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Brief vom 30. April 1719

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1014.


[102]
St Clou den 30 April 1719, umb 4/3 auff 9 morgendts (N. 81).
Hertzallerliebe Louisse, Ihr werdet von meinem brieff von vergangenen donerstag ersehen haben, wie daß ich selbigen tag her zum mittageßen kommen bin. Ich finde mich recht ruhig auß dem betrübten undt verdrießlichen sachen, hört undt sicht, wovon ich nicht mehr reden will[1]. Es ist kälter hir, alß zu Paris, aber ich habe so braff feüer machen laßen, das nun alles eingewermbt ist, finde mich recht ruhig undt woll hir; gott stehe mir ferner bey! Gestern fuhr ich nach Meüdon. Daß fieber hatt, gott lob, madame de Berry gantz verlaßen; sie ist ein wenig mager geworden, sonsten sicht sie gantz woll auß, kan aber noch nicht gehen. Ich habe seyder donnerstag kein frisches schreiben von Eüch entpfangen, habe aber noch daß von 8 undt 4 dießes mondts zu beantwortten, fange bey dem vom 8 ahn; nur noch vorher sagen, daß ich schon eine schwehre arbeydt gethan, nehmblich einen brieff von der jetzigen königin in Schweden zu beantwortten, so mir der comte de la Marck gebracht undt vergangenen mitwog geben, alß ich auß der commedie kam. Solche brieff seindt [eine] verdrießliche sach undt ein gezwungen werck, welches natürlichen leütten, wie ich bin, sehr schwehr ahnkompt. Printzes von Wallis hatt woll leyder andere sachen zu gedencken, alß ahn meine medaillen zu gedencken; den [103] es geht leyder dort noch gar überzwerg her. Waß ich der liebe[n] printzes schicke, ist nichts rares, nur kleine lapereyen nach proportion von meinen kurtzen beüttel. Könte es sich weitter erstrecken, würde ich von hertzen gern waß schönners schicken, aber wie daß teü[t]sche sprichwordt gar recht sagt:
Man muß sich strecken
Nach seiner decken.
Ich werde fro sein, die genealogie-bücher zu bekommen. Ich wünsche sehr, daß Eüch mein gar klein remede woll bekommen mag vor Ewere augen, liebe Louise, wen sie wieder roht werden solten. Ich habe zwey dicke artzeneybücher von I. G. meiner fraw mutter s., brauche aber nie nichts drauß; aber es amussirt mich etlichmahl, es durchzusehen. Daß Nürnberger pflaster, so den rücken jucken macht, were mir nicht zuwider; den ich finde, daß den rücken kratzen eine solche große lust, daß viel sachen, so man vor lust helt, nicht dabey kommen. Mein docktor ist der beste docktor von gantz Franckreich undt ich habe ein groß vertrawen zu ihm. Es ist ein gelehrter man, so viel verstandt hatt; er reht[2] sein leben nicht von docktriren, man consultire ihn den; er ist ein lustiger man von gutter geselschafft. Hir gehen die docktor[e]n nicht in mantel undt rabatten[3], wie in Teütschlandt, sondern tragen cravatten[4] undt grawe kleyder mitt goltenen knopff undt bouttonieren[5] undt schonne, lange perucken. Also solte man monsieur Teray, so nicht alt undt wollgeschaffen ist, eher vor einen obersten, alß vor einen docktor, ahnsehen. Gestern hat es gar rein hir geschneyet; aber der schnee schmeltzt hir gleich, bleibt nicht liegen. Seyder wen sagt man nun zu Teütsch: Dieße nacht hatt es wider gefrihrt? Den zu meiner zeit sagte man gefrohren Es ist kein wunder, daß es verenderlich wetter ist; den wie daß Sprichwort lautt:
Aprilenwetter,
Jungefernlieb undt roßenbletter
Wehrt nicht lang.
