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Brief vom 20. August 1718

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


943.


[353]
St Clou den 20 Augusti 1718, umb 10 morgendts (N. 3).
Hertzallerliebe Louise, ich zweyffle nicht, daß ich morgen ein liebes schreiben von Eüch bekommen werde; also will ich heütte [354] ahnfangen, ahn[1] daß vom 6ten zu andtwortten. Unßer commerce mitt brieffen geht nun sehr richtig. Gott gebe, daß es dawern mag! Ihr betriegt Eüch nicht, liebe Louisse, wen Ihr glaubt, daß ich in perfecter gesundtheit lebe, hohem vergnügen ist ein ander liedt, jedoch so bin ich woll zufrieden, wen mir nichts neües schlimes vorkompt, ob daß gegenwertige zwar nicht zum besten ist; den ich habe in sorgen zu sein wegen meines sohns, der leyder hir gar zu viel feinde undt noch mehr falsche freünde hatt, welche solche böße leütte sein, daß man alles bey ihnen zu fürchten hatt. Daß eines von meinen enckelen[2] eine none wirdt gegen ihres vatters undt mein willen; daß die mutter die kinder erzicht, daß man schandt undt spott dran hatt; daß ich diß alle tag vor meinen augen sehen muß undt alles, waß ich dergegen sage, nichts hilfft; daß ich den puben so delicat sehen, daß er gewiß nicht wirdt leben können; daß ich alt undt kridtlich werde undt in nichts keine lost mehr nehmen kan; wen daß vergnügen ist, liebe Louisse, besitze ich es volkommen; jedoch, wie schon gesagt, kompt nichts neües hervor, bin ich all zimblich ruhig bey dießem alten übel. Daß parlement verfolgt meinen sohn mehr, alß nie, stifften die leütte undt burger zu Paris gegen ihm auff, welches viel unglück verursachen kan. Abendts, wen ich schlaffen gehe, dancke ich gott, wen nichts neües undt kein größer unglück vorhanden; daß macht kein ahngenehmes leben. Die meisten hir wolten gern den könig in Spanien zum könig; der ist ein schwacher herr, lest sich leichter regieren, alß mein sohn. Ein jeder meint, dadurch seinen vortheil zu bekommen. Also ist vor meinen sohn nirgendts nichts guttes zu hoffen undt nicht sicher noch, daß er konig würde werden, wen gleich der junge könig sterben [würde.] Vor mein sohn ist es ein glück, wen sein junger könig lang lebt. Die heimbliche feinde, so mein sohn hatt, beschonnen[3] ihren haß mitt dem, das der könig in Spanien undt seine kinder die rechten erben sein undt daß man dem könig in Spanien unrecht gethan, ahn sein vatterlandt zu renonciren machen, haben also einen schein von waß rechts, aber in der that ist es nur interesse. Von dem bischoff von Beauvais will [355] ich nichts mehr sagen; die sach ist zum endt. Den nahmen von Zilhard erinere ich mich noch woll, aber der person nicht. Ich habe Eüch andern nie keine andere hoffmeisterin gekandt, alß mademoiselle de St Paul, die einen carpfen in einen braunen brühe undt estüvée[4] so gar woll kochen konte, welches ich so hertzlich gerne aß. Der mutter disputation, ich will sagen, der fraw von Zilhart undt ihrer dochter, were gefährlich geweßen vor einen humor, so weniger tugendt gehabt hette, alß dieße; finde, daß die tochter vernünftig geantwort hatt. Ich habe Eüch vorgestern woll erwießen, daß ich den gutten, ehrlichen Schütz woll gekandt habe; sein endt jammert mich recht, wie Ihr mirs beschreibt. Ist er nicht zu ihr kommen nach seinem todt? Wen solche leütte nicht widerkommen, seindt keine gespenster in der weldt. Ich finde nicht, daß das freüllen Zilhart recht gehabt, den armen Schützen nicht mitt einem trost in jene welt zu schicken. Ich finde, daß die mutter ein beßer gemüht gehabt, alß die dochter; den eine solche aufrichtige, wahre liebe meritirt woll ein par threnen auß erkandtlichkeit; den der arme Schütz hatte sie ja in allen erhren geliebet. Ich habe doch lachen müßen, daß ihm sein dinner cha[r]lotten[5] brachte, alß er Charlotte rieff. Daß ist etwaß gar rares, daß man einen man vor seine modestie nimbt; in hundert findt man nicht eins von dießer gattung. Aber ich muß nun eine pausse machen; den es ist zeit, mich ahnzuthun im grand habit, habe 2 audientzen heütte, ein envoyes von Parme undt die herrn von der statt Paris, so neüe echevins gemacht haben. Diß geschicht alle jahr, liebe Louise!
