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Brief vom 28. September 1718

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


954.


[393]
St Clou den 28 7br 1718, umb halb 11 morgendts (N. 14).
Hertzallerliebe Louisse, ich habe schon heütte eine gar verdrießliche arbeydt gethan, nehmblich zwey brieff nach Cassel zu schreiben ahm landtgraffen undt printz Wilhelm, welche mir geschrieben undt part geben von printz Wilhelms gemahlin glückliche niederkumfft; daß habe ich beantwortet undt wider abgeschrieben, welches warlich eine müheselige sage[1] ist, bin müder davon, alß wen ich 20 bogen geschrieben hette. Ich habe printz Wilm gesagt, wie daß ich Eüch schon commission geben hette, I. L. mein compliment zu machen. Es ist aber auch zeit, daß ich auff Ewer liebes schreiben komme. Ich war letzmahl ahn der dame geblieben, so ich madame du Breloy vermeine zu sein. Man thut woll, sie in keine [394] geselschafft zu nehmen; den sie ist gar nichts nutz undt hatt ein boßes maul. Glaubt mir! frantzösche damen, so sich in Teütschlandt … (außer refugirte) die andern seindt alle nichts nutz undt nicht würdig, in so ehrlichen versamblungen undt ge[sell]schafften zu kommen. Ich habe noch der zeit nicht gehabt, den article von unßerm gutten, ehrlichen fürst Ragotzi[2] zu leßen. Er lebt woll gar nicht desbeauchirt auff keine weiß, bett gar fleißig, fast gar offt, daß kan man ja woll devot heyßen. Daß er zu den Turcken gangen, ist kein wunder, der keyßer tractirt ihn übel undt stelt ihm nach dem leben, undt die Turcken haben ihm versprochen, keinen frieden ohne ihm zu machen undt wider zu seinem fürstenthum zu helffen; daß kan er ja nicht abschlagen. Dießen nachmittag werde ich seinen article in der gazetten leßen. Ist er vor Spanien, so bringt ihn sein freündt, der marechal de Thesse,[3] darzu, der sehr spanisch ist, wie schir alle mare[c]haux de France sein; den sie seindt schir alle creaturen von der alten zot, die hatt sie schir alle gemacht, waß sie sein, undt les hereauds[4] de la Maintenon hatt man lengst gesungen, stundten in den lardon[5] von Hollandt. Wen solte ich lieber in mein cabinet wünschen, alß Eüch, liebe Louise? Ihr seydt ja, waß mir jetzt in gantz Teütschlandt ahm geblüdt ahm negsten ist undt waß mir allein überig geblieben von alles, waß ich in Teütschlandt ahm meisten geliebt habe, undt daran kan ich nicht zweyfflen; den ich weiß, wie treü Ewer fraw mutter I. G. s. mein herr vatter geweßen ist, also seydt Ihr ohnfehlbar, waß ich alleweill gesagt habe, undt wen Ihr auch nur Carllutz schwester seydt, den ich wie mein leiblich kindt geliebt habe undt ahn welchem ich nicht dencken kan, ohne daß mir die threnen in den augen kommen undt daß hertz schwer wirdt. Auß dießem allem secht [Ihr] woll, liebe Louise, daß es gar keine flatterie ist, wen ich Eüch [395] bey mir in mein cabinet wünsche, sondern daß es recht von hertzen ernst ist. Daß ist possirlich, daß Ihr sagt, daß Ihr zu keiner zeitvertreib geschickt seydt undt unahngenehm. Meint Ihr den, daß ich lautter Venus oder der schönnen Hellena gesichter umb mich haben muß, daß ich in meinem alter lautter dantzendte undt springendte personnen umb mich habe? Nein, nein, liebe Louise, ich bin nun in dem alter, wo [man] keine lust mehr hofft, alß die von der freündtschafft. Aber [es] ist nun zeit, daß ich eine pausse machen; dießen abendt hoffe ich Ewer schreiben vollendt zu beantwortten. Gott bewahr mich vor interuption! Ich habe heütte viel zu thun, mein haar muß geschnitten werden undt auch ein elsteraug, so gar wehhe thut.
Donnerstag, den 29 7br, umb halb 9 abendts.
Ich hatt es woll vorgesehen, daß mir verhindernüße zustoßen würden. Erstlich so haben mich alles, waß ich den morgen zu thun gehabt, hatt mich spatter in kirch gehen machen, also auch spatter eßen; nach dem eßen bin ich in die vesper, den es ist heütte Michaely, von dar bin ich spatziren gefahren. Wie ich wieder kommen, hatt man mir, liebe Louise, Ewer paquet gebracht mitt den 2 cartten-spiel, woführ ich Eüch zwar sehr dancke, aber ich fürchte, liebe Louisse, Ihr werdet so viel schicken, daß Ewer beüttel endtlich davon wirdt incomodiret werden. Hiemitt ist es auch genung, liebe Louise! Ich habe Ewer lieben brieff vom 17 geleßen; aber