Seitenbanner

Brief vom 15. Mai 1718

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


915.


[259]
St Clou, sontag, den 15 May 1718 (N. 76).
Hertzallerliebe Louisse, gestern fuhr ich nach Paris, besuchte den könig, so ich sehr gewacksen funde; hernach fuhr ich au Palais-Royal zu madame d’Orleans; bey deren blieb [ich], biß man mich zum eßen rieff. Mein sohn hatte selbigen tag so viel zu thun, daß er nicht mitt mir eßen konte, ich hatte aber 3 von seinen kindern ahn taffel, mademoiselle de Valois, mademoiselle de Monpansier undt mademoiselle de Beaugelois.[1] Dieße war in großen freüden, den es ist daß erste mahl, daß sie mitt mir zu mittag ist.[2] Gleich nach dem eßen brachte man mir Ewere 2 liebe schreiben, vom 30 April, [260] no 34, undt vom 3 dießes monts, worauff ich heütte andtworten werde, nur noch sagen, daß ich nach dem eßen zu madame la princesse fuhr, welche sehr mager geworden, aber doch beßer spricht undt frischer spricht. Hernach fuhr ich wider ins Palais-Royal, nahm mademoiselle de Clermont mitt mir undt ging [mit] madame madame d’Orleans undt 2 von ihren kindern, alß der duc de Chartre, mademoiselle de Valois, mademoiselle de Clermont undt meine damens [in die komödie]. Im 4ten acten kam mein sohn auch. Es war eine rechte artige ittallien[i]sche commedie, worinen man mehr frantzösch, alß ittallienisch, sprach. Sie geben den frantzoschen cavalliren greüllich auff die finger mitt ihrer jetzigen inpolitesse undt sagen, daß, umb die politesse in ridiculle zu threhen, heist man jetzt recht verliebt sein: aimer comme les romant et a la gauloise, respect vor damen haben; ein recht attachement. Darauff sagt man nun: Fy, c’est comme Celadou.[3] Aber nie bestandig lieben, dieße heütte, morgen ein andere, daß wer nicht bourgois, sondern wie die petit maistre undt gens de qualité nun sein. Sie[4] ist in allem gar artig. Es seindt auch 4 antréen de balet, die die acten schließen. Waß ich auch artig gefunden, war eine alte hoffmeisterin von den jungen damen, die seüfft sich blindt voll undt singt undt tantzt recht poßirlich. … Ihr den woll kenen; den er ist lang zu Zell[5] geweßen, war der dockteur von der commedie, er spilt über die mahßen woll, hatt mich lachen machen. Es ist aber auch einmahl zeit, daß ich wider auff Ewer liebes schreiben komme, fange bey dem frischten ahn. Es ist mir lieb, daß unßere briffe nun so richtig gehen, undt Ihr segt, daß ich mein wordt halte undt keine post verfehle. Wen man ahnfangt, die jugendt zu verliehren undt dem alter zu nahen, ist auff keine freüde mehr zu rechnen, liebe Louise! Ob zwar kein große lust ist, zu einem thohr außzufahr[e]n undt zum andern thor wider hereinzukommen, so schüdelt doch daß die miltz, undt die frische lufft schöpffen ist gesundt. Gantz vergnügt sein ist gefahrlich, vor daß leben. Ich erinere mich, daß den dinstag vor der konigin s. todt gab der könig zu Versaille [261] eine feste ahn die königin bey einer fontaine, so man l’ancelade[6] heist; dießer ancelade ist gantz mitt berceau[7] umbringt. Da aß man zu mittag, hernach setzte man taffeln, umb zu spillen, wie im apartement. Man hatte allerhandt mußiq, abendts eine große colation, hernach fuhr man in offenen caleschen. Es war daß schönste wetter von der welt, den es war zum endt deß Julli. Wie die konigin wieder in ihr cammer kam, sagte sie zu ihrer favorittin, madame de Vissé,[8] die sie alß Philipa hieße: Philippa, je n’ay de ma vie eüe une plus agreable feste que celle cy, car je puis dire qu’a toutte les auttres festes, que le roy a données, j’ay toujours eüe des sujets de chagrins, mais a celle cy j’ay eue un contentement parfait. Freytags umb 3 uhr nachmittags war sie todt. Also segt Ihr woll, liebe Louisse, daß es gefährlich, perfect content in dießer welt zu sein. Man sagt woll, wie es hir hergeht; aber so schlim es auch ist, macht man es doch noch schlimmer undt setzt ein hauffen lugen dazu, daß verdriest mich auch. Ich bin leyder nur, von denen nichts zu sagen ist, weder in guttem, noch im bößen; aber ich habe daß glück, nicht gehast zu sein, den ich thue niemandts kein leydt; drumb ist man mir so favorable undt sagt mehr guts von mir, alß leyder ahn mir ist. So alt die zeittungen auch sein mögen, seindt sie doch frisch vor hir. Ich gebe mein advis nicht, wen man mich nicht fragt; aber fragt man mich, so sage ich recht, wie ich gedencke undt glaube. Wir haben hir im ahnfang daß schönste frühlingwetter von der welt gehabt undt so warm, daß alle menschen hir in taffet gekleydt