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Brief vom 29. Mai 1718

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


919.


[273]
St Clou den 29 May 1718 (N. 80).
Hertzallerliebe Louise, weillen es gestern eben mein geburtztag war (den der 28 ist nun der 17 alten stiel, in welchem ich gebohren bin), umb selbigen ein wenig zu feyren, bin ich morgendts umb halb 11 nach Paris gefahr[e]n, meine kinder zu sehen. Habe bey dem könig ahngefangen, so, gott lob, in volkommener gesundtheit ist; hernach fuhr ich ins Palais-Royal undt besuchte madame d’Orleans, wo mein sohn auch hinkamme, hatte aber zu viel zu thun, umb mitt unß zu eßen können, undt madame d’Orleans ist zu faul; alß[1] aß ich nur mitt meinen damen undt 3 von meinen enckellen, mademoiselle de Valois, mademoiselle de Monpensier undt mademoiselle de Beaugelois. Wir hatten eine große musiq bey wehrendem eßen, aber nicht meines geburdtstag wegen, sondern par hazard; den ein mussiquant vom könig wolte meinem sohn weißen, waß er kan. Nach dem eßen ging ich in mein cammer. Die arme Rotzenheusserin war nicht mitt mir kommen; den sie war ein wenig kranck, nachts oben undt unten gangen, dorffte also die reiß nicht wagen. So baldt ich in meiner cammer war, bracht man mir 2 handt voll paquetten, von mein[e]r dochter, von der königin von Sicillien, von deren zu Pajonne,[2] von mademoiselle de Malause, von der printzes von Wallis, von noch 3 andern personnen von hir im landt, die Ihr nicht kendt, undt auch Ewer liebes schreiben vom 17 Mertz, no 39. Hernach fuhr ich ins Carmeliten-closter, umb die gutten leütte zu dancken; den sie hatten mich ahngebunden[3] von ihrer arbeydt, undt wie es nun die mode ist, knopff zu machen, hatten sie mir le sac au noeud geschickt. Schreibt mir, liebe Louisse, ob Ihr auch knopff macht! Madame d’Orleans thut nichts anderst tag undt nacht; in der commedie, überall, wo sie auch sein mag, macht sie allezeit knöpff. Umb 4 fuhr ich von dem[4] Carmelitten wider au Palais-Royal, wo ich noch viel leütte sahe. Hernach ging ich mitt madame d’Orleans undt 3 von ihren kindern in die ittalliensche commedie de Harlequint[5] muet, so recht artig ist. Gleich nach der commedie bin ich wider in kutsch undt her, habe mitt [274] meinen damen geßen, mein salatgen, undt gleich drauff habe [ich] die fraw von Rotzenhaussen lustig, frisch undt gesundt hir gefunden undt lustig. Nun ist es auch woll einmahl zeit, daß ich auff Ewer liebes schreiben komme. Ich fahre nie bey Challiot[6] vorbey, ohne daß mir ein schauder außlaufft, zu gedencken, daß die tugendtsame undt ahngenehme königin[7] todt dort oben in der nonen chor liegt; sie wirdt mir in langer zeit nicht auß dem sin kommen. Der page, so die sach so rohe [meldete,][8] ist ein nagelneüer bub, so noch kein 3 mont bey mir ist, der noch nicht weiß, wie lieb ich selbige königin gehabt hatte, undt meint, er müße die andtwort sagen, wie man sie ihm gesagt hatt. Die konigin ist mitt hertzlichen freüden gestorben undt hatt gott offendtlich gedanckt, sie von dießem leben zu erlößen.[9] Ich bin woll Ewerer meinung, liebe Louisse, daß die konigin eher eine heylige, alß ihr herr s. Glaube doch, daß er auch im himmel ist; den er hatt mitt großer gedult in dießer welt gelitten.[10] Die königin hatte große fermeté undt rechte königliche qualiteten, große noblesse, generositet, politesse, einen ahngenehmen verstandt, schir allezeit lustig, undt konte recht ahngenehm railliren, raillirte mich immer über die passion, so ich habe, commedien zu sehen, gestundt mir doch, daß sie selber so geweßen wehre. Sie klagte nie, lachte von hertzen, daß sie eine zeit geweßen, daß sie nicht außfahren konte, weillen ihre pferdt gestorben undt sie leyder kein gelt hatte, andere zu kauffen, lachte über ihren königlichen standt, wie magnific er were undt wie alle grandeur dießer welt nur eytelkeitten seyen. Daß wüste sie recht artig undt ohne chagrin zu threhen. Ich habe eine recht gutte geselschafft ahn I. M. verlohren. Schön war die königin nicht, aber recht ahngenehm, war unerhört lang, so groß alß unßer könig s. undt sehr mager, doch