Daß eyß kan ich woll entberen; es were mir aber leydt, wen ich pfirsching entberen müste, die ich hertzlich gern eßen[6]. Abricossen [104] finde ich nicht gutt hir im landt; entweder seindt sie gantz mehlich, oder schmecken nur wie waßer; aber die pfirsching seindt admirable hir. Nach pflaumen, wo man hir ein groß werck von macht, da frag ich nichts nach. Wens gar warm ist, drincke ich mein waßer über daß eyß, aber den wein nicht; finde, daß eyß den we[i]n gantz verdirbt undt sawer macht. Bißher ist nichts drunten im gartten verdorben, alß feygen undt abricosen en plain vend[7]. Nach weiße feygen frag ich wenig, rotte es[8] [ich] gern, aber sie seindt rar hir. Der duc de Richelieu ist nicht in deß duc undt duchesse du Maine conspiration, hatt ein partie apart gemacht, solle sich im kopff gesteckt haben, sich so considerabel zu machen, daß er einen über die maßen großen heü[r]aht würde thun können, so man biß dato nicht hatt leyden wollen[9]. Es ist ein gar impertinent personage in allen stücken, piquirt, weder ahn gott, noch sein wordt zu glauben. Nein, der duc, über welchem sich zwey damen haben schlagen wollen, ist der duc de Richelieu nicht, sondern der prince de Soubisse[10], deß ducs undt prince de Rohan sein sohn. Er ist nicht heßlich, gleicht aber einem milchkalb; der hatt aber die ehre, monsieur le duc die schuhe außgetretten zu haben; dießer aber [105] hatt sich mitt einer andern getröst, so auch einen … Wie der man es erfahren, solle er seine fraw gantz schwartz undt blau geschlagen haben. Der gouverneur von Metz, monsieur de Sailliant[11], ist vor etlichen tagen nach Paris kommen, seinen neveu zu discoulpiren; aber ich glaube nicht, daß er dazu gelangen wirdt können[12]. Aber ich fürchte, daß die bursch alle nicht nach würden werden gestrafft werden; mein sohn kan sich nicht resolviren, bludt zu vergießen. Ich fürchte aber, daß es ihm gereüen wirdt; den wen man die Frantzoßen nicht in forchten helt, helt man sie nicht. Deß baron Gortz döchter jammern mich von hertzen. Mein sohn hatt sich beßer von seiner großen aderläß befunden, alß man es hette hoffen können. Biß zukümfftigen sambstag wirdt die reye ahn mir sein; will Eüch über 8 tagen berichten, wie es abgangen. Ich muß gestehen, ich bin alß verwundert, daß Paris noch stehet undt nicht versuncken ist über alles gar bößes, so tag undt nacht dort vorgeht, daß einem die haar zu berg stehen mögen. Man muß doch allezeit betten, den daß ist unßere Schuldigkeit. Ich sage von hertzen amen auff die gutte wünsche, so Ihr, liebe Louise, vor die arme sünder thut, daß sie gott bekehren mag. Monsieur Dießenhaußen muß divertissant zu hören sein, so viel schönne historien von gespenster zu wißen. Aber alle Schweden seindt so; einer, so Schnaack hieße undt sonst nicht viel nutz war, nun zu Rom geistlich geworden, wuste auch viel gespensterhistorien, so mich offt von hertzen hatt lachen [machen]; fragte mich einmahl gantz ernstlich, ob man hir nie keine heckßen in der lufft fahren sehe undt schritlings sich auff kirchenthürnen setzen. Ich sagte nein undt lachte von hertzen über dießen schnit[13]. A propo[s] von unehrlichen leütten, der Kurtz von Can ist wieder zu Paris. Ich habe ihn bitten laßen, nicht wider vor mir zu erscheinen undt daß [ich] ihm die impertinentz noch nicht vergeben hette, seine hur mir alß seine fraw herzuführ[e]n[14]. Der captein Cron muß quinten undt starcke einbildungen haben. Aber waß solten die 11 schlüßel bedeütten? Der captein Cron[15] wirdt [106] sich gewiß vor einen hexenmeister außgeben, ein schöne kunst undt handtwerck, worunder die fourberie nicht fehlt; den in die line[a]menten von der handt zu sehen, daß der vatter ein fürst, die mutter eine gräffin war, kan man nicht sehen; er muß es dem botten[16] außgelockt haben, so die wackerne[17] handt gebracht. Leütte mitt forchtlichen gesichtern stehen solche historien beßer ahn zu verzehlen, alß ein hübsch gesicht. Da ist woll kein zweyffel ahn, daß Ewerer kleinen niepce seel zu gott gangen; da zweyffelt keine religion ahn. Englandt ist gar eine zu große reiß vor Eüch. Ich kan mir nicht einbilden, daß Ewere niepce, die gräffin von Degenfelt, sich wirdt resolviren können, Englandt zu quittiren. Hiemitt ist Ewer lieben[18] schreiben von 8 vollig beantwortet, liebe Louisse! Es wirdt spät, ich muß mich ahnziehen, in kirch zu gehen. Dießen nachmittag werde ich dießen brief schließen.
Sontag, umb halb 10 abendts.
Le diable au contretemps verfolgt mich sowoll zu St Clou, alß zu Paris. Ich habe gemeint, Eüch nach dem eßen zu entreteniren können, aber nach 12 ist die großhertzogin herkommen, so mitt unß geßen. Gleich nach dem eßen habe ich Ewer liebes schreiben vom 18 April, no 31, entpfangen, hernach bin [ich] ein wenig lufft schöpffen gangen, von dar in kirch. Wie ich wider kommen undt ein par wort ahn mein dochter habe schreiben wollen, hernach ahn Eüch, ist der printz von Durlach herkommen, eine ha[l]be stundt hernach der von Darmstat; die haben mich gar lang interompirt. Also ist es mir unmöglich, daß ich mehr sage dießen abendt; den monsieur Teray zürnt schon, daß ich nicht ahn meine toillette bin, muß also wider willen schließen undt Eüch nur versichern, daß ich Eüch, liebe Louisse, von hertzen lieb behalte.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 30. April 1719 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 4 (1877), S. 102–106
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d04b1014.html
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