178.


[301]
Marly den 27 Julli 1702.
Hertzliebe Louisse, gestern wie ich eben von Versaille weg bin, habe ich Ewer schreiben vom 20 dießs monts zu recht entpfangen. Es were woll etwaß frembts, wen ich nicht part in den verlust von Carl Moritz genohmen hette, der mir ja nahe genung war, umb mich seines verlust zu hertzen gehen laßen, undt darnach auch so ist es mir leydt umb Eüch undt Amellise geweßen. Carl Moritz war desto beßer zu entschuldigen über der schwachheit, so er gehabt, so ihm sein leben gekost, daß es seine schuldt nicht war [302] undt die abgeschmackte Gregu, so ihn erzogen, ihn in diß unglück gestürtzt hatt undt er selber nicht; kan doch leicht begreiffen, wie es Eüch zu hertzen gangen ist; den ob ich ihn zwar nie nicht gesehen noch gekendt, so ist es mir doch zu hertzen gangen, daß er bey dem churfürsten von Braunsweig nichts gethan, alß sich vol sauffen undt bouffoniren, welches einen graffen von seiner geburt gar nicht zukam. Solche sachen, so auß keiner boßheit geschehen, vergibt unßer herrgott ehr, alß die welt; habt also groß recht gehabt, Ewer bestes gethan zu haben, im dießes abzugewehnen. Ich habe ihm auch etlichmahl meine meinung teütsch herauß geschrieben, wie Ihr woll wist, aber es war so geschrieben, daß dießes sein todt sein solte; also muste es sein, daß er nichts nach unßern predigen fragen solte. Weillen er sich selber die mühe nicht geben wolte, vor seine affaire zu sorgen, konte er nicht beßer thun, alß Eüch solche zu übergeben, weillen Ihr doch solches woll verstehet.
Marly, donnerstag den 2 Augusti.
Es ist just 8 tag heütte, daß ich, wie Ihr, liebe Louisse, segt, dießen brieff ahngefangen, ohne ihn außzuschreiben können. Ich wardt donnerstag durch vissitten interompirt, freytag führte mich der könig auff die hirschjagt, kamen zu spat von der jagt, umb zu schreiben. Den wie ich mich nun viel zu alt finde, umb den gantzen tag im justaucorp undt peruque zu bleiben, mich also von haubt zu füßen wider anderst ahnkleyde undt ich ordinarie sehr schwitze, so muß ich gar lange zeit haben, mich wider ahnzuldeyden; daß nimbt die zeit zu schreiben weg. Sambstag besuchte ich die königin in Engellandt zu St Germain, kame auch zu spät wider, umb zu schreiben. Sontags wars die Hannover- undt lotteringische post, alwo ich genung zu schreiben habe; montag schrieb ich in Spanien ahn unßere liebe königin undt ahn I. M. fraw mutter, die hertzogin von Savoyen; wir schreiben einander ordinarie sehr lange brieffe. Dinstag hatte ich einen gar betrübten tag; den ich fuhr nach St Clou, die großhertzogin, mein sohn undt seine gemahlin zu besuchen undt meine enckel. Ich war noch nicht wider in dieß hauß gekommen seyder meinem unglück. Es hatt mich also alles wider dran gemandt undt bitterlich weinen machen, hatte abendts so ein starck kopffwehe deßwegen bekommen, daß ich nur ein par wort ahn mein dochter schreiben konte. Gestern habe ich [303] nohtwendiger weiß müßen 5 große brieffe schreiben, also ist mir nur der heütige tag überig blieben, ahn Eüch zu schreiben; komme nun wider, wo ich geblieben war. Es ist leyder nur alzu wahr, daß Ewere bruder wenige jahren gelebt haben. Carllutz macht mich noch die princes von Allen haßen; den hette die ihn nicht so mitt ihrer verfluchten coquetery verfolgt, were er zu Hannover blieben undt nicht umbkommen. Ich habe in meinem leben so manche verlust gethan, so mir zu hertzen gangen, daß ich nur gar zu woll weiß, wie es einem dabey ist. Man meint alß, es seye unßer raisonement, so unß wider zu recht bringt, undt es ist anderst nichts, alß die zeit. Wen man trawerig ist, ist es gar nicht vor den spaß; den wen man es endern könte, thete mans gleich. Es ist etwaß gar abscheülich, gewacksene kinder zu verliehren. Die fraw von Schelm jamert mich recht. Meine dochter macht sich eine rechte freüde in der hoffnung, daß Ihr auff den carnaval zu ihr werdet, sagt, sie wolle Eüch so woll entpfangen, daß Ihr content von ihr sein werdet. Itzunder würde es sich nicht schicken, aber im carnaval wirdt Ewere große trawer vorbey sein, den konte es gar woll geschehen. Mein dochter undt ihr herr seindt noch so kindisch undt kalberisch, daß mir alzeit bang, wen sie schwanger ist. Gott gebe, daß sie unß dießmahl einen buben geben mag! Ich bin nun, gott seye danck, in gar volkommener gesundtheit. Ich gönne es ma tante, der fraw churfürstin zu Braunsweig, so wohl vergnügt zu Lützenburg zu leben. Mich deücht, es geht sehr langsam vor Landau her, dörfften nicht so in sorgen sein, zu baldt fertig zu werden. Man rufft mich zur taffel. Nach der jagt werde ich dießen brieff außschreiben.