mehr ahm leib, alß im gesicht; daß hatte sie waß lang, aber doch zimblich voll, verstandt in den augen, die auch nicht heßlich wahren; eine stracke naß undt zimblich großen mundt, aber große weiße zähn, so ihr biß ahm endt weiß blieben sein; die farb vom gesicht ein wenig gelblegt,[11] welches mehr [275] geschienen, seyder I. M. daß rott[12] quittirt hatten; gutte minen undt ging woll, sehr propre in alles. Mein sohn, auß erbarmung vor die arme bedinten, wirdt viellen ihre pension laßen. Last Eüch daß nicht argerrn, daß ich schrecken undt betrübtnuß gehabt! Daran bin ich nur gar zu sehr gewohnt, wirdt mir nichts schaden deßwegen. Monsieur Teray, mein docktor, findt meine gesundtheit nun so gutt undt perfect, daß er mir keine medecin geben wirdt; ordinirt mir nichts, alß offt frische lufft zu nehmen, so viel mir möglich sein kan, zu fuß spatziren. Daß seindt keine remedien, so weder übel, noch schwer zu thun sein. Daß hatt er, wen er meint, daß man keine remede undt medecinen von nöhten hatt, propossirt er keine; daß gibt mir mehr vertrawen zu ihm. Wir haben daß kühle wetter hir auch gehabt; ich glaube, ich habe es Eüch damahls geschrieben, liebe Louisse! Nun ist es gar schon; der platzregen hatt den staub abgeschlagen; es ist weder zu warm, noch zu kalt, ein recht erwünschtes wetter. Ihr thut gar woll, Eüch zu schönnen;[13] den, wie ich Eüch letztmahl schon gesagt, es wehren[14] leicht geschwer auß dergleichen flüßen im zahnfleisch, liebe Louisse, so große schmertzen verursachen, so gutt zu entbehren sein. Gott gebe, liebe Louisse, daß Ewer schreiben ahn mir Eüch nicht mag geschadt haben, welches mir von hertzen leydt sein solte! Ich bin fro, liebe Louise, daß Ihr mitt mir zufrieden seydt; den daß wünsche ich von hertzen. Daß ich Eüch lieb habe, meritirt keine recompens von gott; den ich thue hirin nur meine schuldigkeit undt ich dancke Eüch sehr, fleißig vor mich zu betten; den ich halte Ewer gebett vor gar gutt.[15] Daß ich Eüch all mein leben lieb behalten werde, ist woll sicher. Mitt mir müst Ihr Eüch nicht vor alt schelten, den ich bin jahr[16] mehr, als 10 jahr, alter alß Ihr; daß macht mich zu descrepit. Es seindt wenig leutte, so große freüden in dießem leben haben; undt findt sich jemandts, so glücklicher ist, alß ein anders, so wehrt es nicht lang. Dieße gedancken stercken meine gedult undt machen mich nichts beßer wünschen; den, wen ichs hette, würde es doch keinen bestandt haben undt die verliehrung deß glücks daß unglück nur noch entpfindtlicher machen. Drumb nehme ich mein parthie, so gutt ich kan, undt bitte nun den allmächtigen, mir nicht mehr zu schicken, alß ich ertragen kan. Ich [276] habe woll gedacht, daß man Eüch auß Englandt die abscheüliche umbstände berichten würde, wie man daß freüllen von Gemingen von den printzessinen gezogen hatt. Ihr segt jetzt, liebe Louise, daß ich kein unrecht gehabt habe, mich nicht zu erfrewen können, meinen h. vettern auff den thron zu sehen, undt es ist mir noch bitter bang, daß dießes alles ein schlim endt gewinen wirdt. Gott gebe, daß ich mich in meiner meinung betriege! Es ist nicht sicher in Englandt, den meister zu spiellen; sie seindt gar zu gewohndt, ihren konigen die kopff vor die füß zu legen. Aber sich wieder mitt seinem herrn sohn zu vereynigen, were in meinen sin gutt vor beyde, vor vatter undt sohn. Ich weiß nicht, wo der konig ahn denckt; er muß einen abscheülichen haß gegen den printzen gefast haben; den so baldt der printz sein endtschuldigung gemacht, umb verzeyung gebetten, sich soumi[ttie]rt hatt, waß kan ein könig mehr von seinem sohn begehren? Daß kan kein mensch in der welt aprobiren. Daß der könig so hart gegen seine kinder ist, daß erweist kein gutt gemühte. So lang Ihr Eweren fluß auff den backen habt, ist es mir nicht leydt, daß es wider still zu Franckforth ist. Aber wen Ihr wider gesundt sein werdet, wolte ich, daß verenderungen dort kämmen; den distractionen ist daß beste vor chagrin undt welches ahm besten wieder zurecht bringt. Hette ich vor dießem nicht in meinen unglücken die jagt gehabt,[17] were ich lengst todt. Die printzen