[426]
A mad. Amelie Elisabeth, raugraffin zu Pfaltz, a Paris.[1]
Versaille den 3 December 1705.
Hertzliebe Amelisse, vergangen sambstag habe ich Ewer
schreiben vom 19 November zu recht entpfangen, aber wie Ihr woll wist,
so kan ich ohnmöglich gleich sontags drauff andtwortten. Sagt man
jetzt in Teütschlandt ein bar tagen? Zu meiner zeit sagte man ein
par tagen. Ich bin Eüch sehr verobligirt, vor meine gesundtheit zu
sorgen. Ich bin, gott lob, gar nicht krancklich undt glaube, daß
ich meine gesundtheit erhalte, weillen ich nie nichts brauche undt
weder durch precaution aderlaße noch purgire, wie andere thun, so
nicht gesunder sein, alß ich. Ich halte, daß nun, da die
churprintzes wider beßer undt daß wetter so gar abscheüllich ist, daß der
hoff nun woll wider zu Hannover sein wirdt. Wo seydt Ihr undt
Louisse den gestocken, daß Ihr die weldt so wenig kendt? Mich
deücht, man bedarff eben nicht lang ahn hoff sein, ohne sie baldt
zu kenen; aber wer alle die haßen woldt, so die junge kerls lieben,
würde hir kein 6 menschen lieben können oder auffs wenigst nicht
haßen. Es seindt deren allerhandt gattungen; es seindt, die die
weiber wie den todt haßen undt nichts alß mansleütte lieben
können; andere lieben mäner undt weiber, von denen ist mylord Raby;
andere lieben nur kinder von 10, 11 jahren, andere junge kerls
von 17 biß 25 jahren undt deren seindt ahm meisten; andere
desbauchirten sein, so weder mäner noch weiber lieben undt sich allein
divertiren, deren ist die menge nicht so groß, alß der andern. Es
seindt auch, so mitt allerhandt desbauchiren, vieh undt menschen,
waß ihnen vorkompt. Ich kene einen menschen hir, so sich
berümbt hatt, mitt alles zu thun gehabt haben, biß auff krotten;
seyder ich es weiß, kan ich den kerl ohne abscheü nicht ahnsehen.
Er war in meines herrn s. dinsten undt ein rechter boßer mensch,
hatte gar keinen verstandt. Da segt Ihr, liebe Amelisse, daß die
weldt noch schlimmer ist, alß Ihr nie gemeint habt. Ich muß über
der freüllen Pelnitz einfal doch lachen; den hir seindt wir zu sehr
ahn solche sachen zu hören gewont, umb drüber zu erschrecken;
man lacht nur über solche sachen hir, wie man ordinarie lacht,
[427]
wen man von etwaß eckelhafftigs spricht. Ich habe von hertzen
gelacht, daß Ihr, liebe Amelisse, sagt, daß Ihr noch lieber
heürahten wolt, alß sonsten waß begehen. Nach gottes gesetzt ist es
freylich viel beßer, allein menschlich davon zu gedencken, wie viel
andere thun, so gibt der heüraht mehr ambaras; den es ist vor
sein leben, daß man sich heüraht, die coquetten aber, wen sie
einen müht sein, so nehmen sie einen andern, daß ist ihnen
leichter. Aber wer die tugendt im hertzen hatt, wie Ihr, liebe
Amelisse, kan daß übel nicht begreiffen, welches eine gnade gottes ist.
Adieu! Ich behalte Eüch allezeit von hertzen lieb.