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Brief vom 2. Oktober 1718

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


955.


[397]
St Clou, sontag, 2 8br 1718, umb 3/4 auff 11 morgendts (N. 15).
Hertzallerliebe Louise, ich fange spät ahn, zu schreiben; den ich habe ein brieff ahn mein dochter außgeschrieben von 17 bogen, undt der safft von körbel undt kreßen, so ich wider nehme, hatt mich schon 4 großer mahl spatziren machen, drumb schreib ich so spät. Ah, da kompt mir wider eine verhindernuß. Man bringt mir bücher zu kauff; daß hatt mich über eine viertelstundt amussirt. Nun komme ich auff Ewer liebes schreiben vom 17 7br, no 72. Der herr von Börstel kan woll von seiner baßen verstandt sprechen, aber nicht von ihrem gutten adel; den sie ist nur meines verstorbenen docktors dochter. Der Börstel, so sie geheüraht hatt, ist meines beichtsvatters schwester-sohn, der hatt den heüraht gemacht; den in Franckreich fragt man nichts nach angen,[1] alles leüfft drunter undt drüber. Meines herrn leibbalbirers enckel ist dame [398] d’atour bey der duchesse de Berry; sie [hat] einen edelman genohmen, so monsieur de Mouchy heist undt maistre de la garderobe bey dem duc de Berry, welche charge nur leütte von condition haben. Aber da schlegt es halb 12, ich muß mich ahnziehen.
Sontag, den 2 8br, umb 3 uhr nachmittags.
Wir wahren heütte morgen geblieben ahn madame Börstel; durch diß exempel von der Mouchi[2] undt von dießer dame secht Ihr, wie die leütte sich hir heürahten. Aber stille! Last unß nicht von mißheürahten reden![3] will lieber von madame Börstel reden, die ist von kindtheit bey mir erzogen, ihr vatter undt mutter waren gar ehrliche, gutte leütte undt sehr affectionirt; drumb hatte ich erlaubt, daß ihr eintziges döchtergen allezeit in meiner cammer war. Sie habens gar woll erzogen, ist gar nicht coquet, so etwaß rares in Franckreich ist; sie hatt teütsch gelehrnt undt redts all zimblich vor eine Frantzößin; sie kan auch spanisch undt ittalliens[ch,] sie kan woll reißen, woll sticken undt mahlt nicht übel, sie hatt verstandt, kan perfect woll leßen. Weillen ihr vatter mir so attachirt war, habe ich den konig s. gebetten, gutt zu finden, daß sie mitt mir eßen undt in kütsch fahren mag, welches der könig erlaubt; also ohne in meinen dinsten zu sein, folgt sie mir überall nach. Daß ist die gantze historie von der kleinen Börstel. Churpfaltz gibt seine vissitte baldt wider, daß er schon zu Darmstat ist. Da bringt man mir ein groß paquet von Eüch, liebe Louisse, dancke sehr vor die cartten. Aber hiemitt ist es auch genung. Ihr sagt mir aber nicht, waß die 2 talckschachteln kosten. Ich bitte Eüch, schreibt mirs doch! den die will ich nicht zu geschenck ahnnehmen, sondern weillen ich sie bestelt, will ich sie bezahlen. Ich komme wieder auff Churpfaltz. Daß were Eüch gemachlich, liebe Louisse, wen Churpfaltz nach Frannckfort kommen solte; den daß könte Eüch die pfältzische reiß versparen. Churpfaltz undt ich seindt zimblich fein mitt einander. Der forige churfürst war ein gutt gemüht, ich habe ihn lieb gehabt, er hatt mir allezeit viel amitié erwießen; er war bey mir in meiner großen kranckheit undt weinte so bitterlich, daß alle meinten, es were mein bruder. Ich habe es I. L. s. all mein [399] leben danck gewust. Dießer churfürst ist mir lieb, weillen er die Pfaltz lieb hatt. Ich kan nur gar zu leicht begreiffen, wie schmertzlich es Eüch sein muß, Heydelberg nun zu sehen undt nichts mehr dort zu finden, waß vor dießem dort geweßen; wen ich nur dran gedencke, kommen mir die threnen in den augen undt werde gantz trawerig. Nicht allein einen gruß, sondern, wen Ihr wolt, will ich Eüch woll einen brieff ahn Churpfaltz schicken. Schreibt mir nur, ob es Eüch ahngenehm sein wirdt! Mein schlaff ist noch nicht wie vorhin; ich schlaff ein par nächte durch müdigkeit undt accablement, aber hernach kommpt daß wachen