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Brief vom 25. September 1718

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


953.


[388]
St Clou den 25 7br 1718, umb 3 viertel auff 8 morgendts (N. 13).
Hertzallerliebe Louise, gestern morgendt fuhr ich a la Meutte, umb abschiedt von madame de Berry zu nehmen, so heütte nach [389] Chantilli[1] verreist ist, wo sie biß auf zukümfftigen donnerstag verbleiben wirdt.[2] Es ist doch ein trouble feste geworden; den mademoiselle de Charolois, monsieur le ducs 3te schwester, so mitt ihrer fraw mutter auch nach Chantilli solte, ist auff einmahl sehr kranck ahn der rotten rour[3] geworden. Von der Meutte fuhr ich zum könig, welchen ich sehr gewacksen gefunden, spricht aber nicht mehr, alß er zu thun pflegte. Von dar fuhr ich au Palais-Royal, ging zu madame d’Orleans, welche noch muß geflendt haben; den sie hatte die augen sehr roht. Von darnach ging ich in mein apartement, wo ich so abscheülich viel leütte fandt, daß es eine solche hitze gab, daß ich meinte, zu ersticken, war obligirt, mich in meine garderobe zu salviren, wo mein sohn zu mir [kam,] undt blieb bey mir, biß ich ahn taffel ging. Er aß nicht mitt unß, hatte nur ahn taffel seine 3 ledige döchter, mademoiselle de Vallois, de Monpensier et de Beaugelois.[4] Nach dem eßen nach 3 uhr fuhr ich zu meinen gutten freündinen, die kleine Carmelitten. Umb 5 fuhr ich wider au Palais-Royal undt fundt die kleine printzes de Conti in meiner cammer mitt ihres sohns gemahlin undt dochter, mademoiselle de la Rochesurion.[5] Die behilte ich, umb mitt mir in die commedie zu geben; es wahren die ittalliensche commedianten, die sprachen frantzosch. Es wahren etliche gutt scenen drin. Wie ich eben nein gehen wolte, bracht man mir Ewer paquet mitt allen arttigen sachen, so Ihr mir schickt, hatte nur der zeit, die medaille vom keyßer in mein modern medaillen-kistgen zu thun, so allezeit zu Paris bleibt. Sage Eüch vor alles großen danck. Die kartten habe ich zwischen den acten in der commedie besehen undt artig gefunden; aber es war nicht hell genung, Ewer liebes schreiben zu leßen; habe es in sack stecken müßen, sowoll alß auch meiner dochter brieff undt der verwitibten königin in Spanien ihres. Ewer liebes schreiben ist vom 13 dießes monts, no 71, habe es erst hir geleßen undt gar nicht zu lang gefunden undt hoffe, noch ein theil davon heütte zu beandtwortten, werde aber noch ein theil vor biß donnerstag vor biß donnerstag spar[e]n; den wo mir gott leben undt gesundtheit verleyet, werde ich den tag wider nach Paris, werde [390] also nicht auff daß schreiben antwortten können, so ich selbigen tag von Eüch entpfangen werde, liebe Louise! Fange nun bey dem vom 10, no 70, ahn. Sehe gern, daß unßere brieff nun wider so richtig gehen. Ach mein gott, liebe Louise, ob ich schon nicht von meinem verdruß spreche, so bin ich doch nicht ohne sorgen; den meines sohns feindt seindt ärger gegen ihm, alß [nie,] undt dreüen allezeit, ihn zu assasiniren, wobey mir gar nicht woll zu muht ist; den es seindt die boßhafftigsten leütte von der welt. Dieße begebenheitten, so hir vorgangen, seindt remarquable genung, umb in den gazetten gesetzt zu werden. Seydt versichert, daß viel weniger zugesetzt wirdt, alß es sich in der that befindt! So verfluchte boße weiber, wie die alte zot[6] undt madame du Maine seyn, den ist auff nichts in boßheit zu trawen; sie thun noch mehr, alß sie versprechen. Alle deß königs kinder von der Montespan, außer