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Brief vom 2. November 1719

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1066.


[289]
St Clou, den 2 November 1719 (N. 34).
Hertzallerliebe Louise, ich habe Eüch schon vergangenen sontag, wo mir recht ist, bericht, wie daß ich Ewer liebes schreiben vom 17 October, no 82, zu recht entpfangen habe, worauff ich in dießem augenblick andtwortten werde. Man kan nicht übeller gehen, alß die frantzoschen posten gehen; sie seindt aber auch unter einem gar curieussen oberpostmeister, dem herrn von Torcy, der hatt mir all sein leben alle meine brieff aufgemacht undt geleßen. Daß, wiewoll sehr impertinent, were noch woll hingangen; den ich frag nichts darnach, wen man meine brieffe lest[1]; aber daß er nach der alten zott[2] willen commantaire drauff gemacht, umb mich von unßern könig haßen [zu] machen, daß war zu grob. Er mag aber nun so viel commantaire machen, alß er will, es ist mir nicht bang, daß er mich mitt meinem sohn brouilliren wirdt, solte sich auch gleich daß böße pfäffgen, der abbé Dubois, sich gleich dazu schlagen. Das kan nicht geschehen; den sie seindt ertzfeindt, haben abscheülliche querellen gehabt, wo sie ihre wahrheitten einander dichte gesagt. Man konte ihnen sagen, wie I. G. s. der churfürst, unßer herr vatter, alß pflegt zu sagen in gleichen fällen: Accordes vous, cannaille[3]! Aber genung hirvon! Man muß zufrieden sein, liebe Louisse, wen die brieffe nur nicht gantz verlohren gehen undt sie doch endtlich überkommen. Es war, wie [ich] sehe, montag, 16 October, ein unrichtiger tag vor die posten, weillen Ewere englische brieffe auch nicht ahnkommen. Der printzessin von Wallis liebe schreiben verweillen sich woll ein par tag, aber ich verliehre doch keine. Vorgestern kam Alvares[4] her, so in Monsieur s. dinsten geweßen. Es ist ein kauffman, er undt seine brüder sein Christen, aber sein vatter war hir ein Christ undt zu Amsterdam ein Jud. Madame Despinois[5] hatt ihn alß vor einen christlichen kauffman [290] gehalten; wie sie aber zu Amsterdam einmahl war undt ihr der vorwitz ahnkam, in die sinagogue dort zu geben, fandt sie den alten Alvares; der trug die 10 gebott herumb, da sahe sie, welch ein Christ er war. Ich vexirte seinen sohn gestern mitt; der sagte: Puis que feu madame Despinois dit l’avoir veüe, je n’ay rien a repliquer; mais il faut que s’ait estés quelque gageure que mon pere avoit fait de porter la loy dans la sinagogue, car s’il n’estoit Chretien, il ne nous auroit pas laisses paptisser tout ces[6] fils ny faire mon frere prestre et abbé. Dießer Alvares ist ein par jahr nach Monsieur s. todt mitt juwellen nach Constantinople trafiquiren[7] gangen; da hatt er einen großen, dicken schnautzbaart wacksen laßen undt die turquische tracht ahngenohmen; sicht so poßirlich auß, daß ich ihn ins gesicht gelacht, wie ich ihn gesehen. Er verstehet woll raillerie; er hatt mir ein schön pressent von der printzes von Wallis gebracht, ein schon golten meßer, woll gearbeit (daß futral ist auch von golt), undt eine schachtel von seehundtshaut, worinen allerhandt woll gemachten mycroscopen sein, so mich zu Paris sehr amussiren werden; ist ein recht pressent vor mich. Wen Ihr gleich in Ewerem vorigen schreiben salva venia gesetzt hettet, würde ich es nicht verstanden habe[n]; den, liebe Louise, ich verstehe kein wordt Lattein; ich laße Lattein in den kirchen blären, so viel man will, ich bette nur auff Teütsch undt etlichmahl auff Frantzösch. Daß abendtsgebett ist hir undt zu Versaille auff Frantzösch, da gehe ich alle tag in; fengt daß Lateinisch ahn, so leße ich meine gebetter auff Teütsch. Hirauß secht Ihr woll, liebe Louise, daß ich ahn Ewerem Latein nichts verlohren habe. Daß venia habe ich mein leben nicht sagen hören, aber woll daß salva honnore[8], worüber wir allezeit gelacht haben ahn unßerm hoff sowoll, alß hir bey hoff; man sagts woll in vexirerey, aber nie in ernst. Daß Ihr noch ahm knie leydt, wundert mich gar nicht, ist mir aber leydt; ich weiß nur gar zu woll, waß kniewehe ist; arquebussade-waßer[9] halte ich gar gutt darzu. Ein schweitzerischer edelman, so monsieur Frisching heist, hatt mir auch 2 boutteillen davon geben. L’huille de copaheu ist dazu nicht gutt, aber vor gar viel andere sagen[10], alß vor starcke grimmen, vorß grieß, vor wunden; dazu ist [291] es trefflich, wen es nicht verfalscht ist. Ich habe es gar gutt, werde Eüch, wie ich schon versprochen, etliche bouteillen davon schicken mitt der beschreibung, wozu es gutt ist. Daß schönne wetter ist gantz hir vergangen; es regnet seyder 3 tagen alle tag undt allebenwoll ist die Seine noch so niederig, daß die schiff kaum drauff fahren können undt sich allezeit in den sandt einsencken. Ihr habt woll gethan, liebe Louise, einen brieff zu s[p]aren undt Ewern[11] oder vielmehr mein compliment mündtlich abzulegen bey ihrem abzu[g] nach Darmstatt undt Hannaw. Graß undt korn lest sich nun überall sehen, gottlob! daß tröst ein wenig über allen duren[12] baumen; den alles laub ist nun abgefahlen. 