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Brief vom 4. Juni 1719

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1024.


[134]
St Clou den 4 Juni 1719 (N. 91).
Hertzallerliebe Louise, vorgestern habe ich Ewer liebes schreiben vom 20 May, no 40, zu recht entpfangen. Mich deücht, unßer commers geht nun gar richtig. Gott gebe, daß es dawern mag! Ich bin, gott sey danck, nun in gutter gesundtheit undt komme allgemach wieder zu kräfften. Gestern starb zu Paris ein 80jahriger man; gott wolle ihm vergeben, waß er mir 30 jahr lang, daß ich mitt meinem herren gelebt, übels gethan hatt! Es ist der marquis Deffiat[1], so oberstallmeister undt jagermeister bey meinem herrn undt auch bey meinem sohn geweßen. Er hatt meinem sohn ein schön hauß undt gutt von hunderttaußendt francken vermacht; mein sohn hatt es aber nicht ahnnehmen wollen, sondern seinen erben [135] wider geben[2]. Es war ein steinreicher man; man[3] hatt tonnen undt kisten mitt golt in seiner cammer stehen gehabt, daß, wie kürtzlich daß feüer in seiner cammer, haben 6 mäner die kisten nicht rücken können; so schwer wahren sie. Er hatt keine kinder nachgelaßen, lautter lachende erb[e]n[4]. Die gutte marquise Dalluy[5], seine tante, deren hatt er einen schönnen rubin hinterlaßen. Ihres mans niepce aber solle alle daß bare gelt bekommen undt alle meublen. Die arme marquise habe ich besucht, ehe ich von Paris bin; sie logirt just gegen meiner cammer über, ist woll hertzlich betrübt, jammert mich. Ich hab ihr gerahten, sich auß dem trawerigen Paris zu machen undt herzukommen, wo die lufft beßer ist undt wo es nicht so warm. Ich war nur ein augenblick in ihr cammergen, so klein undt niederig wie ein entresol ist. Ich dachte, zu ersticken; kan nicht begreiffen, wie sie dort leben kan, undt sie hatt ihr klein apartement hertzlich lieb. Morgendts wie ich umb halb 12 zu Paris ahnkam, stieg ich ins Carmelitten-closter ab; da fandt ich die gutte duchesse du Lude, so dort zu mittag aß. Die leydt tag undt nacht ahm potegram undt ist doch lustig undt ruhig dabey, alß wen ihr nichts fehlt, sicht auch recht woll auß; den sie ist schon 76 alt, scheindt keine 50, hatt ein hübsch, voll gesicht. Es kam mir auch eine baß, madame la princesse leibliche niepce, welche den comte d’Oursch[6] geheüraht, welchen der keyßer nun zum hertzog undt fürsten gemacht; weillen er aber hir kein rang hatt, sie also nicht sitzen kan, also kan sie mich nicht im Palais-Royal sehen, sondern nur in einem closter, wo man allezeit stehet undt nicht sitzt. Ihres herrn vattern schwester, printzes Christine von Salm, welche ihre niepce abscheülich hast, daß sie keine none hatt werden wollen, hatt dieße arme printzes mitt ihrer tante, madame la princesse, so brouillirt, daß sie sie nicht sehen will. Sie hette gern, daß ich ihren frieden machte, aber es ist keine leichte sache; den die madame [136] la princesse hatt die printzes Christine zu lieb, umb nicht ihr parthie gegen die niepce zu nehmen, welche ein wunder [von] posturgen ist, hindten undt fornen pukelicht undt so klein, daß sie mir kaum ahn die naß geht. Sie ist weiß, hatt große blaue augen, so eben nicht gar heßlich sein, den sie hatt verstandt drin, spricht auch mitt großer vivacitet, spricht gar gutt Frantzöß, aber nicht so gutt Teütsch, hatt wie einen luckischen accent; man gewondt sich ahn ihre figur, aber der erste ahnblick surprenirt; es erschrickt einer schir davor. Von den Carmelitten fuhr ich au Palais-Royal zu madame d’Orléans, die lag ahn einer starcken migraine zu bett; [mein sohn] machte mir seine excusse, daß er nicht mitt mir eßen konte; seine 4 kinder aber aßen mitt mir, nehmblich sein sohn, mademoiselle de Valois, de Monpensier undt Beaujolois. Dieße letzte ist woll daß artigste kindt von der welt, allezeit lustig undt bringt poßen herführ, daß man daß lachen nicht halten kan. Die Monpensier aber jamert mich; den es ist daß unahngenehmbste, widerlichstes kindt, so ich mein leben gesehen. Nach dem eßen fuhr