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St Clou den 29 Juni 1719 (N. 98).
Hertzallerliebe Louisse, gestern fuhr ich nach Paris, meinen
sohn undt madame la princesse zu besuchen. Mein sohn hatt, waß
man hir eine siatique
[1] heist, so ihm gar große schmertzen in einer
hüfft undt in den lenden [macht], leydt viel, ist aber gantz
ahngethan undt lacht undt schwetzt, sicht auch nicht übel auß. Er sagt,
es komme ihn, daß er in der hitze undt im schlaff die decke
abgeworffen hette, hette ein kalter windt ihn über die länden
gefahren; gleich seindt ihm die schmertzen ahnkommen abscheülich.
Madame la princesse hatt vor etlich tagen gar eine starcke coliq
außgestanden; ist doch nun wider viel beßer. Aber waß mir ahn I. L.
mißfählt, ist, daß sie abscheülich abnimbt undt mager wirdt. Daß
thut aber doch die beküm[e]rnuß über madame du Maine, ihres
unglücks kan sie sich nicht getrösten. Wie ich ins Palais-Royal kam,
wurde ich gleich nach dem eßen mitt Ewer liebes schreiben vom
17 dießes monts erfreüet undt man gab mir zugleich daß
genealogiebuch undt den Virgillius. Dießes letzte bin ich Eüch schuldig; den
ich
[2] habt mir ja geschrieben, daß mein gelt mitt dem genealogie-buch
auffgangen ist. Ihr schreibt mir aber nicht, waß es Eüch, liebe
Louise, gekost; bitte, last michs wißen! Ich habe die bûcher gleich
ahn meinem buchbinder geschickt; er ist fleysich, wirdt mir sie
baldt schicken. Undterdeßen dancke ich Eüch sehr vor die mühe,
so Ihr damitt gehabt hatt. Ich bin ahngestanden, auff welches ich
von Ewern 2 lieben schreiben ahm ersten andtwortten solte, ob es wie
ordinarie sein solte, nehmblich daß, so überblieben von letzter post,
oder daß, so ich gestern entpfangen. Waß mich aber vor daß letzte
desidiren
[3] macht, ist, daß ich den gantzen morgen ahn unßern
hertzog von Lotteringen undt mein dochter zu schreiben gehabt
habe mitt einem expressen courir, so heütte weg undt sie geschickt
hatten; undt wie ich also heütte nicht viel zeit zu schreiben habe
undt dießer letzte brieff kürtzer, alß der erste, ist, alßo halte ich
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mich ahn dießem. Ich kan nicht arbeytten, weillen man mich in
mein[e]r jugendt so sehr dazu gezwungen hatte. Schattiren würde
mir im geringsten keine lust geben; wer ahn jagten gewohnt ist,
kan sich mitt der weiber arbeydt nicht behelffen, noch spaß drin
nehmen. Es ist gewiß, mitt nadtlen zu arbeytten, da gehoren
scharpffe augen zu schreiben
[4]; darin habe ich weder große lust,
noch freüde. Aber ich entretenire lieber die, so mir lieb sein, alß
daß ich nehe-nadtlen in canefas stecke. Es ist ein schlim wetter
in alles, aber insonderheit vor die gesundtheit; alle menschen
klagen waß nun. Madame de Berry ist noch gar über
[5] undt
gestern war es doch 3 mont complet, daß I. L. kranck sein. Einen
tag frist sie nichts, den ander[n] tag frist sie 3 mahl deß tags;
daß kan kein gutt thun, daß macht sie nachts übergeben, ohne zu
schlaffen; andern tags ist sie recht kranck. Man sagt auch, sie
hette nachts ein wenig daß fieber. Ich fürcht, daß arme mensch
wirdt nie mein alter erreichen. Es hatt heütte gedonn[e]rt, war
aber kein gar starckes wetter. Hir im landt seindt keine starcke
donnerwetter, aber doch genung, umb madame de Berry braff bang
zu machen. Ich fürchte es gar nicht, dencke, daß ich in gottes
handen bin, ob er mich so nimbt, oder auff eine andere weiß. Ist
daß nicht all eins, wens nur in seinen gnaden ist? Hir fengt es
seyder montag zimblich ahn zu regnen; auch ist der staub nicht
mehr so erschreklich, alß er wahr. Es wirdt mir lieb sein, wen
der Bacherracher woll geräht; den ich drincke schir nichts anderst
mehr; nur den ersten drunk drincke ich vin de Champagne, alles
überige Bacheracher. Der hertzog von Lotheringen schickt mir alle
jahr meine provission. Ich habe gern, wen man haußhalterisch
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spricht; daß höre ich lieber, alß politiqsiren. Man kan woll klug
ohne falsch sein undt falsche leütte machen mich ungedultig. Ich
thue alß meinen grosten effort, mich einzuhalten, umb nicht mitt
der thür in die stub zu fahlen; den solche leütte mögte ich von
hertzen übers maul zu fahren undt sie zu brutallisiren
[7] [das recht
haben.] Ist Schwalbach undt Schlangenbaadt nicht all eines? Ich
meinte, der undterschiedt were nur durch die brunen, aber daß es
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derselbe ort sey. Modeste weibsleütte in itzigen zeitten zu finden,
ist waß [seltenes.] Bin froh, daß der graff von Nassau Weillburg
so woll getroffen hatt. Ich meine, daß deß fürsten von Ostfrisland
seine fraw mutter eine printzes von Württenberg geweßen ist, printzes
Sophie von Barait
[8] schwester. Von dem einfaltigen hertzog von
Sackssen Mörßburg habe ich mein leben nichts gehört. Der
[9] hertzog
von Saxsen Eyßenach kene ich woll. Ich finde den groß … von
Naßau Itstein woll glücklich, aller seiner döchter so loß zu
werden. Dieße kunst hatt mein sohn nicht. Keyßer undt könige
haben keine verwanten, wie Ihr woll wist. Proces gewinen ist doch
etwaß. Mein gott, wie betrübt were ich, wen man mich so in
ceremonien einhollen solte, alß wie den graff von Solms! ich stürb
vor lange weill. Der graff von Solms thut woll, seinen
ceremonien nicht überall zu führen; daß were nicht außzustehen. Ich
vergeße immer, meinen sohn zu fragen, wer der generalmajor de
Francheville ist; den ich erinere mich nicht, jemahlen von ihm
gehört zu haben. Hir in Franckreich hört man von keine
generalmajors. Die hochzeit vom churprintz wirdt in magnificense bezahlt
werden. Wie ich von dießem höre, werden seine kinder die
schulden nicht bezahlen; den in hochzeit-sachen solle schlegt mitt dem
gutten herrn bestelt sein. Hiemitt, hiemitt ist Ewer liebes schreiben
vollig beantworttet, bleibt mir nur überig, zu sagen, daß ich Eüch eine
gutte nacht wünsche undt nach bett gehe, nachdem ich Eüch werde
versichert haben, daß ich Euch biß ahn mein endt von hertzen lieb
behalte.