der comte de Thoulouse,[7] seindt so hochmühtig erzogen, daß sie meinen, sie wehren alle höher undt beßer, alß wir. Madame d’Orleans meint, sie hette meinem sohn gnadt undt ehre gethan, ihn zu heürahten;[8] ihre cammermagt undt bedinten reden nicht anderst davon, halten alles guts, so mein sohn ihnen gethan, vor keine gnade, sondern vor schuldigkeit. Madame du Maine ist also weit davon, gnade zu suchen. Madame d’Orleans war wie ein verzweyffelt mensch, daß einem recht bang dabey werden solte. Waß mir noch übel that, war, daß ich auch böß wurdt undt doch nichts sagen wolte, sondern den zorn in mir fraß; daß ist nicht gesundt. Ich scheü allezeit sehr, neüe scenen zu geben. Madame de Berry kan leicht magnifiq sein, sie hatt 150 m. liff. einkommen daß jahr mehr, alß ich.[9] Sie ist nicht mehr so verthunisch in kleyder, alß sie geweßen, wirdt nun sparsamer. Monsieur Marion wirdt Eüch, liebe Louise, [391] nicht viel von mir verzehlen können, hatt mich kein halb viertelstundt gesehen. Ich habe Eüch von[10] letztmahl geschrieben, wie ich die in der schwartzen schachtel talckfiguren woll entpfangen habe; ist artlich gemahlt, es ist hier admirirt worden. Ich hoffe, daß Ihr mir mitt ehesten schreiben werdet, waß es kost. Alle die brüder Spanheim hab ich woll gekendt. Die 2 jüngsten wahren ein wenig wunderliche heilligen undt hatten einen sparen zu viel. Ich war kaum 7 jahr alt, wie man mich nach Hannover geführt; drumb hatt man mir so kleine tagreißen thun machen. Aber wo mir recht ist, hatt man mich von Münden nach Hannover in einem tag geführt, haben mir vielleicht die dorffer ersparen wollen. Zu Einbeck bin ich mein leben nicht geweßen, da kam alß ma tante s. alte hebame her. Waß soltet Ihr nun zu Hannover thun? Mir hatt der ort gar nicht übel gefahlen; wie ich da [war,] wahren die leütte mehr naif undt gutt, alß boß. Aber alles wirdt nun bößer in der welt, alß man vor dießem wahr. Bullinbroeck[11] undt Harlay seindt all eins; den er hatt vor dießem Harley geheyßen; aber mylord Oxfort[12] vatter kene ich nicht. Ich bin fro, wen Ihr große geselschafft habt, den daß erweist erstlich, wie sehr man Eüch estimirt, liebe Louisse, undt zum andern so gibt es Eüch verenderung undt verdreibt die melancoley, wozu Ihr ein wenig geneigt seydt, wie mich deücht, undt es ist nicht gesundt, sich in der melancolie zu laßen; drumb thue ich auch, waß ich kan, umb verenderung zu suchen, undt dieße ursach hatt mich gestern nach Paris in die comedie geführt undt wirdt mich noch biß donnerstag hinführen. Ich suche, wo ich kan, umb mir distractionen zu geben; es will aber nicht hafften, falle gleich wider in die trawerige reverie hinein. Der junge graff von Nassau-Weillburg wirdt Euch mehr von mir erzehlen können; den so lang er zu Paris geweßen, hatt er mich alle tag besucht. Es ist waß nobles, eine taffel, mitt 12 reichsgraffen undt reichsgraffen[13] besetzt. Ich hore die örter Heydelberg, Manheim, S[ch]wetzingen, wo ich ich meine jugendt zugebracht, [nicht nennen,] daß es mir nicht gleich ahns hertz rührt undt schir die threnen in den augen [kommen.] Wie ruhig undt lustig war ich damahls! Hiemitt ist Ewer erstes liebes schreiben vollig beantwortet. Ich komme jetzt auff daß vom 13, no 71, so ich, wie schon gesagt, gestern abendts umb 6 uhr entpfangen. Hirbey kompt ein schreiben von madame [392] Dangeau ahn Ihre fraw schwester, der fürstin von Ussingen, undt einer von monsieur G[ue]neaud ahn Eüch; aber waß er ahn Eüch begehrt, hatt er