Seitenbanner

Brief vom 27. September 1715

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


730.


[636]
Paris den 27 September 1715.
Hertzallerliebe Louise, ob mich zwar die Pariser lufft seyder dinstag abendts mitt einem ärgern husten [und] schnupen begabet, alß ich in viellen jahren gehabt, undt mitt einem kopffwehe, daß ich kaum die augen offen halten kan, so will ich doch auff Ewer liebes schreiben vom 4/15 dießes monts andtwortten; den ahn jemandts zu schreiben, den man lieb hatt, daß tröst. Ich habe Eüch schon vergangen dinstag bericht, liebe Louise, wie daß mir der Seefriedt Ewer liebes schreiben überlieffert; dancke nochmahlen vor die zwey eyer (den es seindt keine kugeln) von meledy-Kendt-pulver. Es mag woll gutt sein; es ist [aber] gantz waß anderst, alß waß es den nahmen führt, den daß alte pulver, wen man es schabt, ist weißgraw, dießes aber ist schwartz, hatt auch einen gantz andern geruch. Keinen docktor werde ich es nicht zu examiniren geben; den außer aderläß, purgiren, clistiren, in sauerbrunen gehn [637] undt eßelsmilch-drincken brauchen sie nichts; auch findt man nichts bey den apoteckern, alß clistir undt emetiquen undt sené undt rubarbe undt casse, weitter nichts, alß mitt einem wort alles, waß zum burgirn undt clistiren nöhtig, sonst nichts. Wie ich in meinen kinderblattern daß meledy-Kendt-pulver nahm, rieff der madame la Dauphine docktor: Madame a pris une poudre qui la tuera infailliblement; contes, qu’elle est morte! Man fragte, ob er daß pulver [kenne]. Non, sagte [er], mais prendre une poudre sans ce faire saigner! contes, qu’elle est morte! Wie ich wider gesundt war undt ihn wider sahe, sagte ich zu ihm in lachen: Les gens, que vous tües, ce portent asses bien. Aprenes par cecy, pour ne vous pas tromper, monsieur Bourdelot (so hieß er), de ne pas juger de ce que vous ne cognoisses pas et que d’auttres savent mieux que vous! Der man wurde so beschambt, daß er es nicht außstehen könte, ging weg. Dieß ist aber eine alte historie, den es [sind] schon 22 jahr, daß ich die kinderblattern gehabt habe. Ich habe vergangenen dinstag auff die persuasion von mylord Stairs ahn die printzes von Wallis geschrieben. Ich bitte Eüch, schreibt mir doch, wie ihr mein zettelgen gefahlen undt ob es I. L. so ahngenehm geweßen, alß der mylord mir es persuadiren will! Ich erinere mich deß Seefriedts vatter gantz undt gar. Daß bladt hatt sich mitt meiner gesundtheit starck gewendt; aber es nimbt mich kein wunder, in Paris kan es nicht anderst sein. Waß trost ahnlangt, so sehe ich nicht, worin der meine bestehen kan; ich bin in einem ort, so mir ungesundt undt zuwider, ich habe ein continuirlich kopffwehe, ein traweriges leben, ich sehe mein sohn nur einmahl deß tags undt keine halbe stundt, ich eße gantz allein in eine schwartze trawerige kammer; den gantzen tag kommen verdrießliche leütte, so mich plagen, jedes will, ich solle vor es reden; vor meinen sohn bin ich in sorgen; den ich fürchte, er wirdt sich zu todt arbeytten; er hatt tag noch nacht keine ruhe, wirdt es nicht außstehen können ohne kranckwerden. Wen Ihr diß vor ein freüdig, getrost undt ahngenehm leben halt, so kan ich lustig undt getrost sein. Ich weiß nicht, ob mein sohn könig wirdt werden, daß stehet bey gott; aber wen er es aber gleich werden solte, so kan er nichts thun, alß waß sein gewißensraht ihm rahten wirdt, in welchem ich nicht gewehlet bin, wie Ihr woll dencken könt. Eins ist woll sicher, daß, wen er seine eygene inclination folgte, so würde woll kein mensch in der welt [638] geplagt sein wegen der religion; aber mitt pfaffen kompt man nicht leicht zurecht. Ich finde, daß der keyßer aber die maßen woll gethan hatt, die disputten zu verbietten; daß finde ich recht christlich undt exemplar. Gott gebe, daß es überall in der gantzen Christenheyt möge gefolgt werden! Ich sags meinen beichtsvatter offt, daß die herren paters von seinem orden zu eyfferig undt hitzig sein; er sagt aber alß, daß man sie viel beschuldiget, so sie nicht gethan haben, weillen sie gehast werden. Ich machs so: ich dencke nur ahn mich undt laße jederman glauben undt walten, wie er es verstehet.