Seitenbanner

Brief vom 8. Juni 1719

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1025.


[140]
St Clou den 8 Juni 1719 (N. 92).
Hertzallerliebe Louise, ich weiß nicht, ob ich heütte ein frisch schreiben von Eüch entpfangen werde; aber kompt eins, so werde ichs Eüch berichten, aber die antwort auff eine andere mahr[1] verspar[e]n, wo mir gott leben undt gesundtheit verleyet. Ich verspreche nicht, alle post einen großen brieff zu schreiben, sondern nur, alle post zu schreiben, undt daß werde ich, so lang ich lebe undt gesundt bleibe, redtlich halten. Seydt in keinen sorgen, liebe Louise! ich werde mir gar keine ungelegenheit machen. Schreiben ist meine groste occupation; den ich kan undt mag nicht arbeytten, finde nichts langweilligers in der welt, alß eine nehenadel einzustecken undt wieder heraußzuziehen. Ihr habt mich, liebe Louise, von hertzen lachen machen, zu sagen, daß Eüch meine brieffe Eüch so woll thun, alß ein balsam auff Ewerm haubt. Auffs wenigst wirdt dießer balsam nicht von Ewerm haubt in Ewern bart fließen, wie ahn Aaron[2]. Der safft hatt mich nur in der [ersten] zeit incommodirt, nun aber befinde ich mich, gott lob undt danck, gar woll undt beßer, alß vor etlichen jahren. Wie lang es aber werden wirdt, mag gott wißen. Es sterb[e]n abscheülich viel leütte überall. In 2 tagen seindt zwey von meinen geringen bedinten hir gestorben undt zu Paris hört man nichts, alß von krancken undt todten; bekommen starcke hitztige fieber, undt sobaldt sie fablen, sterben sie. Ich hab, gott lob, gar einen gutten magen, kan allerhandt eßen undt verdaue gar woll. Wen mir nur kein[e] fleischbrühe im magen kompt, habe ich keine indigestion; doch sobaldt ich rohen schincken eße, wirdt mein magen gleich wider gutt, welches jederman hir wunder nimbt. Madame de Berry hatt ein gar starck bodegram[3] ahn [141] beyde füß, leydt abscheülich dran. Gestern abendts umb 7 habe ich sie noch besucht. St Clou ist nicht viel weitter von der Meutte, alß daß Lützenburg[4] vom Palais-Royal. Sie litte gestern, daß sie einem erbarmt; sie kan so wenig auff ihre füß tretten, also hatt sie ja woll ihre schwester, wen sie sie sehen wollen, auß dem Val-de-grace hollen [laßen müßen.] Daß zwey nonen mittkommen, ist, daß, wie madame d’Orleans non-abtißin ist, folgen ihr nonen überall, so die auffwarttung bey ihr haben. Unter unß gerett, ein closter ist nichts anderst, alß ein übel regirter hoff. Ma tante, die abtißin von Maubuisson, hatt nie keine auffwarttung leyden wollen, sagte: Ich bin auß der welt gangen, umb keinen hoff zu sehen; schürtzte sich undt ging in ihrem gantzen closter undt gartten allein herumb, lachte über sich selber undt über alles, war woll recht poßirlich, hatt gantz unßers herrn vattern, I. G. deß churfürsten, stim, glich ihm auch mitt den augen undt mundt undt hatte viel von I. G. s. maniren, konte sich so zu fürchten undt gehorchen machen. Madame de Berry ist nicht devot, spilt daß personnage[5] gar nicht. Ihre schwester de Vallois deücht nichts undt wirdt ihr leben nichts deügen, ist nicht werdt, daß wir von ihr reden. Madame d’Orleans hatt mitt ihr dießen abendt herkommen sollen undt etliche tage hir bleiben; aber es ist ihr einen fluß auff den nacken gefahlen, kan noch so baldt nicht kommen. Gott verzey mirs! es ist mir nicht leydt; daß seindt geselschafften, deren ich gar woll entberen kan, gehe nicht gern mitt falschen leütten umb. Ihre dochter de Berry undt die none seindt nicht [falsch], noch ihr sohn, gott lob, auch nicht, aber die mutter undt tritte dochter seindt es meisterlich. Der teüffel ist nicht