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Brief vom 19. Juni 1718

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


925.


[294]
St Clou den 19 Juni 1718, umb 5 abendts (N. 85).
Hertzallerliebe Louise, wie ich eben in die kirch gangen, bin ich mitt Ewer liebes schreiben vom 7 dießes monts, no 45, erfreüet worden, habe es aber erst leßen können, wie ich wider [295] herreinkommen. Ich leße gern in Ewern brieffen, liebe Louisse, daß Ihr mitt gutter geselschafft spatziren fahrt; den daß vertreibt die trawerige gedancken undt melancoley, die gar ungesundt sein. Ich habe eben keine sonderliche freüde meinen geburdtstag gehabt; in meinem alter sein die freüden auß. Die fraw von Rotzenhaussen wirft mir alle tag vor, daß ich daß lachen gantz verlehrnt habe.[1] Bin Eüch aber doch sehr verobligirt vor alle Ewere gutte wünsche. Es ist die mode gar nicht mehr hir, den geburdtstag zu [feiern;] deß königs seinen selber feyert man nicht mehr. Unßer letzt-verstorbener könig hatt es abgeschafft schon vor langen jahren. Es ist mehr, alß 25 jahren, daß wir kein geburdtstag hir gefeyret haben. Ich dancke Eüch, liebe Louisse, so großen lust gehabt [zu haben,] mich ahnzubinden; thut mir eben denselben effect undt habe Eüch dießelbe obligation, alß wen ichs entpfangen hette; den in solchen sachen ist allein der gutte willen ahnzusehen. Nichts ist differenter, alß der frantzosche undt keyßerliche hoff, konnen in nichts verglichen werden. Knopff machen ist hir mehr a la mode, alß nie, undt auß gutten ursachen; den wen damen, so den tabouret nicht haben, arbeytten, dorffen sie vor madame de Berry undt mich sitzen, undt die knöpff werden vor arbeydt gerechnet; drumb wen damen herkommen, machen sie knöpff. Hirbey schicke ich Eüch ein esquipage darvon; daß säckelgen hengt man ahm arm undt daß schiffelgen, so man hir la navette heist, ist, wen man nicht mehr arbeydt, ins seeckelgen mitt zwirn oder seyden, nachdem man die knopff macht. Schreibt mir, ob mans auch so in Teütschlandt undt Englandt hatt, oder ob es auff eine ander art ist! Weillen Ihr deß knopffen müdt seydt, es auch nicht mehr in Teütschlandt … kan es ein klein pressentgen vor die gräffin von Degenfeldt geben. Wen Ihr nicht meint,[2] daß es zu schlecht ist undt daß man Eüch mitt außlachen mögt, könt Ihr mitt machen, waß Ihr wolt. Hir arbeydt man ohne affectation. Es ist die gröste lügen von der welt, daß die königin in Englandt[3] große suma hinderlaßen; erstlich so hatt sie ihren herrn sohn sambt allen seinen leütten davon unterhalten, hernach hatt sie den meisten von ihren damen pensionen geben, gantze famillen von Engländern unterhalten undt hatt [296] noch dazu an ihrem mundt undt kleyder erspart, umb den arme[n] in den spittällern zu geben.[4] Durch den geitz war sie woll keine Ittalliener[i]n; den sie hatt, so lang sie gelebt, keinen heller gespart, undt hette sie viel gehabt, were sie magnifiq geweßen. Daß muß man sagen, sie hatt alle königliche tugendten gehabt. Ihr eintziger fehler war (den niemandts ist perfect in dießer welt), daß sie gar zu einfaltig in der religion war; sonsten hab ich ihr keinen fehler gekendt undt den haben I. M. thewer bezahlt; den daß hatt all ihr unglück verursachet. Aber sparen hatt sie unmöglich konen; den sie war hir nicht gar regullirt bezahlt, hatt gelt lehnen müßen undt schulden machen. Daß ihre domestiquen ihre meublen geplündert, kan auch nicht sein; den sie war mitt deß konigs meublen zu St Germain meublirt. Sie[5] werden auch die arme leütte kein ander gelt bekomen, alß waß der königin noch rückstellig ist. Es ist kein wordt war, daß die königin s. ahn den marechal de Villeroy geschriben hatt; daß seindt lautter lügen. Man hatt wenig königinen in Englandt glücklich gesehen. Die konige dort seindt auch nicht die glücklichsten. Ich habe mich kein augenblick erfreüen könig,[6] daß der churfürst von Braunsweig konig in Englandt worden. Ich forchte alß, es wirdt mitt ein lami[7] enden. Gott bewahre unß davor! Daß eßen ist kommen, muß haußehre thun undt ahn taffel gehen; wir werden unßer gaste noch biß donnerstag behalten. Adieu, liebe Louisse! Seydt versichert, daß ich Eüch, so lang ich lebe, von hertzen lieb behalte!
P. S.
Muß noch sagen, daß ich heütte ein briff von bischoff von Osnabruck durch einen jungen Hamerstein bekommen. Ich kan dießen brieff ohnmoglich überleßen; glaube, daß viel fehler drinen sein, kan sie nicht uberleßen.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 19. Juni 1718 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 3 (1874), S. 294–296
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d03b0925.html
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