4 taffeln mitt spillen kan man, wie man hir sagt, ein apartement heißen. Die rüe de Quincampois[13] verhindert zu Paris daß spillen[14]. Es ist eine rechte rage; ich bins erschrecklich müde; den man hört von nichts anderst reden undt es geht kein tag vorbey, wo ich nicht 3 oder vier brieffe bekomme, wo man mir actionen[15] fordert; daß ist eine langweillige sache. Baron Görtz hatt die mühe genohmen, mir alle die dressische[16] divertissementen zu schicken, wie man sie von tag zu tag [292] gefeyert hatt. Die arme graffin von Dalwitz, ob ich sie zwar nicht kene, jammert mich doch sehr, ein so groß unglück gehabt [zu haben]. Alle pferdt seindt nicht gutt vor damen, insonderheit vor denen, so daß jagen undt reytten nicht gewondt[17] sein; es geschehen leicht unglück. Wie ich von der[18] graffen von Warttenberg gehört, so war nicht viel besonders ahn ihm, hilte die abscheülichste discoursen von seiner leiblichen mutter, so man halten kan. Daß hatt ihm auch kein glück gebracht undt hatt nicht lang gelebt in dem landt, daß ihm der herr, sein gott, geben hatt, wie im gesetzt stehet[19]. Man hatt mir gesagt, daß die nichtswürdige … hette sich wider geheüraht, ich habe aber vergeßen, mitt wem. Es muß ein armer mensch sein, so sie umb ihren reichtum nimbt; er solle doch waß rechts sein. Es ist kein ander Pfaltzgraff mehr vorhanden, alß unßer printz von Birckenfelt, so, wie ich hoffe, baldt mehr Pfatzgraffen machen wirdt; den er ist nicht vom goust a la mode undt solle sehr verliebt in seine gemahlin sein. Kan man schonne jagten zu Germersheim haben, daß[20] es ja so gar morastig ist? Ich bin dort geweßen; damahlen war der herr Helmstätter ambtman dort, deßen leben ein rechter roman ist. Wen war ist, waß in den hollandischen zeitungen stehet, wirdt die heydelbergische sach woll gehen; den es stehet drinen, daß auff der preussischen [und] hollandischen abgesandten beweiß, daß Churpfaltz gegen den friedenstractaten in der Pfaltz tractire undt handtire, hette der keyßer ahn Churpfaltz geschrieben undt die sach gar ernstlich recomandirt. Daß wirdt den pfaffen die mäuller stopffen undt, wie ich hoffe, alles wieder gutt machen; den die pfaffen seindt so geschaffen, daß, so baldt sie finden, daß man ihnen widerstehet, werden sie samfft wie lämmer; lest man sie aber gewehren, seindt sie es[21] reißende wölffe. Zu meinen, dieße leütte mitt samfftmuht zu gewinen, ist ein ihrtum undt abus; man muß ihnen gleich die zähne weißen, sonsten kompt man nicht mitt ihnen zu recht. Nichts ist grausamer, alß ein religionskrieg. Ich glaube nicht, daß sich Franckreich drin mischen würde wegen der pfaffen. Mein sohn würde es nicht thun dörffen; den mitt den religionsdispütten von den Molinisten undt [293] Jansenisten[22] würden sich beyde gegen ihn setzen undt vor Huguenot declariren, weillen er keine parthie unter denen zweyen nehmen will. Es ist war, daß in Bretagnen ein großer desordre ist; aber madame du Maine hatt woll so viel part drin, alß Alberonie. Madame la printzes[23] ist zu ihrer dochter, meint, ihr den kopff zu recht zu bringen, woran ich sehr zweyffle; daß zwergelgen ist zu boßhafft. Mich verlangt, daß ich durch Eüch, liebe Louisse, erfahre, wie die conspiration von dem verfluchten Alberonie zu Wien gegen den keyßer ist endeckt worden. Ahn Alberonie[24] sach kan ich nichts begreiffen, bin die sach so müde, alß wen ichs, wie die gutte fraw von Harling alß pflegt zu sagen, mitt lofflen[25] gefreßen; den ich werde alle tag mitt geplagt undt leütte, die ich nicht kene, schreiben mir, umb actionen[26] zu haben, undt bekomme alle tag brieff über brieff deßwegen, welches eine langweillige sagen[27], ohne zu rechnen meine leütte, so mich auch drumb [plagen]; ich andtwortte aber, daß ich nie bettlen gelehrnt habe. Mache nun eine pausse biß dießen andtwort[28].
