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Brief vom 9. Juli 1719

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1033.


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St Clou, sontag, den 9 Julli 1719, umb 3 viertel auff 8 morgendts (N. 1).
Hertzallerliebe Louise, gestern führte mich eine gar schlimme ursach nach Paris. Mein enckel, dem duc de Chartre, hatte donn[e]rstag ein starck fieber ahngestoßen, so ihm bey 20 stunden gedawert; man hatt es nur mitt clistiren vertrieben, ist, gott lob, nicht wider kommen. Gott gebe, daß es heütte nicht kompt! den sonsten ist es viertagig, welches ein schlim meuble ist. Gott bewahr unß davor! Ich habe zu Paris nichts, alß lautter trawerige sachen, gehört undt gesehen. Die neüe junge duchesse d’Albret ist im kindtbett gestorben, weyllen sie in ihrer schwangerschafft zu viel waxs gegeßen undt von dem brodt, wo man die ostien von macht. Im Palais-Royal war den abendt vorher der monsieur de Nancret[1] gestorben, so meines sohns Schweitzer commandirt. Er hattte einen bruch; dazu ist der kalte brandt geschlagen, so ihn in wenig stunden sterben machen. Es ist derselbe, welchen mein sohn in [169] Spanien ahn Alberonie geschickt hatt. Nur 3 mont, daß er wider kommen. Er hatt eine stieffmutter, so deß premier pressident von Paris tante undt mutter schwester, ist gar eine gutte fraw. Die hatt dießen stieffsohn mehr geliebt, alß wen er ihr eygener sohn wer, welches er nicht hette sein können, den er ist alter, alß sie. Die ist ohntrostbar. Der duc d’Albret ist auch sehr betrübt; aber weillen er aber bey seiner ersten gemahlin ebenso betrübt geweßen undt sich doch vor ein halb jahr nach ihrem todt wider geheüraht, meint man, daß er sich auch woll wider trösten wirdt. Ich hatte gehofft, ein schreiben von Eüch, liebe Louisse, zu Paris zu bekommen; bin erst nach 8 uhr von Paris, aber es ist nichts kommen. Gott gebe, daß ich heütte glücklicher sein mag undt zeittung von Eüch bekommen! Ich kan Eüch mitt warheit versichern, daß Ihr mich, liebe Louise, etliche nächte nicht auß dem sin kompt undt mich offt weckt, biß ich endtlich erfahren werde, ob Eüch der schrecken vom brandt nichts geschadt undt waß Ihr endtlich verlohren habt. Nun aber werde ich auff Ewer liebes schreiben vom 24, no 50, andtwortten, so mir noch überig ist. Ey, mein gott, liebe Louise, warumb solte ich müde werden, ahn Eüch zu schreiben? Ich werde nie müde, die zu entreteniren, so ich lieb habe undt mir nahe sein. Ich habe ja leyder niemandts mehr von den meinigen überig, alß Eüch. Wie solte ich den müde wehren[2], [mit] Eüch zu sprechen? Daß dörfft Ihr gar nicht fürchten, liebe Louise! So lang ich lebe undt gesundt bin, werde ich Eüch mitt eygener handt schreiben. Solte ich kranckh werden (wie alten weibern, wie ich bin, leicht geschehen kan), werde ich Lenor bitten, zu schreiben undt ich werde dictiren; also wirdt doch, so lang ich sein werde, keine post verfehlt werden. Alle, die Churpfaltz kennen, reden von ihm, wie Ihr, liebe Louise! Er muß sein, wie waß wir vor dießem gutt sein hießen. Wie Ihr mir dießen herrn beschreibt, solte er mir gewiß gar woll gefahlen, wen ich die ehre hette, I. L. zu kennen. Daß der nicht ceremonisch undt gantz naturlich ist, daß würde mitt mir simpatissiren. Die boße pfaffen seindt schlimme gesellen. Wen ihnen waß im kopff kompt, leütte zu plagen, haben sie keine ruhe, biß sie es ins werck stellen. Ich habe hir genungsam gesehen, wie sie es machen undt es hergeht. Es ist ein ellendt, wen man meint, devot zu sein undt nur zu glauben, wen einem die [170] pfaffen weiß wollen machen. Unßer s. könig war so; er wüste kein wordt von der h. schrifft; man hatte es ihm nie leßen laßen[3], meinte, daß, wen er nur seinen beichtsvatter ahnhörte undt sein pater noster plabelte, were schon alles gutt undt er were gantz gotsförchtig; hatt mich offt recht deßwegen gejamert, den sein intention ist allezeit auffrichtig undt gutt geweßen. Allein man hatt ihm weiß gemacht, die alte zott[4] undt die Jessuwitter, daß, wen er die Reformirten plagen würde, daß würde bey gott undt menschen den scandal ersetzen, so er mitt dem doppelten ehebruch mitt der Montespan begangen. So haben sie den armen herrn betrogen[5]. Ich habe dießen pfaffen meine meinung offt drüber [gesagt]. Zwey von meinen beichtsvättern, alß pere Jourdan undt pere de St Pierre[6], gaben mir recht; also gab es keine disputte. Die Capuciner haben gar zu eine einfeltige religion, lautter lapereyen, seindt aber ins gemein gutte leütte. Ihr werdet auß meinem letzten schreiben ersehen, wie die königin in Preüssen mir selber der madame de Sacettot[7] todt bericht. Wen sie, wie ich glaube, eine [171] von den Lamottinen dochter