[347]
A mad. Amalie Elisabeth, raugraffin zu Pfaltz, a Franckfort.
Versaille den 29 April 1704.
Hertzliebe Amelisse, vergangen sontag hatte ich zwar Ewern
lieben brieff vom 17 April zu recht entpfangen, allein ich habe
selbigen tag so viel zu thun gehabt mitt dem kirchengehen undt
sonsten viellem schreiben, daß ich ohnmöglich daß Ewerige habe
beantworten können. Seydt Ihr den so einfältig, daß Ihr meint, daß
[die] catholischen keinen rechten grundt des christenthums haben?
Glaubt mir, liebe Amelise! der Christen grundt ist bey allen
christlichen religionen derselbe. Waß den unterschiedt ahnlangt, ist
nur pfaffengezäng, so die ehrliche leütte nie ahngeht; aber waß
unß ahngeht, ist, woll und christlich zu leben, barmhertzig sein
undt unß der charitet undt tugendt befleißen. Darauff solten sich
die herrn prediger befleißen, dießes den Christen einzuprägen undt
nicht nachzugrübellen auff alle punckten, wie sie verstanden
werden; aber daß würde dern herrn autoritet mindern. Drumb legen
sie sich nur auff dießes undt nicht auffs vornehmbste undt
nohtwendigste. Ihr folgt, liebe Amelise, den rechten grundt, also solt Ihr
Eüch nichts weiß machen laßen vom überigen. Ich muß lachen,
daß Ihr Eüch scheütt, frantzösche wortter in Ewere brieffe zu
setzen, da ich ja mein Teütsch schir selber vergeße. Daß kompt mir
alber vor, daß unßere gutte Teütschen alß frantzösch schreiben
wollen, alß wen man nicht auff Teütsch schreiben könte. Ich
fürchte, daß Teütsche wirdt sich endtlich so verliehren, daß es
keine sprache mehr sein wirdt. Daß Eüch daß freüllen von
Ratzamshaussen letzt nicht geschrieben, wundert mich nicht; den sie
ist kranck, hatt wie ein geschwer im kopff, butzt bludt undt materie
undt hatt solche abscheüliche kopffschmertzen, daß sie weder leßen,
schreiben, noch nichts thun kan, wie mir mein dochter schreibt;
den sie, die Ratzamshaussen, hatt mir auch nicht geschrieben, noch
schreiben können. Ich kan mich nicht genung [wundern], wie alles
[348]
in Teütschlandt geendert ist. Mich deücht, es war alles beßer
regullirt zu meiner zeit. Ich würde gar altfranckisch sein, wen ich
in Teütschlandt kommen; den die neüe art von reden würde ich
mühe haben zu lernen. Daß sauffen ist nur gar zu sehr in der
mode unter den jungen weibspersonnen undt von der besten
qualitet, aber genung hirvon. Ich glaube nicht, daß Franckfort gefahr
leydt; allein erdapt man Eüch dortten, so last Eüch gleich
herfahren! Ich verspreche Eüch gutt quartir. Ich habe vor wenig
tagen Ewere sache auff neüe ahn den intendenten vom Elßaß
recomandirt. Ich werde nicht weit logiren von meinem apartement; den
ich komme in daß, so mein herr s. gehabt hatt, welches größer ist,
alß daß meine, welches vor der duchesse de Bourgogne kinder
preparirt wirdt werden. Ich bin fro, daß, die von lotheringischen hoff
kommen, mitt meinen kindern dort zufrieden sein. Die Lenor ist
da bey mir undt bitt mich, ich solle Eüch, liebe Amelis, sagen, sie
bitt Eüch, nicht zu andachtig zu sein; den sie wolle mitt Eüch
auff einen wagen nach himmel fahren. Auß dießen text secht Ihr
woll, daß ihr humor nicht geendert ist. Gutte nacht! Ich muß
ahn mein tochter schreiben, nachdem ich Eüch versichert, daß ich
Euch, liebe Amelisse, allezeit lieb behalte.