[1] Daß könte gar leicht geschehen, aber daß were doch ein unglück; den ich glaube, es würde schwere kriege nach sich ziehen. Der junge könig ist sehr delicat[2]; ich wolte gern, daß er nur noch leben konte, biß mein sohn alles wider zurecht gebracht hette. Ich würde fro sein, baron Görtz wider zu sehen. Ihr könt ihn versichern, liebe Louisse, daß ich ihn sehr estimire. Es ist ein ellende sach, wan ein recht mitt krieg muß behaubt werden in einen gantz ruinirten landt; aber, wie Ihr gar recht sagt, es wirdt nur geschehen, waß gottes providentz vorsehen hatt; den muß man walten laßen. Ich thue gar keine wünsche, laß gott in allem waltten; aber es were schwer, daß waß geschehen konte, so mir große freüde verursachen solte. Waß es auch sein mögte, seyder unßer lieben churfürstin verlust kan mich nichts mehr freüen; unßers königs todt hatt mich vollendts verdorben. Aber da bringt man mir Ewer liebes schreiben vom 12/23 September, no 34, daß werde ich auch beantwortten. Ihr jammert mich recht, liebe Louise, so viel ahn Eweren backengeschwer gelitten zu haben; aber Ihr hettet woll gar übel gethan, wen Ihr Eüch die fordere zähn hettet außziehen laßen; erstlich so stehet es bitter übel, zum andern so macht es ein lißplen im mundt, daß man die leütte gar nicht mehr verstehen kan. Es were ja seine zähn muthwillig verliehren, wen Ihr sie ohne einige ursach außreißen soltet. Ich habe woll gedacht, daß Ewere flüße wider kommen würden; den es fehlt selten, wen sie einmahl den weg nehmen. Aber man pretendirt, daß, wen man alle morgen sich hinter den ohren mitt frisch kalt waßer wäscht, [639] daß man dergleichen flüße nicht mehr fühlt noch verspürt. Es solte mich recht frewen, liebe Louise, wen dieße[s] geringe mittel Eüch woll bekommen könte. Es ist gar nicht a propo, daß Ihr mich umb verzeyung bittet, daß Ihr von Eüch selber sprecht; nach wem frag ich mehr in gantz Engellandt, alß nach Eüch? Also ist diß compliment gantz uhnnohtig. Ich habe leyder zu viel leütte hir, geselschafft ist gar nicht mein sach, ich bin taußendtmahl lieber allein; alle geselschafften seindt mir verleydt, undt so viel leütte zu sehen, ist eine von meinen quallen hir. Ich kene das landt hir; man lobt mein sohn, man sagt merveille von ihm, so lang man hoffnung hatt, daß man gnaden von ihm entpfangen wirdt; aber sobaldt die gnaden außgetheilt werden sein undt die, so pretendirt haben, nicht bekommen, waß sie gewolt (den 50 begehren, waß nur einer haben kan), alßden werdet Ihr hören, wie man sich gegen mein sohn auffsetzen undt wie viel feindt er haben wirdt; ich kene diß zu woll, umb mich flattiren zu können, daß mein sohn woll im parlement gesprochen. Daß ist war, gelehrtheit undt eloquentz fehlen ihm nicht. Ich bin fro, daß baron Görtz noch waß von mir helt; den ich estimire ihn sehr. Hiemitt ist Ewer zweyttes schreiben völlig beantwortet, bleibt mir nur über, zu versichern, daß ich Eüch, liebe Louisse, von hertzen lieb habe undt biß in todt verbleiben werde.
Impressum
Datenschutz
KontaktPost
Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 27. September 1715 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 2 (1871), S. 636–639
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d02b0730.html
Änderungsstand:
Tintenfass