ist, kan sie ohnmöglich 70 jahr alt sein; den ich bin noch kein 70 jahr alt undt habe die zwey schwestern ungeheüraht gesehen. Kinder-hertzenleydt ist eine große qual; beklage alle die, so mitt geplagt sein. Es hatt noch weit gefehlt, daß unßere duchesse de Berry wieder gesundt solle sein. Ob sie zwar kein fieber mehr hatt, ist sie doch gar ellendt, kan ohnmöglich auff ihre füße tretten undt hatt gar starcke vapeurs; daß heiß ich nicht gesundt sein. Sie übergibt sich auch gar offt; sie bekahlt[8] leyder gar thewer, mir vergangen jahr nicht geglaubt zu haben. Sie bereüet es nun gar sehr, allein es ist zu spat undt geht, wie daß alte sprichwordt sagt: Wens kalb verdruncken ist, so lehrt[9] man die püt[10]. Junge leütte meinen alß, sie seyen von eyßen undt stahl undt nichts könne ihnen schaden, waß sie mitt lust thun. Aber darnach wirdt ihnen die lust thewer eingetrenckt. Daß de[11] Deum haben madame de Berry leütte gesungen, wie I. L. auß lebensgefahr wahren. Nun seindt sie in keiner gefahr, aber doch nicht woll, wie Ihr segt auß waß ich schon geschrieben habe. Die fraw von Rotzenhaussen hatt gar nicht vexirt mitt den knochenpulver, sie braucht es in der that; sie thut noch mehr dazu, nehmlich ich weiß nicht, ob es saltz von löffelkraut oder waßer ist; aber man löscht die knochen auch mitt braunen brunellelle-waßer[12] undt noch etwaß, daß ich nicht mehr weiß. Eine duchesse de Chastillon[13], eine schwigerdochter vom marechal de Luxemburg[14], hatte in einem closter nonen nachgemacht; davon ist ihr ein tick[15] gekommen so abscheülich, daß es ihr ahnkommen, alß wens gichter wehren; augen, naßen, mundt, kopff, alles schüttelte sich. Der hertzog von Lotteringen, so nicht dran gewohnt war, wurde recht erschrocken, machte mich von hertzen drüber lachen. Liebe Louise, die welt ist so beschaffen, man ist gutt freundt, so lang es nicht ahn daß deine undt meine geht; kompts aber daran, will niemandts verliehren; so gehts der fürstin von Ussingen neveu auch. Daß schiff mitt der kleinen Kiehlmanseck[16] hatt sich wider gefunden. Waß ich von dießer avanture weiß, hatt mir I. L. die printzes von Wallis geschrieben. Mein gutter vetter, der könig in Englandt, hatt einen [172] wunderlichen hirnkasten, gleicht von humor ahn niemandts von allen seinen verwandten, so ich gekandt habe. Aber, unter unß gerett, wer dem gott Mamon zu viel ahnbett, daß weist sich in alles. Aber nun muß ich auch meine pausse machen, mich ahnziehen undt in kirch gehen; dieß[en] nachmittag ein mehres.
Sontag, den 9 Julli, umb ein viertel auff 5 abendts.
Da komme ich eben auß der kirch. Ehe ich nein bin, habe ich Ewer liebes schreiben vom 27 Juni, no 91, entpfangen undt gar geschwindt auffgebrauchen[17], Gott seye danck, daß es nicht war ist, daß der schonburgische hoff verbrandt ist, wie es in deß kauffmans brieff gestanden! Daß setzt mich gantz wider in ruhe. Auff Ewer voriges schreiben hab ich nichts mehr zu sagen, alß daß Ihr noch lang zeit haben werdet, dem könig in Englandt Ewere complimenten zu machen; den I. M. werden vor dem November nicht wider nach Englandt. Der könig hatt ein groß avantage in Schottlandt gehabt; seine troupen haben die von mylord Séefirth[18] undt Maréchal geschlagen[19]. Die mylord haben sich auff ein schiff in die see begeben, umb sich zu salviren; man verfolgt sie, umb sie zu erdapen; waß drauß werden wirdt, soll die zeit lehren. Seigneur Ortance[20] hatt mir auch seine frantzösche undt lateinisch vers ges[ch]ickt. Im Lateinischen verstehe ich eben so wenig, alß Ihr, liebe Louise! Ewere schriefft in dießem brieff war nicht kleiner, alß daß von letzter post; habe sie gegen einander confrontirt. Es ist mir leydt, daß Ihr Eüch, liebe Louise, ahn den brill gewohnen wolt; den in der welt ist nicht schlimmers vor die augen. Ich bin froh, daß es der fraw von Gemingen gefreüet hatt, waß ich von ihrem sohn geschrieben. Ich weiß nicht, wo er nun ist. Sie, die fraw von Gemingen, solte Euch woll all ihr leben obligirt sein, daß I[h]r sie auß einer so großen noht errett habt. Aber von dießem allem wollen wir, wo mir gott leben undt gesundtheit verleyet, biß donnerstag sprechen; nun aber muß ich ahn mein dochter schreiben undt vor dießmahl nichts mehr sagen, alß daß ich gott von hertzen dancke, [173] Eüch so gnädig von so einer abscheülichen gefahr errett zu haben. Er wolle Eüch ferner von alles[21] übel bewahren! Ich, hertzlieb Louise, werde Eüch von hertzen lieb behalten.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 9. Juli 1719 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 4 (1877), S. 168–173
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d04b1033.html
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