ich zum könig, welchen ich, gott seye danck, in volkommener gesundtheit fandt. Abendts ging ich in die ittalliensche comedie undt hernach wieder her, nahm mein ey undt ging nach bett. Es ist aber auch woll einmahl zeit, daß ich auff Ewer liebes schreiben komme, wo ich geblieben war. In kutschen fahren kan mich nicht erhitzen, die ich gewohnt bin dreysich jahr lang, zu pferdt undt 10 jahr in caleschen den hirsch undt wolff zu jagen; also ist mir daß kutschenfahren, alß wen ich in einem bette lege. Meine kutschen seindt alle wie ein schiff so samfft; den sie seindt alle a ressort[7]. Zu Paris ist eine erschreckliche hitze, aber in meinem cabinet hir ist es kühl undt ich fahr selten nach Paris. Es war gestern 14 tag, daß ich nicht dort gewest war. Ich schreibe Eüch hir in meinem cabinet, wo ich seyder halb 7 uhr bin. Es ist recht gutt hirin sein, man spürt die hitze nicht. Ungesundt ist daß unbeständige wetter, daß ist woll gewiß [und so] hört man von gar viel krancken überall. Es ist gestern eine fraw zu Paris todt in ihrem bett gefunden worden. Die ist ahn etwaß wunderliches gestorben; sie war in kurtzer zeit so abscheülich dick geworden, daß sie gemeint, sie were waßersüchtig geworden, undt hatt viel dagegen gebraucht, so sie nur imm[e]r dicker gemacht. Derohalben ist sie auß Flandern [137] herkommen, nach Paris, will ich sagen, umb sich in deß hollandischen docktors Helvetius [behandlung] zu begeben, welcher ein gar gutter docktor ist undt von großer reputation. Vatter undt sohn seindt beyde docktoren undt gar geschickt undt gelehrt[e] leütte[8]. Wie Helvetius zu ihr kam, erschrack er, ihre dicke zu sehen, sagte, er könte ihr nichts ordonniren, er müste erst die kranckheit examiniren. Diß war donnerstag abendts; freytag morgendts, wie er wider zu madame Doujat kompt, findt er sie todt. Abendts hatt man sie geöffnet undt funden, daß ihr daß fett im leib ahngangen undt geschmoltzen ist, so sie erstickt hatt. Daß ist doch ein wunderlicher todt. Ich hab ihren vatter woll gekent, der war intendent über der großen Mademoiselle s.[9] ihr hauß. Ich weiß nicht, ob er noch lebt; hieß Rolinde, ein gar verstandiger, aber bößer man. Hir im landt hatt man selten starcke gewitter, es regnet gleich mitt dem donner. Gott seye danck, [daß] Eüch, liebe Louisse, Ewer aderlaße undt purgationen woll bekommen sein! Nichts matt mehr ab, alß remedien; ich habs verspürt. Ihr thut woll, zu widersprechen, daß man Eüch keine eintracht[10] in Ewern gerechtigkeitten auff Ewern güttern thut. Daß wer woll ungerecht von Churpfaltz; will hoffen, daß es ein mißverstandt sein undt sich finden wirdt. Ich kan nicht leyden, daß man leütte umb ihrer religion plagt. Affairen müßen Eüch amussiren undt divertiren; sonsten wer es ohnmoglich, daß Ihr Eüch so mitt hudlen mögt. Wen mein leben drauff stünde, ich konte es nicht vor mein eygen interesse thun, will geschweig[en] vor andere, insonderheit vor einem, der mirs nicht danck wißen könte. Gott gebe, daß der graff von Degenfelt undt seine gemahlin es beßer erkenen mögen! Daß zeügnuß geben Eüch alle die, so Eüch kenen, daß Ihr gar nicht interessirt sein[11]. Aber daß geschrey geht nicht so vor den graffen von Degenfelt. Man mag ihm aber auch vielleicht auch woll unrecht thun. Weillen ich ihn nie gesehen undt nicht kene, kan ich nicht davon judiciren. Tragen die pfarer cravatten? [138] Daß kompt mir possirlich vor. Wolff undt seine fraw kene ich gar [wol.] Wolff ist gar ein gutter, ehrlicher, auffrichter Pfältzer, er ist kein kauffman, sondern ein banquier. Mein sohn helt viel von ihm, hatt ihn einen ehrlichen man funden, hatt vertrawen zu ihm. Er kompt offt zu mir, wen er hir ist. Seine fraw ist gar schon geweßen, aber nun schon zimblich bey jahren. Deß abbé Bouquoy vatter kene ich nicht, hatt mir aber so woll, alß sein oncle, offt geschrieben. Waß er Eüch vom pasport gesagt, ist war; er war in Flandern undt nicht in Franckreich. 