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Brief vom 22. Juni 1719

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1029.


[154]
St Clou den 22 Juni 1719 (N. 96).
Hertzallerliebe Louise, ich werde heütte auff Ewer liebes schreiben vom 6 Juni andtwortten, so ich vergangen sontag entpfangen undt vor heütte verspart habe; es war just der h. Pfingstag sowoll, alß mein geburdtstag. Alle leütte klagen so sehr hir, daß die post so thewer ist; deßwegen habe ich Ewern beüttel verspart mitt dem großen paquet de la lettre de neütteralitet vor der fürstin von Usingen. Ich beklage dieße, wo die gemahlin von ihrem stieffsohn so langweillig ist, alß ihr herr war; den es war der abgeschmackste bub, den ich mein tag gesehen. Seines herr vatters halben habe ich alles gethan, waß mir möglich war, umb ihn auffzumuntern undt schwetzen zu machen; aber es war alles umbsonst, man kont kein wordt auß ihm kriegen, außer ja undt nein, undt daß noch mitt so einer langweilligen manir, daß es nicht außzustehen war; gar nichts artiges ahn ihm, weder hübsch, noch woll geschaffen, er war, waß man hir un sot enfant heist. Ich glaube, [daß] seine … wen sie ein wenig verstandt hatt, fro ist, seiner quit zu sein. Hatt dieß mustergen kinder hinderlaßen? Seine mutter solle so vif undt gallant geweßen sein, alß der sohn thum war. Ich bin fro, liebe Louisse, daß man graff Degenfelt unrecht thut undt Ewerer niepce; den es were eine betrübte sach, von den seinigen geplagt zu werden. Der duc von Schonburg ist so alt, daß der herr von Degenfelt woll nicht lang wirdt zu wartten haben, daß seinige, ich will sagen, seiner gemahlin dotte[1] undt heürahtsgutt zu bekommen; den ich glaube, daß sein gutt davor andtwortten muß, waß man ihm schuldig ist. Es ist [bei] dem graff Degenfelt, wie daß frantzösche sprichwordt lautt: Contentement passe richesse. Zudem so [glaube] ich, daß die heürahten im himmel [geschloßen werden] undt darin destin ist undt verhengnuß, wie in dem leben undt sterben. Es ist woll naturlich, liebe Louise, daß Ihr dem graff Degenfelt, so Ewer leiblich geschwisterkindt undt Ewer leiblichen niepce man ist, ein lengers leben, alß Ewern alten gritlichen schwager, [wünscht]. Wen Ihr es anderst sagen soltet, könte es niemandts glauben. Es ist gar nicht verbotten, ehrlicher weiß sein [155] bestes zu suchen, wo man kan. Wie schon gesagt, so ist alles verhengnuß; sein destin muß nicht bey dem könig in Englandt sein, wünsche, daß er undt Ewere niepce einen gutten standt finden mögen. Es ist doch wunderlich ahn könig in Englandt, andern zu accordiren, waß er Eüch vor Eüern englischen neuveu abgeschlagen; aber wer hart undt wunderlich gegen seine leibliche kinder ist, kan es woll gegen andere sein. Es ist groß aparentz, daß, weillen mylord Holdernesse einen dinst quittirt, so mehr eingetragen, alß den[2], so er genohmen, daß man es ihm wirdt mitt einer pension wider ersetzt haben. Englander passiren allezeit vor sehr interessirt. Teütschlandt solle nun sehr geendert sein undt gar nicht mehr auff den schlag sein, wie es zu meiner zeit geweßen. Franckreich verdirbt unßere Teütschen, ahnstatt daß es sie verbeßern solle. Man muß die warheit auch sagen, alles hatt sich hir seyder etliche undt 30 jahren so geendert undt verschlimert durch den abscheülichen interesse, daß man nichts mehr kenen kan. Es ist loblich ahn graff Degenfelt undt seiner gemahlin, ihren alten vatter zu amussiren undt ihn nicht allein zu laßen. Es muß aber nichts zu gewinen sein, weillen der mylord Holdernesse nicht dort geblieben ist. Den dießer duc ist ja so alt, daß er ohnmöglich lang wirdt leben können; also werdet Ihr nicht so lang, alß Ihr meint, liebe Louisse, von Ewern kindern geschieden sein; wünsche, daß, wen Ihr einander wider sehen werdet, daß es mitt volligen vergnügen geschehen mag. Ich dancke Eüch, mir rechenschafft zu geben, waß denen Taxis ahnbelangt: der nahme lautt nicht gar fürstlich. Fraw von Wolmershaussen[3] war nicht klein undt ihr man ein großer mensch; wundert mich also nicht, daß sie eine große dochter gehabt. Freüllen Anne Cathrin war nicht schön, wie Eüer fraw mutter undt die fraw von Brun, aber sie war ahngenehm undt viel ahngenehmer, alß freüllen Charlotte, die fraw von Wellen[4], wo mir recht ist. Daß geschicht gar offt, daß geschwisterkindt einander mehr gleichen, alß schwester undt bruder. Ich habe mein leben nichts darnach gefragt, heßlich zu sein, nur drüber gelacht. I. G. s. unßer herr vatter undt mein bruder s. haben mir offt gesagt, daß ich heßlich [sei]; [156] ich habe aber drüber