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Paris den 5 May 1716 (N. 77).
Hertzallerliebe Louisse, es ist so spät, daß ich Eüch nicht
sagen darff, wie viel uhr es ist. Es ist, fürchte ich, 14 tag, daß
ich Eüch nicht habe schreiben können. Paris ist ein wunderlicher
ort, man ist eine geplagte seele hir, daß weiß gott; ich kan noch
vor 8 tag nicht nach St Clou, daß wetter ist zu kalt. Est ist
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abscheüllich sterben hir im landt, kinderblattern, fleckfieber,
seyttenstechen undt brustsucht. Im hospital gén[ér]al seindt sey[dt] ostern
700 menschen gestorben, ebenso viel in der paroisse von St Sulpice,
undt nicht viel weniger in St Eusta[c]he, überal begegenet man todten
undt begrabnüß. Aber hiemitt genung von dießen unartigen
zeittungen! Ich habe dießen abendt ewer liebes schreiben vom 19/30
April entpfangen. Ich wuste schon, daß Ewere niepce ins
kindtbette gekommen von einem sohn; ich wuste es schon, den die
princes von Wallis hatt es mir letzte post geschrieben. Ich wünsche
Eüch viel glück undt vergnügen zu dießem neveu undt bitte Eüch,
dem duc de Chomberg auch glück von meinetwegen zu [wünschen],
daß er nun großvatter geworden. Ich wünsche, liebe Louisse, daß
Ihr nun baldt wider in Teütschlandt reißen mögt, den weillen die
teütsche post andere tag hatt, alß die englische, so werde ich Eüch
fleißiger schreiben können. Adieu! Ich muß enden, ich falle vor
schlaff. Ich habe wollen ahn mademoiselle de Malausse schreiben,
den gestern habe ich mitt meinem sohn ihre kleine niepce auß der
tauff gehoben, sie heist Elisabeth Philipine; es ist ein artig kindt,
gleicht seinem vatter s. wie 2 tropffen waßer, hoffe also, daß sie
glücklich werden wirdt Adieu! Ich ambrassire [Euch] von hertzen,
halb schlaffendt undt halb wachendt, undt behalte Eüch von hertzen
lieb.