4 personnen seindt auß der Bastillen gelaßen worden, ein advocat, deß Malecieux[12] elster sohn, Montaubans dochter undt ein laquay von madame Du Maine; den man nicht auff sie gefunden, waß man sie beschuldigt hatte. Ich fürchte, der könig in Englandt veracht seinen feindt zu viel, die doch nicht zu verrachten; den der chevallier de St George hatt noch starcke partien in Englandt, Schotlandt undt Irlandt. Ich wuste woll, daß die Kielmanseck eine pension hatt, aber ich wuste nicht, daß ihre dochter ein establissement hatt. Der Haw ist es ein sohn von oncle Rupert? den, wo mir recht ist, hieß seine commediantin Haw. Die große herrn dive[r]tiren, vor denen sorgen sie; daß ist zu allen zeitten gewest undt wirdt zu allen zeitten sein. Ich habe Eüch zuvor vergeßen zu sagen, daß ich vom marquis Deffiat[13] gouvernement geerbt habe; er war gouverneur von Montargis undt mitt meines sohns guttfinden hab ich diß gouvernement ahn meinem Wendt geben[14], dem es beßer zu[kommt]; den dießer ist mir so trew, alß der ander mir feindt war. Daß die duchesse de Munster nun duchesse de Candalle[15] ist, habe ich vernohmen. Ihr habt woll gethan, Eweren neveu undt niepce abzurathen, mir wider zu schreiben. Ich hette [139] mühe zu andtwortten gehabt, indem ich courier über courier auß Lotteringen bekomme; den meine kinder dortten haben eine große sach bey meinem sohn, das muß ich solicittiren undt ihnen nachricht geben. Daß macht lange brieffe, daß ich keine andere schreiben kan. Hirauß segt Ihr woll, liebe Louisse, daß Ihr mir einen gefahlen gethan, daß schreiben zu verbietten. Wen ich brieff bekomme, mogte ich alß gern andtwortten, undt auß obgemelten ursachen felt es mir ohnmöglich. Ich bin verwundert, daß so junge leütte kinder, wie der graff von Degenfelt undt seine gemahlin, nicht gesundtere kinder machen; aber mich deücht, daß man daß arme kindt eher in der gutten lufft vom landt hette laßen sollen, alß in der boßen nach Londen bringen; den auß geschwehr[e]n alß[16] halß kommen offt ecruellen[17], welche schwer zu heyllen sein. Es ist nichts natürlichers, alß seine kinder hertzlich zu lieben. Es ist schon lengst, daß ich von der welt verleydt bin; mich deücht auch, sie wirdt alle tag ärger. Hiemitt ist Ewer liebes schreiben, so ich vorgestern entpfangen, vollig beantwort. Ich komme noch auff ein altes vom 13 May, no 38, [wovon] ich noch etliche seytten zu beantwortten habe. Unßere arme duchesse de Berry leydt wie eine verdambte seel ahn beyden füßen, wo sie gar starck daß pottegram hatt. Ich fürcht, ich fürchte, daß sie erschrecklich krancklich wirdt werden. Daß kompt von dem unordtendtlichen leben her. Hette man mir glauben wollen, befunde man sich beßer; aber junge leütte machen es so, sie werden nur mitt schaden weiß. Weder die printzes de Conti selber, noch niemandts hatt gedacht, sie nach St Cir[18] zu schicken. Daß kompt meiner abtißin zu Chelle nicht zu; sie ist zu jung, 300 junge metger[19] zu regieren. Ihr habt mir, liebe Louisse, nichts geschickt, so mir nicht gar woll gefahlen. Ich habe die arabische medaille nach Paris geschickt, da wirdt man mir sie außlegen. Nein, liebe Louisse, da will ich woll gutt vor sein, daß unßere großhertzogin nicht wider nach Florentz wirdt; den einen solchen eckel undt widerwillen, alß sie gegen ihren herrn hatt, ist nicht außzusprechen, macht mich offt lachen. Wen sie von ihrem herrn spricht, den filtz ich sie doch, insonderheit wen sie sagt, daß, wen ihr herr vor sie stirbt, [sie] ihn mitt allerhandt bundt bandt betrawern will; den zürne ich undt sage, daß man sie [140] vor eine nahrin[20] halten wirdt. Hiemitt ist Ewer erstes schreiben vollig beantwort; bleibt mir nur überig, Eüch, liebe Louise, von hertzen zu ambrassiren undt zu versichern, daß ich Eüch all mein leben lieb behalten werde.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 4. Juni 1719 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 4 (1877), S. 134–140
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d04b1024.html
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