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Brief vom 16. Dezember 1717

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


873.


[148]

A mad. Louise, raugräffin zu Pfaltz, a Franckfort.

Paris den 16 December 1717 (N. 33).
Hertzallerliebe Louise, die vergangene woche, noch dieße habe ich nichts von Eüch entpfangen. Daß ist gar kein wunder, den alle waßer seindt übergangen; die courier müßen weitte umbschweiff nehmen. Ich bin recht in sorgen wegen der fraw von Rathsambshaussen, so letzt verwichenen sambstag verreist ist. Ich habe nach Chelle[1] gewolt, mein enckel, mademoiselle, eine vissitte zu geben, welche mich gar instandig drumb gebetten hatt, aber ich habe nicht hingekont. Ich habe ein hauß in der rückkehr sehen sollen, so madame d’Orlean gekaufft undt Bagnolet heist; es ist vor dießem ahn madame de Carignan geweßen, so eine princesse du sang war undt einen savoyschen fürsten genohmen hatte. Nach ihrem todt hatt es ein homme d’affaire von den erben gekaüfft undt gantz wider auffbauen laßen; den es fiel vor alter ein. Dießes hauß hatt madame d’Orlean gekaufft; man sagt, es seye, ahn ihre baß zu geben, so ihre favorittin ist, die duchesse de la Spforce.[2] Dem seye, wie ihm wolle, so werde ich es heütte sehen, es ist nur eine halbe stundt von hir, undt madame d’Orleans hatt mich dort zu gast gebetten. Umb 12 gehe ich hir in die capel undt umb halb 1 fahr ich weg, werde umb 1 dort sein. Biß sontag, wilß gott, will ich Eüch verzehlen, wie es abgangen undt wie ich diß hauß gefunden [149] habe. Gestern ist hir in der nahe ein gar tragique avanture vorgangen; ein abbé de qualité, so man l’abbé de Boneuil[3] geheißen undt ein großer spieller war und 4 m. francken gewunen hatte, aß vorgestern bey einer damen, so seine allirte war, zu nacht, ließ sich in einer chaisse nach hauß tragen, hatte seinen knecht, so ihm 14 jahren gedint, zu hauß gelaßen. Es war nur 1/4 auff 1 nach mitternacht, wie er nach hauß kommen; logirte just über eines schusters laden. Morgendt, wie die schustersknecht ahnfingen, zu arbeytten, sahen sie bludt vom boden fahlen. Die schustersfraw lieff nauff, fundt den schlüßel ins abbé thür stecken, machte auff, sahe aber ein so abscheülich spectacle, daß sie davon lieff undt überlaut rieff. Auff ihrem geschrey lieff alles herzu undt funden den abt undt sein laquayen ermordt; man hatte ihnen die kopff gantz zerschlagen gefunden. Daß war daß bludt, so herab auff die schustergesellen gefallen ist; bey jedem war ein scheydt holtz voller bludt undt in der cammer war ein kleiner degen undt ein hirschfanger, ahn welchen man aber kein bludt gefunden. Wie die sach zugangen, kan kein mensch noch wißen. Gestern seindt mehr, alß taußendt, menschen hingangen, dieß abscheülich spectacle zu sehen. Man kan nicht wißen, ob dieb dieße that vericht, weillen man uhren undt 7 Louis d’or ins abbé sack gefunden undt taußendt francken in einem schranck; also kan man gar nicht auß der sach kommen. Man hatt gestern von nichts anderst gesprochen, wie Ihr woll dencken könt.[4] Nach dießer abscheülichen tragedie muß ich Eüch auch ein poßenspiel verzehlen, wovon man, ehe dieße tragique avanture geschehen, sehr gesprochen hatt undt vergangene woche solle geschehn sein. Ein vermeinter mönch, ein Franciscaner undt cordellier, wie man sie hir heist, von 18 jahren wolte von Rouen nach Paris reißen. Wie [er ins] erste logement kompt von der tagreiße undt mitt viellen leütten ahn taffel sitzt, kompt ihm ein starck grimen ahn; man legt ihn zu bett, ein augenblick hernach hört man ein geschrey im hauß: Le cordellier accouche et viste au secour! Hernach rieff man: Il est accouché d’une fille. Man weiß noch nicht, wer die person ist, so sich so wunderlich verkleydt hatt. Außer dieße 2 historien weiß ich gar nichts neües. Ich muß mich baldt ahnziehen, [150] liebe Louisse! Adieu! Ich ambrassire Eüch von hertzen undt verversichere Eüch, liebe Louise, daß ich Euch daß ich Eüch allezeit recht lieb behalte.
P. S.
Alleweill kompt man mir sagen, daß gestern abendts ein schuhflickers-fraw hatt ihren man mitt ein schusters-eyßen erstochen.
Donnerstag umb 9 abendts.
Ich bin spat vom Bangnolet kommen; daß opera, wo ich gleich nein gangen, war schon ahm zweytten acten. Wie daß opera auß war, ist mein sohn kommen, geht alleweill erst herauß. Ich habe ein schreiben von Eüch vom no 35 vom 30 November entpfangen, ich kan aber dießen abendt nicht andtwortten; es ist zu spätt, werde es vor sontag sparen. Gutte nacht, liebe Louisse!
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 16. Dezember 1717 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 3 (1874), S. 148–150
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d03b0873.html
Änderungsstand:
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