gelacht undt mich nie drüber betrübt[5]. Mein bruder hieß mich daksnahß[6], daß machte mich von hertzen lachen. Ich habe meine zeit auch im 46 jahr verlohren undt nichts gebraucht, bin erst 10 jahr hernach kranck [geworden]; die docktoren haben aber gesagt, er komme[7], den ich habe 48 palletten bludt in 3 wochen zeit durch den Stuhlgang von mir geben. Man meinte, daß ich sterben würde; bin doch, wie Ihr secht, woll davon kommen; den, wie die Hinderson alß von mir pflegt zu sagen, in[8] bin ein harter kniper. Keinen juleb[9] konte ich nicht drincken, wen mein leben drauff stunde; eckelt mich wie eine medecin. Ich fürchte, unßere duchesse de Berry wirdt auch, wie die gräffin von Lewenstein, von welcher Ihr sprecht, gantz contract werden; ist in einem so ellenden standt, daß ich recht erschrocken bin, wie ich E.[10] L. gestern gesehen. Sie kan auff keinen fuß stehen, leydt schmertzen ahn den zehen undt fußsollen, daß sie überlautt schreyet, wie ein weib in kindtsnöhten. Ich fürchte, es wirdt ein schlim endt nehmen. Es gereüet ihr nun, meinen raht nicht gefolgt zu haben, ordentlicher zu leben, aber es ist zu spät. Ich bin woll Ewerer meinung, daß es beßer ist sterben, allß ellendt undt mitt schmertzen zu leben. Ewere schriefft ist gar nicht heßlich, sondern gar deütlich undt leßlich. Ich schäme mich offt von hertzen, wen ich betrachte, daß wir von einen meister gelehrnt undt ich so heßlich gegen Eüch schreibe[11]. Caroline schriebe so perfect auff frantzösch, wie ich, daß einsmahls, alß ich eine von den überschrifften auff meiner taffel gelaßen, da fragten mich viel leütte, so meine schrifft kanten, warumb ich ahn mich selber geschrieben hette. Ihre teütsche schriefft gliche der meinen auch, aber sie war viel schönner. Nun muß ich eine pausse machen.
Donnerstag, umb halb 4 nachmittags.
Seyder dem ich auffgehört, zu schreiben, hette ich mich schir den halß gebrochen. Ich habe ein buch von meiner taffel hollen wollen bey meinem papagay; der hatte kirschen geßen undt die kern auff den boden fallen laßen, darauff bin ich geglitscht. Ich [157] habe mich ahn deß papagay stock erhalten, der war aber zu leicht undt ist mitt mir naußgeburtzelt; habe mir doch, gott lob, keinen schaden gethan; mein kopff ist auffrecht blieben. Ich habe so hertzlich gelacht, daß ich nicht mehr habe auffstehen können. Alle meine leütte haben gemeint, ich were blessirt. Daß hatt mich noch mehr lachen machen, aber ich habe mich, gott lob, nicht wehe gethan, will also meinen brieff fortschreiben, komme, wo ich geblieben. Hettet Ihr Ewern brieff abgeschrieben, hettet Ihr woll groß unrecht gehabt; den E[we]r brieff ist sauber undt deüttlich geschrieben. Meine augen seindt nun alt genung, umb daß die große schriefft mir beßer, alß eine gar kleine … Ich brauche doch, gott lob, noch keinen brill undt habe es nicht von nöhten. Aber, liebe Louisse, braucht keinen brill! Ewer gesicht wirdt gar gewiß wider kommen; aber nimbt man einen brill, kompt es nie wieder. Ich habe gleich nach dem eßen Ewer liebes schreiben vom 10, no 46, [empfangen;] da werde ich heütte nichts auff sagen undt, wo mir gott leben undt gesundt[heit] lest, werde ichs biß sontag beandtwortten, nun nur von hertzen dancken vor alle Ewere gutte wünsche. Seydt versichert, daß, wen Eüch widerfahren solte, waß ich Eüch wünsche, würdet Ihr ursach haben, sehr vergnügt zu sein! den alles würde nach Ewerm wunsch gehen, liebe Louise! Ich erinere mich nicht, ob ich Eüch letzmahl geschrieben, daß man in den Pirenee[12] daß schloß von Castel Leon erobert, undt gestern kam die zeittung, daß sich Fontarabie ergeben[13]. Eine bombe ist in eine cittern[14] gefahlen, da haben sie kein waßer mehr gehabt. Es ist ein junger edelman dort [158] umbkommen, welcher eben auß Pezen kommen, gar ein feiner junger mensch, jammert mich recht. Ich habe ihn alß mitt meinem enckel spillen sehr[15], allerhandt spilger; er hatte verstandt undt war recht … Sein vatter undt mutter seindt noch ahn[16] madame d’Orléans undt so hertzlich betrübt, daß sie zu erbarmen sein. Noch eine andere betrübte mutter ist vorhanden, madame Destin[17]. Ihr sohn ist auch dort umbkommen undt 150 gemeine soltaden. Daß ist alles, waß ich neües weiß. Adieu, hertzallerliebe Louise! Ich ambrassire Eüch von hertzen undt behalte Eüch allezeit lieb.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 22. Juni 1719 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 4 (1877), S. 154–158
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d04b1029.html
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