schlimmer. Ich bin allen dießen leütten so müde, alß wen ich sie mitt lofflen gefreßen hette, wie daß sprichwort sagt. Last unß von waß anderst reden! den dießes capittel macht mir die gall übergehen, ich kan nicht de sang froid davon sprechen, komme also auff einen andern text. Ich hoffe, daß die fürstin von Ußingen nun ihre lettre de neutraliten[6] wirdt entpfangen haben. Aber ich muß mich ahnziehen, es ist spät. Dießen nachmittag werde ich dießen brieff außschreiben; ist schon der 4, so ich wider ahngefangen habe, muß nach[dem] ich diß [142] außgeschri[e]ben, noch ein par schreib[e]n.
Donnerstag, den 8 Juni, umb halb 5 nachmittags.
Gleich nach dem eßen habe ich die junge printzes de Conti entretenirt, so umb halb 1 herkommen undt mitt mir zu mittag geßen. Nach dem eßen habe ich ein wenig mitt ihr gesprochen, hernach hab ich ein factum [ge]leßen von einer gar wunderlichen geschicht, bin aber in vollem leßen entschlaffen. Man hatt mich geweckt, wie man in die kirch geleütt; da komme ich jetzt eben her. Wie ich ahn taffel war, hatt man mir Ewer paquet gebracht sambt Ewer liebes schreiben vom 27 May, no 42. Dancke Eüch gar sehr vor alle Ewere gutte wünsche zu meinen geburdtstag. Aber, liebe Louisse, wie ich Eüch schon offtermahlen gesagt, ich fürchte mehr ein gar hohes alter, alß ich es wünsche. Ich kan leicht errahten, warumb Ewer liebes schreiben von 27 May so kurtz geweßen, weillen es eben Pfingstabendt war undt Ihr gewiß in die vorbereytung gangen seydt. Von meiner gesundtheit werde ich nichts mehr sagen; den ich habe Eüch heütte morgen rechenschafft davon geben. Daß ist alles, waß ich auff diß kleine brieffgen sagen werde; komme wider auff daß erste, wo ich heütte morgen geblieben war. Es ist kein wunder, daß die printzes von Wallis nobler minen hatt, alß ihre fraw schwester; den die hatt lange jahren zu Strasburg zugebracht, wie kein hoff [dort war] undt alles gar doll durch einander geht[7]. Wen eine situation schön ist, gefehlt alles, waß dabey gebawet wirdt; also kan ich mir Philipsruhe leicht schon einbilden. Ich glaube, daß der Virgillius, welchen ich suche[8], eben der ist, welches ich Eüch hirbey wider schicke; den ich habe es anno 1670 geleßen, kan also nicht daß von 1705 sein, welches, wo mir recht ist, Ihr mir schon einmahl geschickt habt. Ihr werdt mir einen gefahlen thun, mir dieß von anno 1668[9] zu [143] schicken, will es schon hir einbinden [laßen]. Wen Wolff noch zu Franckfort were, kontet Ihrs ihm nur geben; er würde schon mittel finden, daß ich es richtig bekommen würde. Freylich weiß ich woll, daß die graffen von Vehlen nicht vom hauß Heßen sein; sie seindt Westphallinger undt nicht von den älsten reichsgraffen. Der desbeauchirte graff, so page bey dem könig s. geweßen[10], mogte woll von den 3en sein, so ahn churpfaltzischen hoff; ist ein wunderlicher heyliger. Hiemitt seindt Ewere zwey schreiben vollig beantwortet. Wir haben gar nichts neües hir; man hört von nichts, alß unlustige sachen, leütte, die kranck sein oder sterben, von krieg, verratherey oder leichtfertige stücker, so nichts artigs sein. Es ist auch nun zeit, ein wenig frische lufft zu schöpffen undt in gartten spatzir[e]n zu fahr[e]n. Adieu den, hertzliebe Louisse! Dißmahl werde ich Eüch nichts mehr sagen, alß wie ich Eüch allezeit von hertzen lieb behalte.
Impressum
Datenschutz
KontaktPost
Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 8. Juni 1719 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 4 (1877), S. 140–143
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d04b1025.html
Änderungsstand:
Tintenfass