wahren; aber seyder 6 tagen ist ein kalter regen eingefahlen, so biß gestern gedawert, daß man den taffet quittirt hatt undt dickere kleyder mitt der trawer genohmen, welche nicht lang dawern wirdt. Ich befindt mich, gott lob, woll undt werde, waß mich hoch erfreüet, nicht purgirt werden; den der safft von brunenkreß undt körbel purgirt mich alle tag 5 oder 6 mahl ohne schmertzen, noch ohngemachlichkeit, matt mich auch nicht ab undt bekompt mir gar [gut]; nur bleibt mir, daß ich ein wenig widerwillen zum eßen habe, welches, wie ich glaube, daher kompt, daß die galle zu sehr in mir dadurch gerühret worden; den es ist unglaublich, waß eine menge galle taglich von mir geht. Es ist nicht sauber zu verzehlen; allein, [262] liebe Louisse, weillen Ihr Eüch so sehr vor meine gesundtheit interessirt, meine ich, daß Ihr alles genau wißen wolt, drumb habe ich dießen wüsten detail geschriben. Man sagte gestern zu Paris, daß Churtrier seinen geistlichen standt abdancken werde, sich zum churprintzen machen undt eine ertzherzogin, seine petitte niepce, heürahten wolte; den wer[9] ein schlechter tour, dem[10] er seiner niepce undt neveux von Sultzbach thun würde. Schreibt mir doch, liebe Louisse, ob diß geschrey in Teütschlandt auch geht! Der erbprintz von Darmstat solle sehr desbeauchirt geweßen sein. Solte er seiner gemahlin woll ein wüst pressent zum braudtschatz geben haben, daß sie so krancklich ist? Solche pressenten benehmen die liebe gar geschwindt. Der landtgraff wirdt woll thun, wider zu heürahten, wo er keine erben von seinem herrn sohn zu hoffen hatt. Hiemitt ist Ewer letztes liebes schreiben vollig beantwortet. Ich komme jetzt auff daß vom letzten April. Daß geht noch woll hin, wen unßere schreiben in 10 tagen überkommen. Es ist ein zeichen von einem bößen gedächtnuß (wie ich auch leyder habe), wen man sich nicht erinern [kan], daß man schon einmahl auff einem brieff geantwort hatt, undt wen daß gedächtnuß so schwach wirdt, radottirt man baldt. Gott lob, es geschicht mir nicht offt, brieff abzuschreiben, aber muß ich es thun, werde ich recht gritlich. Churpfaltz hatt mir nicht allein nicht geantwortet auff waß ich I. L. vor Eüch geschrieben, sondern auch nicht geantwort auff den [brief], so ich I. L. eygenhandig geschrieben undt compliment auff seiner fraw dochter glückliches kindtbett gemacht. Man sagt, er schreibt bitter ungern. Unßer hertzog von Lotteringen ist auch so. Ihr könt woll gedencken, daß ichs Eüch würde bericht haben, wen Churpfaltz mir waß vor Eüch geschrieben hette, waß es auch sein mogte. Mich deücht, daß die campagne von Ungarn dem jungen printzen von Sultzbach beßer ahnstehen solte, alß seinen geheürahten herrn bruder; den unßer pfaltzgraffen seindt nun thün gesehet.[11] Der von Birckenfelt wirdt sich woll nicht heürahten, noch der albere von Zweybrücken kinder bekommen. Daß dießer zweyg abgeht, ist kein großer schadt, aber woll, daß der könig in Schweden keine erben nach sich lest; den der thut dem hauß ehre ahn. Wie ich höre, so ist der frieden mitt den Türcken noch nicht gar [263] sichen.[12] Ich erinere mich nicht, ob Boitte mir ein schreiben von Euch, liebe Louise, gebracht; hatt er mirs geben, habe ich drauff geantwort; daß ist noch ein effect von meinem schönnen gedachtnuß. Es ist die zeit jetzt in Franckreich nicht, schönne sachen zu kaüffen; gelt ist sehr rar. Waß kost der thaller, den Ihr mir geschickt habt? Zu meiner zeit hießen wir diß schraubthaller; danke Eüch sehr davor. So baldt die großen talck fertig sein werden, werdet Ihr mir großen gefallen thun, sie zu schicken undt dabey zu setzen, waß es kost; den ich habe es schon vergeßen. Die historie vom armen Fourie ist erbarmlich, aber eine solche that gleicht mehr einem Engländer, alß Spanier; ich hette auch schir Ittalliener gesagt, aber habe mich hernach erinert, daß die Ittalliener nur durch ambassaden assasiniren, aber die that nicht selber thun. Man hatt den Balioti mitt zwey geladene pistollen im sack gefunden im palais; der hette hette beßer gethan, sich zu salviren, aber der galgen verliehrt sein recht nie. Von freüllen Gemingen sage ich nichts mehr, alß daß sie ihrer printzes bittere threnen gekost hatt. Mich wundert, wie die madame de Portlandt[13] hatt auff sich nehmen [könen], wider der printzessin willen hoffmeisterin bey ihren kindern zu sein, daß findt ich nicht prüdent; hette ihr man gelebt, würde er es gewiß nicht gelitten haben. Ich muß nun eine pausse machen undt werde gleich nach dem eßen dießen brieff außschreiben.
