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Brief vom 29. Oktober 1719

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1065.


[285]
St Clou, sontag, den 29 October 1719, umb 1/4 auff 8 uhr (N. 33).
Hertzallerliebe Louise, ich will meinen tag mitt Eüch ahnfangen, undt nachdem ich mitt meinem unwürdigen morgengebett meine schuldigkeit bey unßern herrgott abgelegt habe, will ich Eüch nun entreteniren. Unßere großhertzogin ist seyder gestern wider nach Paris, wirdt aber biß dinstag wieder kommen. Gestern nachmittag fuhre ich zu Chausseray[1] au bois de Boulogne; sie ist lustig, wie ordinaire, lacht undt blaudert, hatt doch wie ein art lauttlauffen[2], ein beyßens durch den gantzen leib undt ein klein fiebergen dabey undt [ist] abscheülich verstopfft; die starckste medecinen, so sie hatt, gehen nicht durch; ich fürcht, es[3] langwürige kranckheit drauß werden wirdt. Im hinfahren bracht man mir ein brieff von meiner dochter; die schreibt mir, [daß] der Alberoni den keyßer hatt wollen ass[ass]iniren oder vergifften laßen, hatt dazu einen graff Nimtsch, einen Schleßinger, so deß graff Altheim seine schwester geheüraht hatt, gewohnen sambt noch 2 ittallienisch äbt; den bey allen schlimmen sachen müßen allezeit pfaffen sich finden. Ich weiß nicht, wie die sach außkommen; allein all die schelmen seindt ertapt, so dieße abscheüliche that verichten solten[4]. Wen Ihr vielleicht bey den keyßerlichen zu Franckforth erfahren werdet, liebe Louise, wie die sach offenbahret worden undt heraußgekommen, bitte ich Eüch, mir solches zu berichten. Mir ist nicht woll bey dießer sach; den [286] Alberoni hast meinen sohn noch mehr, alß den keyßer, undt die Frantzoßen seindt so abscheülich interessirt, daß sie alles vor gelt thun, undt ich finde also, daß mein sohn in großer gefahr stehet, welches mich ängstet. Es kan kein größerer schelm gefunden werden, alß dießer Alberonni ist. Aber ich will von waß anderst reden, komme auff Ewer liebes schreiben vom 14, no 81, so ich vergangenen donnerstag entpfangen hatte. Die posten seindt in einem gar unrichtigen standt, daß man Eüch 2 von meinen brieffen auff einmahl gegeben. Es ist aber nicht allein zu Franckforth, daß sie so unrichtig geht, sondern überall. Die frantzösche post geht in der that auch recht übel undt es ist noch viel, wen sie nicht gar verlohren gehen. Der printzes von Wallis hatt man viel von meinen schreiben verlohren, aber mir fehlen keine von den ihrigen; wie es zugeht, weiß ich nicht. Wir haben genung von meinem contrefait gesprochen; ist nicht der mühe wehrt, mehr davon zu sagen. Ihr habts, es hatt Eüch erfreüet, liebe Louise, daß ist genung. Ich wolte gern, daß Ihr Eüch ahn keinen brill gewehnt, es verdirbt gewiß die augen; aber wen man gedult hatt undt die brill nicht braucht, kompt daß gesicht gewiß wider. Ich habe die probe davon, sehe nun beßer, alß vor 12 jahren, undt brauche mein leben keine brill. Monsieur Marion, der mich kürtzlich gesehen, hatt es mich[5] woll gleich kenen können; den es gar kenbar ist, wiewoll, wie ich Eüch schon gesagt, liebe Louise, es schon 6 jahr ist, daß das original gemahlt worden zu Marly. Die zeit leüfft abscheülich geschwindt vorbey. Mein sohn hab ich daß memoire von madame Marion übergeben; wo es aber hinkommen, weiß ich nicht; es werden offt viel memoiren verlohren; schickt mir derowegen wider eins! Mein sohn hatt so abscheülich viel zu thun, daß er sich nicht alles erinern kan, undt seine cammerdinner seindt sehr negligent, verliehren manches memorial, daß man nicht weiß, wo sie hinkommen. Also so baldt alß eins fehlt, muß man ein anders geben. Last in daß zweytte die exempel von Metz setzen! den viel sachen bestehen hir auff exempel. Daß kan mir gar keine ungelegenheit geben, liebe Louisse! Kein protzes were mein contrefait werdt geweßen; ich hette Eüch ja gar leicht wider ein anders schicken können, den der mahler, so daß Ewerige gemacht undt [287] Penel heist, ist ein junger man, der noch lang wirdt mahlen können. Ich habe seinen vatter woll gekandt, der auch ein gutter mahler geweßen ist. Ich habe leyder woll gedacht, daß Ihr lang mitt Ewerm knie zu thun würdet haben; den ich sehe wenig, so couriren, wen die flüße auff die knie fahlen. Ich brauche gar nichts mehr vor meine knie; etlichmahl thun sie mir woll wehe, aber sie seindt doch nicht schlimmehr[6], alß sie wahren. Ich werde Eüch erster tagen ein par kleine bouteillen mitt copaheu schicken undt die beschreibung dabey, wie es zu brauchen ist. Hir haben alle balbirer Fioraventi[7], also dachte ich, daß es auch gemein in Teütschlandt wehre; hatt vielleicht einen andern nahmen. Hir ahm hoff lacht man über die façons undt man helt es vor bürgerlich. Mich deücht, daß es dem haubt ein affront ist, unter die sachen zu rechenen, wobey man salva honnori[8] sagt. Man spricht gantz anderst bey hoff, alß in der statt. Also wen man spricht, wie in der statt, heist man es bey hoff parler en bourg[e]ois.