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Brief vom 17. September 1719

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1053.


[240]
St Clou, den 17 September 1719 (N. 21).
Hertzallerliebe Louise, es ist mir vergangen mittwo[ch] abendts eine verdrießliche avanture begegnet. Ich hatte auff Ewer liebes schreiben geantwortet undt sagte zu meinen leütten, wie ich außgeschrieben, sie solten Ewern beantworteten brieff verbrenen, meint[e] vestiglich, den unbeantwortten in meine kist geschloßen zu haben. Nun ich andtwortten will, suche ich die gantze kist auß undt finde ihn nicht; meine leütte müßen ihn also mitt dem beantworten verbrendt [haben]. Ich erinere mich nicht mehr, waß drin stundt, kan also ohnmöglich drauff andtwortten. Kompt mir eines heütte, werde ich es auff die andere post versparen, wo mir gott leben undt gesundtheit verleyet. Daß eintzige, daß ich mich noch von Ewer letztes schreiben erinern kan, ist, daß es noch auß dem Schlangenbaadt ist, Ihr aber sagt, daß Ihr die ander woche wider nach Franckfort werdet; also werde ich woll hette[1] den letzten vom Schlangenbaadt bekommen. Gott geben daß Euch die cur woll mag bekommen sein! Ich habe vergangen mittwog versprochen, daß ich Eüch, liebe Louisse, heütte verzehlen wolte, wie meine reiß [241] nach Chelle abgangen; daß werde ich hirmitt thun. Ich fuhr vergangen donnerstag umb halb 7 hir weg mitt der duchesse de Brancas, madame de Chasteautier undt die fraw von Ratzamshaussen. Wir kammen umb halb 10 zu Chelle ahn; mein enckel, der duc de Chartre, war schon ahnkommen. Ein halb viertelstundt hernach kam mein sohn, eben so lang hernach kam mademoiselle de Vallois ahn. Madame la duchesse d’Orléans hatt sich expres zur ader gelaßen, umb nicht dabey zu sein; den sie undt die abtißin seindt nicht allezeit die besten freünde. Aber wens sie gleich geweßen were[2], so hette ihrer fraw mutter naturliche faulheit ihr nicht erlaubt, dabey zu sein; hette zu früh auffstehen müßen, umb nach Chelle zu fahren. Ein wenig nachdem es 10 geschlagen, gingen wir in die kirch. Der abtißin prié Dieu[3] war in der nonen chor, von violettem samet, mit goltenen fleurs de lis gantz voll gestickt. Mein prié Dieu war ahn der balustrade vom altar; darauff wahren[4] mein sohn, undt seine dochter war hinter meine chaisse, den die princessen du sang dörffen nicht auff mein trap de pied[5] knien, nur les petits enfant de France, wie mein sohn undt meine dochter. Ich sage Eüch diß, liebe Louisse, weillen ich glaube, daß Ihr dieße ceremonie nicht wist. Deß königs gantze mussiq war in der tribune, sungen ein schön modet[6]. Der cardinal de Noaille[7] sagte die meß. Der alter[8] ist gar schon zu Chelle von lautter schwartz undt weißen marmol, 4 großmächtige seüllen vom schwartzen undt [weißen] marmol, oben undt unten weiß, worauff 4 schöne woll gemachte figuren von weißen marbre von heyligen abtißinen sein, worunder eine ist, so unßerer abtißin gleicht, alß wens vor sie gemacht were, daß[9] es doch lengst gemacht, ehe sie gebohren, den sie ist nur 21 jahr alt Es kamen 12 mönchen von ihrem ordre in gestickten chasublen[10], umb der meß zu dinnen. Nachdem der cardinal die epistel [242] geleßen, ging der ceremoniemeister ins nonenchor undt holte die abtißin. Die kame mitt gutte minen, mitt zwey abtißinen gefolgt undt ein halb dutzendt nonen von ihrem closter, machte eine große reverentz ahn dem altar undt mir eine, stieg hinauff undt kniete vor dem cardinal nieder; der saß in einer großen chaisse a bras vor den altar. Man bracht ihr in ceremonien la confession de foy, die laß sie; hernach legte sie sich gantz blatt auff die letzte taffeln[11] vom altar. Da laß der cardinal viel gebetter über sie undt laß auch daß evangellion. Hernach huben sie die zwey abtißinen, so gefolgt hatten, wider auff, [sie] kniete wider vor dem cardinal; der gar[12] ihr ein buch, worinen ihre regul vom closter stehet; damitt führt[e] man sie wider ahn ihrem platz. Undterdeßen laß man le credo undt l’offertoire[13]; hernach bracht man dem cardinal die chaisse a bras wieder undt die 12 pfaffen holten die abtißin a l’offrande[14]. Die gingen[15] wider, mitt den vorigen begleydt, vor den altar; man brachte ihr zur offrande 2 große hertzen, 2 leib brodt, davon daß eines vergült, daß ander versilbert ist, 2 tonnen, davon eines gantz vergült wie daß brodt, daß ander versilbert ist. Nachdem sie dießes alles mitt ceremonien dem celebrant pressentirt, hernach führt man sie ahn ihrem ort. Wie es ahn der communion kam undt der