Donnerstag, den 2 November, umb 6 abendts.
Ich komme jetzt auß dem abendtgebett; den wie ich eben von Madrit kommen, war es ahngefangen. Chausseray hatt, gottlob, kein fieber mehr, ist aber sehr matt. Wie ich in kutsch gestiegen, hatt man mir Ewer liebes schreiben vom 21 October, no 83, gebracht, welches ich in der kutsch geleßen, werde aber nur auff einen article andtwortten, daß überige aber vor andere post versparen, so mir gott leben undt gesundtheit verleyet. Daß article, worauff ich Eüch andtwortten will, ist, wo Ihr ihn zweyffel seydt, ob mein abbé de St Albin deß[29] chevallier[30], so jetzt grand prieur von Franckreich, brüder sein. Ihr habts recht errahten, liebe Louisse! Sie [294] seindt brüder, aber nur von vatters seytten, haben zwey unterschiedtliche mütter gehabt. Der chevalier ist legitimirt worden, den armen[31] abbé aber ist nicht erkandt worden; der gleicht aber mehr, alß sein bruder, ahn seine verwandten; er gleicht sehr ahn Monsieur s., hatt auch etwaß von seinem vatter undt viel von mademoiselle de Valois; aber in meinem sin ist er hübscher vor ein man, alß sie vor eine printzes; er [ist] e[t]liche jahr älter, alß der chevallier. Er ist betrübt, seinen jüngsten bruder so über sich zu sehen. Der chevallier, so seyder kurtzer zeit grand prieur von Franckreich in den malte[s]ischen ordre geworden, ist der jetzigen madame d’Argenton sohn, so, wie sie mein hofffreüllen geweßen, Sery[32] geheyßen. Deß abbé seine mutter aber war eine däntzerin vom opera, so Florance hieß[33]. Mein sohn hatt noch eine dochter von der lincken seydten, so nicht erkandt ist worden; ein marquis de Segur hatt sie geheüraht[34]. Dieße ist der besten commedianten dochter, so in deß königs troupe ist, heist la Demare[35]. Es seindt noch 2 oder 3 vorhanden, so ich mein lebetag nicht gesehen. Die seindt von einer frawen von qualitet; ihr großvatter ist meines sohns hoffmeister geweßen, hieß le duc de la Vieuville[36], war vorher der königin chevallier d’honneur geweßen. Sie ist eine witib seyder 2 jahren, ihr man hieß monsieur de Berabas, war auch ein man von qualitet. Ihre mutter ist dame datour[37] von der duchesse de Berry geweßen undt in ihren dinsten gestorben. Ich glaube nicht, daß mein sohn sicher sein kan, daß die kinder sein sein; den sie ist eine dolle humel, die tag undt nacht seüfft, wie ein borstenbinder[38]. Mein sohn ist gar nicht jalous; einer von [seinen] leütten logirt bey ihr, seindt a pot et a rot[39]; ein anderer, so auch von meines sohn leütten ist, hatt dießen ein wenig außgestoßen, daß [295] divert[iert] mein[en sohn], er lacht nur drüber, ist gar nicht jalous, wie Ihr segt[40]. Ich gestehe, daß ich daß gar nicht begreiffen [kann], undt mich deücht, daß, wen ich waß liebs hette, mite ichs vor mich allein behalten undt könte nicht leyden, daß es jemandts neben mir lieb hette. Es scheindt nicht, daß meins sohns[41] waß von seinen groß herr vatter, meinen herr vatter s., hatt; den, wie wir wißen, wahr I. G. s. jalous genung, deß bin ich zeüge[42]; aber I. G. s. hattens woll kein ursach, deß bin ich auch woll gewiß. Aber hiemitt habe ich vor dießmahl auch genung geplauttert, wünsche, daß die trait d’histoire Eüch ein wenig amussiren mögen; werde Eüch all mein leben von hertzen lieb behalten, liebe Louisse!
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 2. November 1719 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 4 (1877), S. 289–295
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d04b1066.html
Änderungsstand:
Tintenfass