[9] Von niemandts, [der] bey hoff ist, werdt Ihr viel mitt façons reden hören; man piquirt sich bey hoff, naturel zu sein. Die ahm allerfälschten[10] sein, stellen sich, alß wen sie naturel wehren, aber wie die taschenspiller sagen: Wer die kunst kan, verräht den meister nicht. Ich bin es in der that, also mercke ich die falschen natürlichen gar baldt ordinarie. Die nichts bößes haben, haben viel gutts; den es ist just daß gutte, so daß böße verhindert; den von natur seindt schir alle menschen zum bößen geneigst[11]. Aber die sich von der raison regieren laßen undt woll erzogen worden, erwehlen die tugendt. So geht es Eüch auch, liebe Louisse! Zur tugendt gehört kein standt; es findt[12] offtermahlen mehr in einem niederigen, alß gar hohen standt; den die gar hohen stendt finden zu viel flatteurs undt schmeichler, so sie verderben. Ich sehe auff keinen standt; wo ich etwaß gutts finde, da gehe ich gern mitt umb. Ihr seydt überall estimirt undt mehr, alß vielle, die es hoher tragen, alß Ihr; also könt Ihr gar woll mitt Ewerm standt zufrieden sein, liebe Louise! Ihr habt groß recht, nicht mitt niemandts, alß mitt mir, von dießer sach zu reden. Es ist auch nicht übel gethan, zu glauben laßen, [288] daß der könig in Englandt viel von Eüch helt, den er solte es billig thun; aber wer seine kinder nicht lieb hatt, kan woll nicht groß wercks von andern machen. Die printzes von Wallis weiß woll, daß ich Eüch lieb habe, undt sie hatt auch eine rechte estime vor Eüch; also reden wir beyde recht gern von Eüch. Ewerer niepcen werde ich mich auch allezeit erinern, waß sie mir sein. Von gutten gemühtern halt ich mehr, alß von schonheit; den ich bin gar nicht von denen, so in weiber verliebt sein können; also sehe ich nur auffs gemühte. Monsieur le Fevre[13] hatt ein ewiges lob hir im landt erworben durch seine auffrichtigkeit, sich nicht wollen bestechen zu laßen, undt sein desinteressement, so jetzt so gar rahr in der welt ist. Ewere niepcen haben monsieur le Fevre mehr obligation, alß mir; den er hatt mehr vor ihnen gethan; ich habe nur bloß gethan, waß meine schuldigkeit ware, aber daß hatt monsieur le Fevre überschritten, den er hatt mehr gethan, alß er gesolt. Hiemitt ist Ewer liebes schreiben völlig beantwort. Ich muß mich ahnziehen undt in die kirch gehen, also werde ich vor dießmahl nichts mehr sagen; den bekomme ich dießen nachmittag ein schreiben von [Euch], werde ichs Eüch, liebe Louisse, noch berichten, den brieff aber vor die andere post sparen, wo mir gott leben undt gesundtheit verleyet. Adieu! Ich ambrassire Eüch von hertzen undt behalte Eüch allezeit lieb.
Ich komme jetzt eben auß der kirch undt entpfange Ewer liebes schreiben vom 17, no 82; aber, wie ich schon gesagt, ich werde erst biß donnerstag drauff andtwordten. Ich bitte Eüch, wofern Ihr noch ein dutzendt schraubthaller bekommen könt, so schickt mir sie! so werde ich sie bezahlen. Schreibt mir auch dabey, waß es kost, liebe Louisse! Ich habe alle zeittungen, so Ihr mir, liebe Louisse, geschickt, durchgeloffen, aber es stehet kein wordt drin von deß Alberonie conspiration; jedoch so ist es schon in 2 hollandischen zeytungen gestanden undt man hats auch von Wien nach Lotteringen geschriben, muß also doch war sein. Ich kan mich nicht resolviren, meinen brieff zu überleßen. Entschuldigt die fehler, [289] liebe Louise, undt seydt versichert, daß ich Eüch allezeit von hertzen lieb behalte!
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 29. Oktober 1719 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 4 (1877), S. 285–289
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d04b1065.html
Änderungsstand:
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