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Brief vom 1. Dezember 1708

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Amalie Elisabeth zu Pfalz


398.


[061]
Versaille den 1 November[1] 1708.
Hertzliebe Amelise, vor 2 tagen habe ich Ewern lieben brieff vom 20 Novembris zu recht erhalten, undt ob ich zwar heütte sehr viel zu thun habe, indem wir wider von Marly kommen sein undt heütte der erste December ist, erstlich muß man sich wider einrüsten, zum andern so ist es der tag, in welchem sich die schuldner einfinden undt daß man gelt zehlen muß, habe schon 150 pistollen gezehlt, aber ein schelm helt sein wordt nicht, also muß ich Eüch ja heütte schreiben. Den ich habe ja versprochen, keine woche mehr vorbey zu gehen laßen, ohne zu schreiben, undt so viel mir möglich sein wirdt, werde ich mein wordt halten, insonderheit da ich nun sehe, daß unßer commerse so woll undt richtig geht undt Ihr meine brieffe so woll entpfangt. Ich muß gestehen, daß ma tante husten mich in großen sorgen gesetzt hatte. Gott seye ewig lob undt danck, daß es so woll abgeloffen ist undt unßere liebe churfürstin wider gantz woll ist! Ein hohes alter ambitionire ich gar nicht, liebe Amelisse, ergebe mich doch in gottes willen, aber es were mir leydt, alt zu werden; den ein großes alter ist nur ellendt undt schmertzen. Wir haben die gantze reiß von Marly ein gar samfftes frühlingswetter gehabt, heütte aber fengt es ahn, zu friren. Monsieur le Dauphin hatt remarquirt, daß, wens vor Martini starck frirt, hatt man keinen starcken noch rauhen winter. Deß herrn Linenschlos nahmen erinere ich mich woll; der sohn ist den professer worden, wie der vatter zu meiner zeit war. Der Mige[2] ist woll deßen sohn auch, so ich gekent habe, undt gewiß der schonne Amelie bruder; sein vatter war fitzecantzler. Den Lintz kene ich, aber ich erinnere mich perfect deß schelmen, deß Seyller. Er war daß jahr, da der frieden zu Reissewick geschloßen, [062] hir, hatt aber nie zu mir gewolt, ob er zwar envoyes vom keyßer hir war. Ich begegent ihn ungefehr in der promenade vom canal; Seyller wurde so bleich, daß man ihn wegführen muste; hatt hundert lügen hir gesagt, er were mitt mir erzogen worden, den er were mein bruder von der lincken seytten. Er ist nicht geendert, habe ihn gleich gekendt. Er hatt nie in der comedie von Sejanus[3] gespilt, aber woll im Pastor fido;[4] da war er Ergasto, des Mirtil confident; der Fucks, der biblioteckarius, war Sejanus,[5] Schütz Tiberius, mein bruder Macro undt Drusus, Clos Agripine, graff von Wittgenstein Nero, graff von Bentheim Drussus, undt weiß nicht mehr, wer Calicula war. Mich deücht, ich sehe es noch spillen. Der kleine Paul war Arontzius, Sacharies der vorsinger Laziaris, Munchinger, der cammerpage, war Silius. Fücks kam mitt I. G. mein fraw mutter nach Bockenheim. So baldt ich ihn sahe, rieffe ich: Die götter bewahren den großmachtigsten Sejanus! Da fing er gleich ahn, zu spillen. Die gutte churfürstin, so nicht wuste, waß es war, meinte, der mensch wäre närisch worden;[6] ich lachte woll von hertzen drüber. Wo mir recht ist, so war der Glöder auch von der comedie von Sejanus undt damahlen in der sapientz. Abijarius[7] kene ich gar nicht. Tobias Metzler habe ich gekendt, aber er war kein dockter. Ohne ruhm zu melden, so war mehr politesse ahn unßerm hoff, alß bey dem jetzigen hoff. Nichts von den alten zeitten kompt mir nie nichts albers vor undt thut mir einen rechten gefahlen, davon zu reden, undt daß neüe höre ich gern, umb den unterschiedt zu sehen. Seydt nicht so einfaltig, zu glauben, daß junge mansleütte bey itzigen zeitten ohne metressen leben! Daß verunehrt einen herrn gar nicht. Pfaltzgraff von Birckenfelt ist ein tapfferer, wackerer herr, der gutte qualitetten hatt undt ein gutt gemüht. Ich mogte ihm gern alles glück können. Wen der printz von Sultzbach in manlichen alter sein wirdt, wirdt er eben so woll metressen haben. Wen Churpfaltz noch erben haben will, muß die gemahlin sich baldt eyllen, zu sterben; den nach 50 jahren hatt man selten viel erben. Ich wolte gern noch lenger blaudem, aber ich muß nüber zum nachteßen. Adieu, hertzliebe [063] Amellisse! Ambrassirt Louisse von meinetwegen undt seydt versichert, daß ich Eüch von hertzen lieb behalte!
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 1. Dezember 1708 von Elisabeth Charlotte an Amalie Elisabeth zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 2 (1871), S. 61–63
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d02b0398.html
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