cardinal comunicirt hatte, holte man die abtißin. Die hatte damahlen den schleyer über die naße, ging vor den altar mitt auffgehoben händen undt communicirte, ging hernach wider ahn ihrem platz undt der cardinal endigte die meß biß auff den seegen. Da holten [sie] die zwölff möngen[16] en chape[17] mitt dem ceremoniemeister, abtißinen undt nonen; sie kniete wieder nieder undt der cardinal gab ihr den bischoffstab oder crosse, wie mans hir heist. Sie stundt auff, behilt dießen stab in der handt undt threhete sich gegen daß chor, so [daß] alle nonen [sie] sehen konten. Hernach gingen die 12 pfaffen wider vor ihr her, sie gar die große[18] der nonen, so die charge hatt, sie zu tragen. Der cardinal führte die abdißen; die setzte sich nicht wider ahn ihr pries Dieu, sondern er führte sie auff der abtißin stuhl, ahm andern endt deß … Über dießem stuhl undt pries dieu war ein dais[19] de princesse du sang mitt fleur [243] de lis undt ihr wapen. In ihrem marsch ließen sich paucken, trompetten undt hautbois hören. So baldt sie in ihrem trohn placirt war, ging der cardinal mitt allen seinen pfaffen wider ahn dem altar, stundt auff der lincken seytten mitt seinem bischoffstab in der handt undt die mussiq sunge daß Te deum laudamus. Daß werdte[20] eine geschlagene stundt. Unter dießem gesäng kämme daß closter von nonen 2 undt zwey undt erwießen durch große reverentzen ihre soumission. Daß erinerte mich ahn, wie man Athis zum grand prestre de Cibelle[21] macht; den da kommen auch 2 undt 2 mitt reverentzen. Ich meinte, man würde singen, wie in dem opera:
Que devant vous tout s’abaise et tout tranble!
Vives heureux! Vos jours sont nostre espoir.
Rien n’est si beau que de voir ensemble
Un grand meritte avec un grand pouvoir.
Que l’on benisse
Le ciel propice,
Qui dans vos mains
Met le sort des humain[22]!
Nach dem Te Deum gingen wir wider ins closter. Um halb zwölff ging ich zur taffel, aß mitt mein sohn, mein enckel, den duc de Chartre, die princesse Victoire de Soisson[23], die junge mademoiselle Dauvergne[24], deß duc d’Albret dochter, undt die 3 damen, so mitt mir kommen wahren. Eine halb stundt hernach ging unßere abtißin ahn taffel in ihrem sahl ahn einem tisch von 40 couvert mitt ihrer [244] schwester, mademoiselle de Vallois, undt 12 abdißin, 2 damen, so mitt mademoiselle die Valois kommen wahren, die geweßene 2 hoffmeisterin, die jetzige undt die vorigen, undt alles überige nonen vom closter. Es war possirlich zu sehen, alle dieße taffel, mitt dem schwartzen nonenzeüg umbringt, undt alles daß bunte von der taffel; den meins sohn leütte hattens hübsch undt magnifiq gemacht. Alles obst hatt man den pöpel plundern laßen, wie auch die confituren. Nach dem eßen umb 3/4 auff 4 ist mein kutsch kommen undt ich bin wider weg undt ein wenig nach 7 kamme ich wider hir ahn. Daß ist, liebe Louisse, eine exacte relation von der gantzen einstallung unßerer abtißin[25]. Adieu, hertzliebe Louisse! Ich [245] ambrassire Eüch von hertzen undt behalte Eüch von hertzen lieb. Ich werde mich ahnziegen. Dießen nachmittag, wofern ich schreiben von Eüch entpfange, werde ichs Eüch berichten, wie auch alles, waß ich von den krancken vernohmen, werde ichs Eüch auch berichten. Es ist schadt, daß mademoiselle de Clermon[t] die kinderblattern hatt; sie jamert mich.
P. S.
Meine brieff seindt von der post kommen, aber keines von Eüch. Ich will hoffen, daß Ewere rückreiß dran schuldig ist; sonsten solte es mich in großen sorgen setzen, den man hört von nichts alß krancken nun. Mademoiselle de Clermont hatt die kinderblattern[26], daß wirdt ihre schönheit verderben; sie hatt gar eine boße nacht gehabt. Madame de duchesse de Vantadour[27] hatt schon die letzte öhlung endtpfangen, ist doch wider beßer undt daß quinquina hatt daß redoublement vom fieber aufgehalten. Mademoiselle de la Roche-snrion[28] hatt daß fieber noch nicht quittirt. Da segt Ihr, liebe [246] Louisse, wie viel krancken sein. Weytter weiß ich gar nichts neües. Ich erwarte mitt großem verlangen, zeittung von Eüch zu haben. Da sagt man mir alleweill, daß Coursillon[29] gar übel ahn den kinderblattern ist. Seine fraw mutter, madame Dangeau, wie auch seine fraw, haben sich mitt ihm eingespert; die fr. mutter jamert mich woll von hertzen.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 17. September 1719 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 4 (1877), S. 240–246
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d04b1053.html
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