ich werde erst, wo mir gott leben undt gesundtheit verleyet, biß sontag drauff antwortten, nun aber fortfahr[e]n, auff daß, so ich heütte morgen entpfangen hatte, zu antwortten. Mein courier hatt mir auch ein groß paquet von meinem secretarius gebracht, daß habe ich alles überleßen undt unterzeichenen [müßen;] dießes alles zu[sammen] hatt mich biß auff dieße stundt gebracht. Ich muß auch gestehen, daß ich nicht habe laßen können, die neüe cartten zu besehen undt mich damitt zu amussiren. Ich hoffe, doch noch vor dem nachteßen auff Ewer liebes schreiben zu antworten. Ich bin monsieur Marion obligirt, Eüch von meinem lieben duc de Chartre so avantageux gesprochen zu haben. Es ist ein recht tugendtsam, gutt kindt bißber; ich fürchte aber sehr, daß, wen er in die boßen geselschafften kommen wirdt, das die itzige junge bursch, so den teüffel [396] nicht deücht[6] undt weder tugendt, noch glauben haben, i[h]n verderben werden. Alle Frantzoßen lieben Paris über alles; die Parisser habe ich lieb, aber ich bin nie gern in der [stadt,] alles ist mir zuwieder drin. Daß art von leben (die, hette schir auff gutt pfaltzisch gesagt, die geheüregien), so man dort hatt, alles, waß man hört undt sicht, ist unerträglich, muß alß dort thun, waß man nicht will, man hatt weder nacht, noch tag ruhe dort undt offt hört undt sicht man gar verdrießliche sachen. Monsieur Marion hatt recht, zu sagen, daß viel geschminckte leütte hir im landt sein. Es ist nur zu war, daß sich weiber blaue andern[7] haben mahlen laßen, umb glauben zu machen, daß sie so zahrte heütte haben, daß man die adern sicht. Es ist auch wahr, daß jetzt weniger leütte schön sein, alß vor dießem wahren; ich glaube, sie veralten[8] sich mitt ihrem schmink. Freylich würde der kerl undt sein kutscher gestrafft werden, die so insolent mitt meinen pagen geweßen,[9] wen man wüste, wer es war; allein es war dunckele nacht undt sie salvirten sich in den Thuillerien. Suson hatt mir den rock undt die axel geküst auß freüden, daß Ihr ihr schon compliment so woll auffgenohmen habt. Es ist war, daß ihre mutter die beste fraw von der weldt war; aber sie hatte keine rohte hatt;[10] wen sie rohte haar gehabt hette, hette I. G. s. mein fraw mutter nicht gelitten, daß ich sie[11] geseügt; den I. G. s. hatten einen solchen abscheü vor rohtkopffige leütte, daß sie sich von ihnen nicht hetten ahnrühren laßen. Lustig war meine ame, daß ist gewiß, allein sie weinte auch gar leicht undt lachen undt weinen kamme bey ihr eins umbs ander. Mein sohn hatt von den waßer-melonen geßen, sagt, sie hetten nichts guts ahn sich, alß daß sie gar frisch wehren, hette[n] aber keinen gutten geschmack. Herr Zachman ist auff den todt kranck geweßen undt noch nicht recht woll, drumb haben sie Eüch woll nicht schreiben [können.] Daß arme weibgen will verzweyfflen. Ich bin gewiß, daß, wen Churpfaltz sich ein wenig wirdt ahn die pfältzische lufft wirdt gewohnt haben … Ich weiß dem churfürsten woll recht danck, daß ihm die augen übergangen sein, wie er daß arme schloß gesehen; da darff ich nicht ahn gedencken, es kompt mir gleich ein schaudern ahn.[12] Ich werde kein wordt ahn herrn [397] Zachman sagen von alles, was Ihr mir von Churpfaltz schreibt, ob es zwar mehr zu sein lob, alß blasme,[13] ist. Weillen er so gnädig mitt der fraw von Degenfelt von Eüch gesprochen, so hoffe ich, daß es ein zeichen ist, daß er Eüch contentiren will. Wen Ihr Lissander undt Caliste[14] nicht finden könt, wie[15] ichs Eüch schicken, ich habe es dopelt. L’Arcadie[16] ist der embrouillirster undt abgeschmackter[17] roman von der welt, der solte einem von allen romanen verleyden. Die ich ahm artigste[n] finde, seindt Astrée undt Cleopattre.[18] Seydt versichert, liebe Louise, daß ich Ewere liebe schreiben nie zu lang finde! Ich muß daß meine enden, den ich muß eßen undt nach bett gehen. Adieu, hertzliebe Louisse! Ich ambrassire Eüch von hertzen undt versichere Eüch, daß ich Eüch von hertzen lieb behalte.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 28. September 1718 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 3 (1874), S. 393–397
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d03b0954.html
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