Sontag, den 21 Augusti, um halb 7 morgendts.
Gestern abendts konte ich ohnmöglich wider zum schreiben gelangen. Erstlich war so eine abscheüliche hitze, alß ich mein tag deß lebens entpfunden. Nach dem eßen kamme ich in mein kühl cabinet, welches mich gleich einschlaffen machen, habe anderthalb stundt geschlaffen; hernach, wie ich wacker worden, habe ich die audientzen gehabt, wovon ich gestern [geschrieben.] Hernach war daß abendtsgebett undt gleich nach dem abendtsgebett fuhr ich mitt meines sohns gemahlin spatziren. Nach der promenade war noch [356] so eine abscheüliche hitze in den gemächern, daß ich mich ohnmoglich resolyiren konte, in wehrendem hocca zu schreiben. Heütte, glaube ich, wirdt es noch einen heyßern tag geben, alß gestern war. Einen solchen sommer, alß dießer ist, habe ich mein leben nicht erlebt; den es ist gestern 3 wochen geweßen, daß es keinen tropffen geregnet hatt, undt alle tag steigt die hitze; die blätter ahn den bäumen verdorren, alß wen man sie mitt feüer gesengt hette. Ich weiß nicht, waß endtlich drauß werden [wird;] dawert es noch so viel, alß es noch so so viel, alß es gedawert hatt, müßen menschen undt vieh verschmachten. Es haben etlich leutte prophezeydt, daß es biß mitwog regnen soll. Gott gebe es! Aber so lang es nicht regnet, wirdt man mich gewiß nicht zu Paris sehen. Wir finden, daß es hir gar heiß ist; aber alle, die von Paris kommen, ruffen: O, wie kühl ist es zu St Clou! Paris ist ein abscheülicher, heyßer undt stinckender ort nun; die gaßen stincken, daß mans nicht außstehen kan. Der gestanck kompt von den met[z]gern; den in dießer hitze verfault viel fleisch, die fisch dan, viel fisch, daß mitt den mengten[6] leütten, so in den gaßen pißen,[7] [357] macht einen solchen abscheülligen gestanck, daß einem recht übel dabey wehrn[8] mögte. Ich glaube, daß dießes die ursach ist, daß nun so gar viel krancken sein, kinderblattern undt hitzige fieber. Man hatte gesagt, die pest were hir im landt; aber daß ist nicht wahr. Es ist aber auch einmahl wieder zeit, daß ich auff Ewer liebes schreiben [komme,] muß nur noch sagen, daß zu Maison, ein stundt von St Germain, eine wunderliche kranckheit geweßen, so auffgehört. Es fing ahn wie ein hitzig lieber; die leütte starben in 3 tagen, undt so baldt sie todt wahren, bekammen [sie] große schwartze drußen; die gingen auff undt es kroch ein großer wurm herauß. Aber genung hirvon! Man kan nicht mehr estime vor jemandts erweißen, alß die gräffin (fürstin wolt ich sagen) von Ussingen in ihrer schwester brieff von Eüch, liebe Louisse, Louisse, bezeügt; sie muß Eüch recht lieb haben. Die mode, viel zu reden, ist nicht sonderlich viel bey den damen nun. Eine scheüt die ander; den die einigkeit ist nirgendts gar groß undt gar kein vertrawen, hergegen aber viel jalousie, wen man ein wort mehr mitt der einen, alß der andern, spricht. Man muß den becher gar eben tragen. Ich muß gestehen, ich kan den könig in Englandt gar nicht mehr begreiffen. Er hatt allezeit vor gerecht passirt, so lang er churfürst geweßen, undt nun hört man nichts von I. M., alß karchheit undt