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Brief vom 27. April 1719

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1013.


[099]
Paris den 27 April, umb 7 uhr morgendts, 1719 (N. 80).
Hertzallerliebe Louise, wie ich gestern abendts, alß ich auß der commedie kommen, Ewer paquet sambt Ewerm lieben schreiben vom 10, no 30, zu recht entpfangen undt[1] gleich der fürstin von Ussingen schreiben ahn madame Dangeau geschickt, welche noch nicht woll ist; undt gestern ist ihr ein rottlauffen ahngestoßen. Ich komme aber jetzt auff Ewer liebes schreiben, welches ich noch dießen morgen hoffe vollig zu beantwortten, ehe ich wegzige; den ich werde zu St Clou zu mittag eßen. Madame de Berry ist freyllig auff den todt gelegen. Die hollandische zeittung hatt dießmahl nicht gelogen. Die letzte ohlung hatt sie nicht bekommen, aber es war nahe dabey. Convulsionen hatt sie gehabt, daß ist gar gewiß, aber es war, waß Ihr, liebe Louise, gerahten habt, nehmblich mutterwehen. Die kranckheitten habe ich mein leben nicht gehabt; aber madame de Berry ist von einer race von mutter seytten, die alles fühlen können, waß die mutter betriefft. Wir haben nichts zu fürchten; den im alter vergeht es auch denen, so es gehabt haben. Es war kein comet, waß man hir gesehen hatt; es war nur eine clarheit, aber heller, alß der sonnenschein, gar wunderlich, hatt nur etliche minutten gewehrt. Den abriß, wie man es zu Londen gesehen, hab ich nicht in Ewerm paquet gefunden. Die Ewer paquet gemacht, müßen es vergeßen [haben]; es ist mir leydt, hette es gern gesehen. Betrübtnuß ist jederman schädtlich, aber insonderheit den mänern; bin also nicht verwundert, daß graff Degenfelt sich übel befunden. Der duc de Richelieu ist ein ertzdesbeauchirter, nichtsnutziger mensch, ein poltron, der doch weder ahn gott, noch sein wordt glaubt; er hatt sein leben nichts gedaucht undt wirdt nichts deügen, falsch, verlogen, dabey ambitieus, wie der teüffel[2]. Er ist aber leyder hir in Franckreich nicht allein von dem humor. Man konte eher loven undt bären bandigen, alß Frantzoßen, undt ich finde mein sohn woll unglücklich, mitt denen leütten zu thun zu haben. Der duc de Richelieu ist nicht 24 jahr alt. Ich findt ihn nicht so schön, alß alle damen ihn hir finden; er hatt gar eine artliche rane[3] taille undt hübsche haar, ein oval gesicht, aber schon [100] gar holle augen, undt man sicht ihm den schelmen im gesicht ahn; er ist polis undt hatt verstandt, aber sicht doch dabey sehr insolent auß undt daß es ein verdorben kindt ist. Daß erste mahl kame er in die Bastille, weillen er sich falschlich berümbt, er hette bey madame la Dauphine[4] undt alle ihren jungen damen gelegen, welches eine abscheüliche lügen war; daß zweytte mahl kamme er in die Bastille, weillen er selber zu wißen that, daß der chevallie[r] de Baviere sich mitt ihm schlagen wolte, undt dieß stück nun, qui couronne l’œuvre, wie man im sprichwort sagt. Vor zwey tagen hatt man noch ein man von qualitet in die Bastille schicken müßen vom hauß de Laval[5], so mitt monsieur undt madame du Maine unter der decken gespilt undt von den marquis de Pompadour ist ahngeklagt worden. Alberoni kan alß falsche stück thun; ich finde es sehr loblich vom admiral Bings[6], sich nicht vom Alberone bestechen zu laßen; der[e]n wirdt man wenig in Franckreich finden, wo die meisten keinen andern gott ahnbetten, alß den gott Mamon. Den brieff von Ewerer elsten niepce habe ich auch nicht in mein paquet gefunden; dießes undt der abriß von der commette[7] müßen beysamen geblieben sein. Die printzes von Tarante s.