schon ahn Le Clair, der Suson man, geschrieben. Daß kan nicht [sein,] man erlaubt keine geweste Reformirten, nach Engellandt zu gehen; also ist es gantz ohnnohtig, daß Ihr mich drumb bitt; ich laße es ihm durch dem Clair schreiben. Ich wolte, daß wir hir ein wenig von Ewerem starcken regen hetten; den es ist so ein abscheülicher staub hir, daß man schir erstickt. Alles ist dieß jahr woll gerahten, die ärnte undt der herbst. Hir hatt man in 40 jahren kein so fruchtbar undt gutt jahr gehabt. Gestern abendt habe ich mich unterdeßen, daß man mich außgezogen, mitt den kupfferstücken divertirt, seindt possirlich. Ich habe noch nicht der zeit gehabt, die thaller zu sehen; dancke nochmahl gar schön vor alles, waß Ihr mir geschickt, liebe Louise! Heütte wirdt man mir neüe pomade divine bringen, davon werde ich Eüch über 8 tag schicken; den die Ewerige muß nun woll abgebraucht sein. Wehren in den thallern nur schmützige figuren, gings woll hin, aber ordinarie seindt insolente sachen drin undt leichtfertige sachen, daß ist zu arg. Es ist artlicher, liebe Louisse, mehr posten waß neües undt artiges zu bekommen, alß alles auff einmahl. Aber habt acht, daß Ihr mir auch nicht zu viel vor Ewern beüttel schickt! Daß compliment hettet Ihr woll ersparen können, daß ist gar ohnnöhtig. Größere sachen habe ich nicht von nöhten, die hatt man hie in der menge, liebe Louisse! Von der marquise de Breme weiß ich kein wort; ich will morgen mein sohn fragen; es muß nichts rechts sein, sonst würde ich sie kenen. Oder ist es nicht vielleicht madame la marquise du Breloy, welche sich lang zu Wien auffgehalten undt vor eine dame von der königin außgeben? Wen es die ist, so ist es ein[e] pure alte närin, die zwar bey hoff geweßen, aber wie alle narinen bey hoffen sein; ist nicht von qualitet, auch nicht ahn der konigin geweßen. Der comte Albert[14] hatt sie abscheülich geplagt, schnit ihr einmahl den schnurnestel[15] von einem endt zum andern ab, daß sie gantz im hembt stehen blieb. Närischer kan man nicht sein, alß sie ist. Vergangen jahr wolte sie mitt aller gewalt in [393] mein cammer. Ich ließ es wehren, den ich mag solche art leütte nicht leyden; sie ist 2 fingers dick geschminckt, thut auch roht auff die lefftzen; sie ist ein boßer nar, rett übel von allen leütten, sie ist über die 50 jahr alt, schon vor 37 jahren hir herumb geloffen. Wen es die ist, wie ich nicht zweyffle, so ist sie von jederman vom hoff bekandt vor eine pure narin. Man hatt recht, sie vor nichts rechts zu halten. Von monsieur Wabern habe ich mein leben nichts gehort. Aber nun muß ich eine pausse machen; dießen nachmittag werde ich Eüch ferner entreteniren.
Sontag, umb 7 uhr undt ein viertel.
Ich hatte gehofft, dießen nachmittag weitter zu schreiben können; alle[i]n ich habe mein leben nicht so viel verhinternüße gehabt, alß heütte. Gleich nach dem eßen bin ich entschlaffen; den ich habe bludts-übel dieße nacht geschlaffen; die sorgen quellen mich, habe selten ruhe nun. Biß donnerstag, wen unß gott leben lest, [will ich] ein mehrers sagen. Nun aber nembt noch nur mitt dießem vorlieb, liebe Louisse, undt seydt versichert, daß ich Eüch von hertzen lieb habe undt all mein leben behalten werde!
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 25. September 1718 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 3 (1874), S. 388–393
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d03b0953.html
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Tintenfass