Marly, mitwog den 9 Augusti.
Es ist ein frantzösch sprichwort, so sagt: L’homme proposse et dieu disposse. So ist es mir auch gangen. Ich bin abermahl die gantze woche geweßen, ohne zum schreiben gelangen können. Ob ich zwar willens geweßen, nach der jagt vergangenen donnerstag meinen brieff außzuschreiben, so habe ich ohnmöglich dazu gelangen können; die jagt wehrte mehr, alß 2 gantzer stunden, es war halb 7, wie wir widerkammen.[1] Ich habe schon gesagt, wie ich [304] mich wider ahnkleyden muß. Mein boß gedachtnuß hatte es mir vergeßen machen, habe es also hir gantz außgewischt. Gott weiß, ob Ihrs werdt leßen können. Würde erst umb 8 fertig, da muste ich ahn ma tante außschreiben undt auch ahn mein sohn die gutte zeittung, wie monsieur de Vandosme 3000 von des generals Hanibal Visconti troupen geschlagen, welchen man nun hier l’annimal Visconte heist, weillen er sich so braff hatte butzen laßen. So baldt ich außgeschrieben, kammen viel damens zu mir, konte also ferner nichts schreiben. Freitags ginge ich mitt dem könig spatziren undt abendts war die lotheringische post. Sambstag jagten wir den hirsch wider undt die jagt wehrte noch eine halbe stundt lenger, alß letztmahl, war gar schön, benahme mir auch wider die zeit, zu schreiben. Sontags-post schriebe ich 20 bogen (seyten will ich sagen) papir ahn ma tante, die fraw churfürstin, 10 in Lotheringen, 10 wegen ein affaire, 12 ahn meine gutte freündin, war so müde hernach, daß ich nimer schreiben konte. Montag muste ich auff 4 bogen, auff alle seytten geschrieben, ahn madame de Savoye andtworten, ich bekamme vissitten, muste also noch mitt Ewerm brieff einhalten. Gestern wahren wir vor undt nach dem eßen drunten im gartten mitt dem könig, gar schönne statuen placiren zu sehen; sie kosten 100000 francken die beyde. Eine ist die Renomée, die sitzt auff ein geflügelt pferdt, alles ist von einem eintzigen stück weißen marber; daß ander ist ein Mercurius, der sitzt auch auff einem pferdt, man kan nichts schönners sehen. Ich glaube nicht, daß man in der welt einen schönnern garten finden kan, alß dießer hir ist. Ich komme aber auch einmahl wider auff Ewer schreiben, liebe Louisse! Es ist mir leydt, daß unßer hanoverische printzen vor Landaw sein; daß wirdt ma tante lust troubliren undt I. L. in sorgen setzen. Den graff von Vehlen kene ich gar woll; wen seine schwester ihm gleicht, kan sie woll gutt, aber nicht schön sein. Ich bilde mir ein, daß der printz von Saxsen Weißenfelß, so Ihr zu Franckfort gesehen, der ist, so wir lang hir gehabt haben; hatt ein rundt gesicht, blatten lefftzen undt ist gar blundt. Ich wünsche, daß daß Schlangenbaadt Amelise woll bekommen möge. Ich glaube, es wirdt ihr andt thun, ohne Eüch zu sein, den Ihr separirt Eüch selten von einander, wie mich deücht. Ich kan jetzt den nahmen nicht finden von dem man, so Ewers schwager affairen hir in händen hatt; der hatt gleich coupert außgebetten, mir aber durch seine [305] fraw versicherung gethan, daß er es nur Ewerm schwager zum besten außgebetten hatt. Die fraw ist artig, weiß gar woll zu leben undt hatt verstandt. Wegen Caroline kinder bin ich fro, daß Ewer schwager nicht geheüraht ist; den wen er auch heürahten mögte, kan es doch seinen kinder nicht vortheilhafftig sein. Man sagt, die königin Anne ist nun gar gesundt, also nicht, weiß wegen der Engländer humor nicht, ob ich sagen soll zu hoffen, oder zu fürchten ist, daß ma tante baldt in Englandt komme. Wen man woll undt content, thut man woll, keinen andern standt ahnzunehmen. Hette der gutte könig in Poln dieße maxime gefolgt, stöcke er nicht in dem unglück, worinen I. M. nun sein; den man hatt hir zeittung bekommen, daß der könig in Schweden mit 12000 man deß königs in Poln armée im grundt geschlagen, so noch einmahl so starck war. Der könig in Poln solle verwundt undt darneben verlohren sein, daß man nicht weiß, wo I. M. hinkommen sein. Were er hübsch churfürst von Saxsen geblieben, so were ihm diß nicht widerfahren. Lenor sagt hirauff: Wens der geiß zu woll ist, geht sie auff eyß undt bricht ein bein. Hirmitt ist einmahl Ewer erstes schreiben völlig