[8], meine tante, hatt mir verzehlt, daß im Haag denselben tag undt stundt, daß ihr oncle, landtgraff Fritz, umbkommen, alß sie im Haag im vorhaut[9] spatzirte mitt ma tante, die fraw abtißin, so damahl noch bey ihrer fraw mutter, der königin von Böhmen, war, hatt[en] einander unter dem arm, auff einmahl ließ die printzes von Tarante einen schrey undt sagte, jemandts drucke ihr den arm abscheüllich; man besahe den arm, da sahe man 4 finger undt einen daumen marquirt, gantz blau, blau. Sie schrieb gleich auff, waß gesche[he]n war, undt sagte dabey: Mein oncle, landtgraff Fritz, muß todt sein, den er [hat] mir versprochen, mir gar gewiß adieu zu sagen. Man schrieb es auff, fundt sich hernach, daß er selbigen tag umbkommen were. Aber der fürstin von Homburg avanture undt[10] noch wunderlicher, alß dieße, so Eüch monsieur Diesenhaussen[11] gesagt. Hiemitt ist [101] Ewer letztes liebes schreiben völlig beantwordt; nun ich aber noch ein stündtgen in meiner cammer zu sein habe, will ich Eüch entreteniren, biß ich mich ahnziehen muß. Ihr müst Eüch, liebe Louise, in Ewerem letztem schreiben im datum verschrieben haben; den Ihr dadirt vom 10, no 30; daß kan nicht sein, weillen Ewer liebes schreiben, so ich die post vorher entpfangen, war vom 11 April, no 29, also kan ja no 30 nicht vom 10 April sein. Es were woll kein wunder, daß ich überzwerg[12] schribe undt revirte mitt allen den verdrießlichen sachen, so ich im kopff habe; mögte woll endtlich gar, wo nicht zum naren, doch kindisch wehren[13]. Mein verstandt ist gering undt kompt meinem herrn vattern undt tanten nicht bey, habe nur, waß man hir sens commun heist, sich fortzuschlepen. Aber ich bin in gottes händen, darauf ist mein einig vertrawen; er machs mitt mir, wie ihm gefehlt! Waß ich von ma tante von Herfort letzten jahren weiß, ist, waß unßere liebe churfürstin s. mir in ihren schreiben verzehlt hatt. Aber da kompt man mir sagen, daß der könig umb 11 uhr kommen wirdt; daß benimbt mir 3 viertelstundt, da ich gehofft zu schreiben. Le diable au contretemps lest mir nie nach. Gott gebe, daß er mir nur zu St Clou mag ruhe geben! Jedoch habe ich in[14], den diable au contretemps, so erdapt, daß mein brieff heütte doch noch nicht gar klein ist. Ihr habt recht, es vor gefahrlich zu halten, in Englandt betrübt zu sein. Vor graff Degenfelt, der ein rechter Teütscher ist, hatt es keine gefahr, aber woll vor seine gemahlin, so in Engellandt gebohren undt erzogen ist. Ich bin nicht so delicat, übel zu nehmen, daß Ihr Ewere kinder in Ewern wünsch[en] bey konigliche personnen setzt; es were ridicule, wens anderst wehre. Naturliche reden gefallen mir beßer, alß gezwungene; den ich bin gantz naturlich, undt ahn naturlich reden zu hören, kan ich von Eüch sagen: Je recognois mon sang. Ich gestehe, daß ich madame de Berry lieb habe, weillen sie mir viel freündtschafft erweist; aber daß ich sie nicht gern anderst sehen wolte, ist, under unß gerett, woll war. Waß hilffts, daß mein sohn en[t]deckt die, so wider ihn sein? Er ist zu gutt, alle leütte jamern ihn gleich undt strafft niemandts nach gebühr ab. Daß macht die andern gehertzter. [102] Herr Steingens ist nicht hir, wirdt auch nicht herkommen. Man weiß woll, daß er gutt spanisch ist. Die Churpfaltz dazu rahten, seindt seine freündt nicht; die Pfaltz ist zu nahe bey Franckreich. Man sagt hir, daß ein Wießer herkommen wirdt. Ewere brieff, liebe Louisse, kurtz oder lang, se[i]ndt mir allezeit ahngenehm; were mir leydt, wen Ihr Ewere affairen wegen meinen schreiben negligiren soltet. Hiemitt ist Ewer liebes schreiben no 29 auch vollig beantwortet. Führte man mir nicht so mal apropo den könig her, hette ich heütte noch alles außschreiben können; aber ich spare es vor biß sontag zu St Clou. Adieu! Ich ambrassire Eüch von hertzen, liebe Louise, undt behalte Eüch recht lieb.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 27. April 1719 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 4 (1877), S. 99–102
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d04b1013.html
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