von Bayern sollen gar nicht hübsch sein, aber viel verstandt haben. Vattert sichs bey ihnen, so werden sie den grissetten braff nachlauffen. Es ist schadt, daß das schonbergische hauß ausgestorben; es wahren wackere leütte. Ich finde, daß es fiel[18] ist, daß graff Degenfelt noch verliebt von seiner gemahlin ist. Wenig meiner[19] seindt a l’espreuve von einem gantzen jahr undt man helt es hir auff allen seytten vor so gar rar, daß ein sprichwort geworden, daß, wen jemandts von eheleütten versichern könne, daß weder dem man noch der frawen ein gantz jahr volbracht,[20] ohne daß einem, noch dem andern gereüet, geheüraht zu sein, deßen par[21] solle der ertzbischoff von Paris seinen weingartten verehren. Daß sprichwordt ist so geinein hir, daß, wen man junge eheleütte sich im ersten jahr uneins sicht, sagt man nur: Ils n’oront[22] pas la vigne [de] monseigneur l’archevesque. Wen der graff von Degenfelt [277] nur nach Teütschlandt wirdt, wen seine gemahlin nicht schwanger wirdt, halte ich, daß es noch lange jahren ahnstehen wirdt, ehe Ihr ihn wider zu sehen bekompt. Ich weiß es aber seiner gemahlin recht danck, Teütschlandt zu sehen wollen; sie muß ihr teütsch bludt fühlen undt das ist ein gutt zeichen vor sie. Die La Force[23] ist gar eine romanesquische humel, sonsten würde sie sich nicht in die berenhaudt geneht haben.[24] Sie hatt viel avanturen gehabt; man will sie ein wenig vor eine hexsen halten; aber daß glaube ich nicht. Jedoch so hatt mir einer vom hauß Mally,[25] so mein gutter freündt, aber schon le[n]gst todt ist, verzehlt, daß er schir vor lieb vor sie gestorben were undt ohne sie nicht leben können, undt wolte sie mitt aller gewalt heürahten. Weillen sie aber in keine[m] gar gutten ruff war undt auch bitter arm, wolte sein vatter den heüraht nicht erlauben, badt derowegen monsieur le prince, so sein verwandter ist geweßen, ihm zuzusprechen. Man führte ihn nach Chantilly, wo daß gantze hauß de Condé undt Conti ihm zusprachen, seinem vatter zu gehorchen; man konte aber nichts gewinen. Nesle blieb fest drauff, er wolte La Force heürahten. Wie man ihn ferner plagte, lieff er wie verzweyffelt in den gartten undt wolte sich erdrencken. Wie er aber seine veste auffriß, umb sich nackendt ins waßer zu sprengen, zuriß er ein bandt, woran etwaß hing, so ihm La Force vor die gesundtheit gegeben undt woll recomandirt hatte, nie von sich zu thun. So baldt aber daß bandt mitt dem seeckelgen[26] von seinen halß war, fundt er sich gantz anderst undt ohne lieb mehr vor La Force; ging derowegen zu monsieur le prince undt sagte, waß ihm begegnet were undt daß er verhext müste geweßen sein. Ich habe ihn offt mitt der historie außgelacht undt soutenirt, daß die gutte ursachen von monsieur le prince daß einige corectif von seiner liebe geweßen were[n]. Es ist gewiß, daß der fraw von Rotzenhaussen gutter humor mich offt lachen machen, welches ich ohn dem nicht thun wurde. Alle trawern seindt durch ordonnancen auff die helffte verkürtzt, also wirdt sie nicht lang nach mir trawren. Ich muß die warheit bekennen, mein enckel, die duchesse [278] de Berry lebt gar woll mitt mir undt vergist nichts, mir ihre affection zu erweißen; daß macht auch, daß ich sie lieb habe. Mein armer sohn bringt sich schir umbs leben, alles in beßern standt in der regierung zu setzen, undt erwirbt doch wenig danck vor alle seine mühe undt arbeydt. Er jammert mich offt, daß ich bitterlich drüber weinen muß; er hatt mitt dolle interessirte köpffe zu thun. Er macht mich offt bang, daß ich meine, er muß kranck werden undt kan es nimer außstehen; aber unßer herrgott erhelt ihn doch noch. Aber hirmitt ist Ewer liebes schreiben vollig beantwort, liebe Louisse, undt es ist zeit, daß ich mich ahnziehe, werde also dißmahl nichts mehr sagen, alß daß ich Eüch all mein leben von hertzen lieb behalte.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 29. Mai 1718 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 3 (1874), S. 273–278
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d03b0919.html
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Tintenfass