Sontag, den 15 May, umb 3 uhr nachmittags.
In dießem augenblick komme ich auß meines enckels gartgen, worinen ich zwey tour gethan. Mehr ist nicht in meinem vermögen, bin derowegen wieder herein undt werde vollendts auff Ewer liebes schreiben vom 30 April andtwortten. Daß ist woll gewiß, liebe Louise, daß kein glück in dießer weldt bestündig ist, wie ich heütte morgen schon gesagt habe; aber jedoch so seindt noch viel personnen viel unglücklicher eins, alß ander. Ich bin wie Ihr, liebe Louisse, ich hore recht mitt freüden, wen jemandts vergnügt undt zufrieden ist. Ich meinte, daß, wen man in einer statt wie Londen schreibt, dadirt man allezeit von selbiger statt, welche nahmen die heüßer auch haben; also wen ich auß den Lutzeburg[14] oder [264] Palais-Royal oder Thuillerien schreiben solte, würde ich doch allezeit Paris dattiren. Der[15] königs in Englandts maniren mitt seinen kindern seindt so wunderlich, daß ich gar nicht[s] drinen begreiffen kan; habe meine meinung vor 8 tagen drüber gesagt, drumb sage ich heutte weitter nichts davon; den ich eylle, weillen ich dießen abendt noch ahn mein dochter undt ihre kinder zu schreiben habe. Ich fürchte, daß dieße sach noch ein weit außsehen bekommen wirdt. Ich habe nicht verstandt genung, umb mich in so hohen sachen zu mischen, undt meine manir ist, nicht zu viel von mir selbsten zu presumiren; undt ich habe mich allezeit woll dabey befunden, mich in nichts zu mischen, worinen ich nicht geruffen werde, solte es auch meine leibliche kinder betreffen. Ihr segt[16] selber, wie dem konig in Preussen die sach gelungen solle sein, der [mehr] recht dazu hatt, alß ich. Der könig in Englandt hatt allezeit, wie Ihr woll wist, gescheüet, daß man sich mischt in waß ihn ahngeht, konte es von seiner leiblichen fraw mutter nicht leyden, will geschweygen … Die grandeur vom englischen konigreich hatt mich nie verblendt. Ich habe alß woll gedacht, daß es mehr verdrießlichkeiten, alß freüde undt vergnügen, geben würde. Ich erinere mich nicht mehr, worüber ich Eüch gefiltzt habe. Mein gott, liebe Louise, man hört in der weldt nichts mehr, alß unglück undt betrübtnuß. Die fraw von Veningen jammert mich von hertzen. Es ist auch abscheülich, man undt sohn in einer stundt zu verlichren. Ihr dochtergen wirdt eine erbdochter werden; man solte sie des Augustins sohn geben, ich glaub, der thumherr von Veningen wirdt. Daß ist doch ein doller heüraht vor einen graffen von Wittgenstein, eine Wiesserin zu heürahten; den der Wießer ist doch nur ein schulmeister geweßen.[17] Die mißheürahten kan ich nicht außstehen. Hiemitt ist Ewer letztes liebes schreiben vollig beantwortet undt alle beyde auch, bleibt mir nur über, Eüch, liebe Louisse, zu versichern, daß ich Eüch all mein leben von hertzen lieb behalten werde.
Impressum
Datenschutz
KontaktPost
Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 15. Mai 1718 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 3 (1874), S. 259–264
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d03b0915.html
Änderungsstand:
Tintenfass