wieder, den es ist mir gar zu bang vor meinen sohn mitt den verfluchten boßen leütten. Der duchesse du Maine undt der alten zot Maintenon kranckheitten haben nicht lang gewehrt; unkraut vergeht nicht; die boßheit ist bey dießen leütten zu starck eingewurtzelt, umb durch kranckheitten vertilgt zu werden können; ihre cabale ist sehr starck, ihr hinterhalt ist Spanien. Man sagt im frantzoschen sprichwort: En mangeant l’apetit vient. Sie haben auß boßheit außgebreit, daß noch ein lit de justice würdt gehalten werden, umb das parl[em]ent auffs neü gegen meinen sohn auffzuwicklen, den man [hat] nie dran gedacht. Der könig hatt von seinen uhralt herr vatter, monsieur s., daß [er] alles liebt, waß ceremonien sein. Le lit de justice hatt ihn viel weniger lange weill geben, alß die remontrancen. Mein gott, liebe Louisse, ich bin nicht wie der junge könig, ich liebe die ceremonien gantz undt gar nicht; Ihr macht mir zu viel façon, mich nicht recht herauß zu fragen, waß Ihr zu wißen begehrt. Der könig were gar artig, wen er nur ein wenig mehr reden wolte; aber man hatt mühe, worter auß ihm zu krigen, hatt also gar keine mühe, zu schweigen. Den duc du Maine mogte er all woll leyden, den er verzehlte ihm viel. Der marechal de Villeroy wirdt nicht abgeschafft werden. Wir fehlen niemandts rechts von hoff, also muß die spiellerin nur eine avanturiere sein. Ihr könt woll gedencken, daß etwaß rechts kein maison de jeu halten wirdt, welches nicht beßer, alß ein bordel, ist; daß sie gemein mitt einem weinhandler ist, wer eben keine,[4] daß sie nichts recht ist. Ist madame Veru,[5] so deß duc de Luine[6] dochter, deß conte d’Albert schwester ist undt deß königs in Sicillien [400] metres geweßen, nicht mitt einem teinturier davon geloffen, so monsieur Glü[7] heist undt au Goblein[8] ist? Dolle weiber gibts hir genung von allerhandt gattungen. Meuve muß eines banquiers fraw sein, sonsten kendt man kein andere Meuve hir. Es kan gar woll sein, daß die dame, so mitt dem weinhandtler spatzirt, a St Cire[9] geweßen; den es seindt 200 demoissellen drin, in 4 classen getheilt, 50 gelbe, 50 blaue, 50 grüne undt 50 rohte; wen sie 20 jahr alt sein undt keine nonen wollen werden, lest man sie lauffen, wohin sie wollen. Heütte ist [es] so kalt, daß man hatt feüer machen müßen. Ich habe mich warmer gekleydt undt den damast genohmen. Diß wetter förchte ich noch nicht, sondern den schnee undt frost. Bin Eüch obligirt, liebe Louisse, daß wetter meinetwegen anderst zu wünschen. Es ist schon lang, daß der thumherr[10] Veninger hir ist, sicht gar nicht veningerisch auß; es ist mein patte, er ist 28 jahr alt, könte also ja woll selber vor sich sorgen undt seine sachen führen. Daß wehre ja ungerecht von churfürsten, wen er die veningische lehen den Sickin[g]ische geben solte, da noch ein Veninger im leben. Ich treibe den Veninger, so viel ich kan, sich zu heürahten. Die Sickingische haben haben gutten apetit, wie ich sehe, daß sie von allen seytten erben wollen, ohne rechte erben zu sein. Ich fürchte, daß pfaffenwerck mitt unterlaufft undt daß die Sickingische pfaffen undt beichtsvatter bestochen haben, dem churfürsten weiß zu machen, daß, wen ein Reformirter waß begehrt undt ein Catholischer, daß mans dem Catholischen geben muß; ich weiß dergleichen stückelger mehr. Ich wünsche, liebe Louisse, daß Ihr es zu einen beßern zweck bringen möget undt es wieder auff die Chombergische bringen mogt. Hiemitt ist Ewer liebes schreiben vollig beantwortet. Ich muß schließen, den da kompt madame d’Orleans ahn. Adieu, hertzliebe Louise! Ich ambrassire Eüch von hertzen undt behalte Eüch lieb biß ahn mein endt.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 2. Oktober 1718 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 3 (1874), S. 397–400
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d03b0955.html
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