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A mad. Louise, raugraffin zu Pfaltz, a Hannover.
Marly den 5 November 1705.
Hertzliebe Louise, Ihr wist all lengst die ursach, warumb ich
Eüch nicht sontags schreiben kan, werde es also nicht widerhollen.
Ich meinte, der margraff von Anspach würde umb die printzes von
Hannover ahngehalten haben; ich wünschte sie aber lieber dem
könig in Schweden. Worumb will die churprintzes nicht glauben,
daß ihr herr bruder die princes von Darmstat heürahten wirdt?
Der printzessinen heüraht wirdt selten auß liebe geschehen,
sondern nur durch raison, undt dazu thut schönheit nichts; tugendt
undt verstandt seindt gutt genung dazu. Daß werdt lenger, alß die
schönheit, welche vergänglich ist undt baldt verschliest, wie wir
noch neülich ahn die schönne Moscowittin gesehen, so nun zu Paris
ist. In Saxsen, habe ich gehört, seindt noch gar schönne
printzessinen. Ich weiß, wie die curprintzes ein pressent von ihrer groß
schwiger fraw mutter bekommen hatt. Es ist war, liebe Louisse,
daß ma tante mir kein wordt von ihrem fall geschriben; weillen
sie aber den von Clef so woll überstanden undt der kopff nicht
blessirt worden, hoffe undt wünsche ich, daß es keine böße
nachfolg haben wirdt; bitte aber, liebe Louise, mir doch fleißig I. L.
zustandt zu berichten. Vor daß sie erschrocken mögen sein, ist
mir nicht [bang]. Ich kene ma tante, sie hatt hertz wie ein
manschmensch
[1], so courage hatt; nichts erschreckt sie leicht. Ich habe sie
einmahl zu Klopenburg auß einem brandt im nachtsrock salviren
sehen, da die flam schon alle seytten in die cammer schlug; sie
wahren grob schwanger undt erschracken gar nicht, lachten nur.
Noch ein ander mahl hatten wir neue pferdt ahn einer calesch, die
gingen mitt unß durch undt rederten den kutscher; oncle sprang
von der calesch undt hilt die pferdt, ma tante war auch damahlen
nicht erschrocken, ob schon große gefahr vorhanden; bin also
sicher, daß der fall I. L. gar nicht erschreckt. Aber wie dießer fall
doch eine commotion verursachen können, hetten I. L. nicht übel
gethan, ein par tag falltranck zu trincken, weillen sie waß im
rücken gefühlt. Der serein ist in Teütschlandt nicht gefährlich, wie
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hir im landt, zu dem so ist es ma tante gewohnt undt die
gewohnheit thut viel bey solchen sachen. Ich habe nicht gern vernohmen,
daß der königin in Preussen freüllen wider zu Hannover sein; den
daß gibt ma tante, der fraw churfürstin, gar zu betrübte
erinnerungen. Es wundert mich nicht, daß daß freüllen Schwartz krank
auß betrübtnuß geworden, daß ihre schwester gantz raßendt worden;
nichts ist betrübter in der welt undt ärger, alß wen sie gestorben
were. Ey, liebe Louisse, glaubt nicht, allemahl die, so viel von
devotion undt gotsfurcht sprechen, seindt die devotesten! In itzigen
zeitten dint es offt nur zu einem deckmantel, viel boßheitten zu
verbergen, undt wie ich Eüch sehe, würdet Ihr hir im landt offt
betrogen werden. Von devotion reden ist nicht nöhtig, wen man
nur christlich lebt. Zu dem so ist die wahre devotion eine gnade
von gott, die er nicht alle menschen gibt; man muß also die mehr
beklagen, alß condemniren, so es nicht haben. Auch kan man gar
woll devot sein undt nicht serieux von seine devotion sprechen; die
wahre devotion sicht man auß den christlichen wercken mehr, alß
auß den wortten. Die freüllen Schwartz, so so betrübt über ihrer
schwester unglück ist, solte suchen, sich von ihrer betrübtnuß zu
distrairen, damitt es ihr nicht wie ihrer schwester gehen mag. Ich
erinere mich deß barons von Heberstein nicht mehr. Mich deücht,
Carl Edewart kam alß gantz allein zu [mir] undt zu meinen
kindern, mitt welchen er den gantzen tag spilte. Adieu, liebe Louisse!
Seindt versichert, daß ich Eüch allezeit von hertzen lieb behalte!