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Brief vom 23. Dezember 1706

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Amalie Elisabeth zu Pfalz


343.


[492]

A mad. Amelie Elisabeth, raugraffin zu Pfaltz, a Hanover.

Versaille den 23 December 1706.
Hertzliebe Amelise, dießen nachmittag habe ich Ewern lieben brieff sambt der zeitung undt daß pietist-büchelgen zu recht entpfangen; dancke vor beydes, habe aber noch der zeit nicht gehabt, eines noch anders zu leßen, habe nur Ewern briff geleßen. Ich sehe gern so waß neües, wirdt mich also divertiren. Ich glaube, Ihr habt Eüch ein wenig in Ewerm datum betrogen; den Ihr datirt vom 14 undt ma tante brieff ist nur vom 12 dadirt undt I. L. haben die gewohnheit nicht, 2 tag vor der post zu schreiben; glaube also, daß Ihr Eüch ein wenig verschrieben habt. Mich deücht, daß die trenung vom hannoverischen hoff gar offt geschicht. Es ist keine unahngenehme ursach, so den churfürsten nach Zel führt. Alle hanerey müßen dem pietisten eine pension machen, weillen er so sehr gegen den ehebruch schreydt. Wen ihm auch nur ein jeder einen thaller geben solte, würde er baldt gar reich werden wegen der menge. Daß er aber gegen dem könig in Preussen geschriben, meritirte woll corection. Der hoff hir ist gar still, doch haben wir vorgestern comedie gehabt, Les Horaces undt L’escole des fames; wegen der fest aber werden keine mehr gespilt werden, alß nach weinachten. Hir ist auch ein art pietisten, so man quietisten heist; sie seindt nicht so schlim, wie die ordinarie pietisten, so in Teütschlandt sein; man hört nicht, daß sie desbeauchirt sein. Der pfarher, so sich so mitt dem nierenbratten mortificirt hatt, meint woll, waß schönnes gethan zu haben, undt ich finde, daß es eine thorheit ist; hette beßer gethan, davon zu eßen undt seiner frawen danck zu wißen, daß sie vor ihm sorgt, undt sie also erfreüdt, daß sie waß gethan, so ihm ahngenehm geweßen; aber wie man im sprichwordt sagt: So viel köpff, so viel sin. Der verstorbene könig von Siam, alß unßer könig ihm sagen ließ, er bette ihn, die christliche catholische religion ahnzunehmen, andtwortete er, er glaube, daß man in allen religionen könte seelig werden, undt gott liebe nichts mehr, alß die verenderung; drumb gleiche sich nichts in der welt, jede grüne blätter wehrn different undt daß also [493] unßer herr auff unterschiedliche maniren wolle ahngebett sein; drumb muste unßer könig fortfahren, gott dem allmachtigen auff seine weiß, wie er es gelehrnt, zu dinnen, er aber wolle gott auff seine manir loben undt dinnen, undt wen es gottes wille sein solte, daß er ihm anderst dinnen solte, würde er es ihm schon ins hertz geben. Ich finde, daß er hirin nicht unrecht hatte. Hiemitt ist Ewer lieber brieff vollig beantwortet. Ich glaube, daß noch eine gutte zeit dahin ist, ehe der jüngste tag kommen; wir haben den Antechrist noch nicht gesehen. Ehe er kompt, werde ich Eüch noch offt versichern könen, daß ich Eüch recht lieb habe, liebe Amelise!
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 23. Dezember 1706 von Elisabeth Charlotte an Amalie Elisabeth zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 1 (1867), S. 492–493
Onlinetext URL: http://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d01b0343.html
Änderungsstand:
Tintenfass