beantwortet. Ich komme jetzt auff daß vom 27 Julli, worauß ich sehen, daß Ihr meine schreiben entpfangen habt. Es ist ohnnöhtig, zu gedencken, welch baadt oder sawerbrunen mir gutt thun könte; den ich bin nicht in einem standt, hin zu gehen können. Mein halß ist nun überall außgeschlagen, ahm nicken auch, biß auff die brust; aber es muß so seinen weg fortgehen undt drauß wehren, waß gott will. Sonsten bin ich doch, gott lob, gesundt undt ist mir nirgendt wehe. Ordinari eßen die magern mehr, alß die fetten. Es ist war, daß gar junge leütte alzeit apetit haben. Chagrin macht nicht allezeit mager, sonst müste ich wie ein spönhöltzel sein. Wen man hertzenleydt undt wider trost dabey hatt, so ersetzt man sich leycht. Glaubt mir, liebe Louisse! wen wir keine andere betrübtnuß hetten, alß unßere sünde, wehren wir gar lustig. Wist Ihr, waß unß betrübt? Wen unßer verhengnuß unß ein unglück über daß ander schickt undt unßer temperement miltzsüchtig ist, so zicht man sich alleß zu hertzen undt wirdt melancolisch. Aber bey unß selber stehts wenig, lustig oder trawerig zu sein. Zum exempel der Lenor temperement ist lustig, dabey hefft die trawerigkeit nicht; die hecks, wen sie zu hauß ist, kan sich auch mitt ihren gutten freünden lustig machen, wen sie will, [306] undt [wenn] sie hir auß freündtschafft vor mich lange weill außstehet, kans sie es doch wider den winter zu hauß ersetzen. Da sitzt sie undt spindt seyden undt lacht über alles, waß ich schreibe. Sie will auch gutt davor sein, daß Ihr keine sünde habt, worüber Ihr Eüch jemahlen betrüben mögt, es seye den, sagt sie, daß Ihr ein wenig von dem darmstättischen hoff von der pietisterey mögt ahngesteckt geworden sein. Auß dießer plaissanterie werdt Ihr sie woll erkenen. Ich habe lachen müßen, daß Ihr sagt, daß der römische könig nachmittags umb 4 die meß gehört; daß kan nicht sein, den man sagt keine nachmittags; es muß daß salut gewest sein. Man sicht woll, daß Ihr die catholische kirchengebrauch nicht wist. Ich habe noch nicht gehört, daß Landaw über seye; jedoch so ist es über 14 tag, daß es über sein solte. Wie kan daß arme Heydelberg der römischen königin nun gefahlen in dem standt, wie es nun ist? Ich kan nicht ohne schmertzen dran dencken. In allen arméen giebt es deserteurs; in Ittallien kommen die deserteurs auß den dänischen troupen mitt fumfftzigen undt hundert. Melac ist gar nicht blessirt worden; er ist ein braver undt gutter soldat, aber greülich cruel. Mich deücht, wie ich schon gesagt, daß die Teütschen ihre belägerungen gar langsam führen. Die Lotheringer seindt ordinarie nicht gar woll gezogene leütte, wundert mich also gar nicht, daß der Nettancourt Eüch nicht gefelt. Varene weiß beßer zu leben undt ist von einem alter, wo er noch die politesse bey hoff gesehen, also nicht wie die junge leütte. Ist man bey rechten königlichen höffen, kan man ohnmöglichen, ohne respect zu manquiren, in manteaus erscheinen, wundert mich also, daß es die königin in Denemarq gelitten. Sie undt ihre damen konten woll so sein, weillen sie reißetten; aber andere, so nicht reißen, solte nicht so erscheinen. Wen man zu Versaille, welches vor die residentz passirt, so ist jederman, so vor den könig undt unß erscheindt, alß in grand habit; aber hir zu Marly undt zu Meudon undt St Clou ist man allezeit en manteau, auch auff den reißen. Ich finde le grand habit viel gemächlicher, alß die manteaus; die kan ich nicht leyden, den es ist ein dopelte kleydung, undt haße die cornetten, wo gar nichts ahngenehmes ahn ist; sie hencken überall ahn. Hirmitt ist Ewer letzter brieff, liebe Louisse, auch gantz vollig beantwort. Ich habe heütte noch 5 große brieff zu schreiben, will Eüch derowegen nichts mehr sagen, alß daß ich [307] Eüch bitte, Amellisse meinetwegen zu ambrassiren, undt seydt beyde versichert, daß ich Eüch allezeit lieb behalte!
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 27. Juli 1702 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 1 (1867), S. 301–307
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d01b0178.html
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Tintenfass