ungerechtigkeit, undt daß ahn seinem eintzigen sohn. Daß ist waß abscheüliches. Ob er zwar geschwisterkindt mitt mir ist, früge ich wenig darnach, wen er nicht ma tante sohn were; aber ihrethalben verdriest es mich recht, undt waß ahm ärgsten ist, liebe Louise, ist, daß daß laster mitt dem alter mehr zu-, alß abnimbt mitt dem alter. Daß hatt unßere liebe princes von Wallis zum fortheil, daß man I. L. in nichts unrecht geben kan. Sie sagt, sie hette ihr eintzig vertrawen auff gott gestehlt; der wirdt sie auch woll nicht verlaßen undt ihre feinde dempffen, die den konig von Englandt so gegen seine kinder auffgestifft haben; es müßen boße teüffel sein. So baldt ich erfahren, daß alles auff gelt ahngesehen [358] war, habe ich woll gedacht, daß alles nicht so baldt zum endt gehen würde. Die comtesse de Portlandt hatte keine apoplexie oder schlag bekommen. Das muß auch ein böß weib sein, weillen sie alles hervorsucht, printz undt printzes von Wallis zu chagriniren, ahnstatt daß sie mittel suchen solte, sie zu trösten undt ihre gnade zu gewinnen. Wie man mir die zwey printzessinen Anne undt Amalie beschreibt, gefiehl mir die printzes Amilie mitt ihren viven repliquen ahm besten, wie man mir … Dieße zwey printzessin gemahnen mich mitt ihren humoren ahn meine z[w]ey tanten s., die printz[essin] Elisabeth, abtißin von Herfort,[9] undt unßere liebe churfürstin s. Die fraw abtißin war auch in der gelährtigkeit begriffen, aber unßere s. churfürstin hatte einen ahngenehmen, naturlichen, lustigen verstandt. Es kan gar leicht geschehen, daß printzes Amelie ihrer groß groß fraw mutter nachschlegt; man hatt viel exempel, daß kinder eher den großeltern, alß leibliche vatter undt mutter, nachschlagen. Ihr habt recht, liebe Louise, in gantzen sieclen kommen nicht wieder solche personnen, wie unßere churfürstin war. Es fehlt leyder viel, daß ich den verstandt nicht habe, noch die vivacitet, so unßer s. churfürstin gehabt hatt. Waß man nur ahn mir lobt undt zu loben hatt, ist ein gutt, auffrichtiges gemühte, undt daß ich, gott seye danck, nicht so desbauchirt bin, alß es jetzt die mode unter den fürstlichen personnen vom königlichen hauß in Franckreich ist. Vor alle Ewere gutte wünsche, liebe Louisse, bin ich Eüch sehr verobligirt. Hirmitt ist Ewer liebes schreiben durchauß beantwort, will also enden. Erfahre ich dießen nachmittag waß neües, werde ich es noch hir zusetzen, wo nicht, so müst Ihr Eüch vor dießmahl mitt dießer epistel contentiren. Entpfange ich ein neü schreiben von Eüch, werde ich es vor donnerstag-post sparen. Adieu, liebe Louise! Seydt versichert, daß ich Eüch allezeit von hertzen lieb behalte!
P. S.
Umb 3/4 auff 5 abendts.
In dießen augenblick entfange ich Ewer liebes schreiben vom 9 Aug., no 61, werde aber, wie ich schon heütte morgen gesagt, erst zukünfftige post beantwortten.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 20. August 1718 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 3 (1874), S. 353–358
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d03b0943.html
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