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St Clou den 12 November 1719, umb 6 morgendts (N. 37).
Hertzallerliebe Louise, gestern abendts bin ich umb
3/
4 auff 10
ins bett, kan also woll wieder früh auff [sein], will meinen tag mitt
Eüch ahnfangen, wen er kommen wirdt; den es ist noch itzunder
stock-finstere nacht. Aber dießen morgen wirdt die großhertzogin
wieder herkommen, umb etliche tage hir bey unß zu bleiben, muß
also ein wenig früher, alß ordinarie fertig [sein], umb I. L. in ihre
cammer zu besuchen. Ich weiß nicht, ob mich die großhertzogin
auffmuntern wirdt; allein ich bin recht gritlich undt will Eüch die
ursach sagen. Gestern abendts habe ich erfahren, daß mein sohn
undt madame d’Orleans ihren sohn erlaubt haben, bey den
verfluchten leichtfertigen bal vom opera zu gehen, welches dießes
bißher so gantz frommen kindts verderben ahn leib undt seehl sein
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wirdt
[1]; den ins bordel oder bey den bal zu gehen, ist woll all eins.
Daß kindt ist delicat, wie eine muck, kan die geringste fatigue
nicht außstehen, hatt sein leben nicht spatter, alß 11 uhr gewacht.
Dießes mitt dem leichtfertigen leben, so dort vorgeht, wirdt dießen
armen buben gewiß umbs leben bringen
[2], der meinem sohn doch so
hoch nöhtig ist. Da segt Ihr, liebe Louise, daß ich recht ursach
habe, gridtlich zu sein. Aber last unß von waß anderst [reden]!
Waß mich noch bey dießen bal verdriest, ist, daß mein sohn, der
gar keine gefahr scheüdt, sich auch dort finden wirdt; [er wird]
sich nicht allein kranck machen, wie vor einem jahr, sondern er
stehet auch noch in gefahr, von dem Alberoni assasinirt zu werden.
Auß dießem allem segt Ihr woll, liebe Louise, daß ich gar keine
ursach habe, lustig zu sein. Nun ich Eüch mein hertz eroffnet
undt meinen verdruß geklagt, komme ich jetzt auff Ewer letztes
liebes schreiben vom 28 October, no 85, welches ich vergangenen
donnerstag zu recht entpfangen; aber, wo mir recht ist, habe ichs
Eüch schon bericht. Alle posten gehen abscheülich unrichtig von
allen ortten. Meine gesundtheit ist bißher perfect; allein, lebe ich
lang in den sorgen, wo ich seyder gestern bin, wirdt sich mein
miltz baldt wieder füllen mitt der schwartzen gall. Nein, liebe
Louise, ich darff nicht mehr zu nacht eßen; ich habs versucht,
schlaffe viel ruhiger ohne eßen. Ein eintzig eydotter, in waßer, so
gantz siedig ist, geschlagen, kan nicht viel galle machen;
verdrießlichkeit macht es mehr undt daß ist nicht zu endern, muß daß miltz
füllen laßen, undt wen es voll wirdt sein, mitt dem grünen safft
wider lehren
[3]. Unßere abtißen ist lengst wider in gar volkommener
gesundtheit; sie ist ein harter kniper. Ich wolte, daß ihr bruder
so starck were, alß sie ist; aber es
[4] ist leyder nur, alß wen er
von papir gemacht were; macht mich offt bang. Unßere abtißin
hatt etwaß [gesagt], so mir woll gefahlt. Sie hatte affairen, hette
dießen pretext woll nehmen können, umb nach Paris ins Val de
Grace zu kommen; aber sie hatt gesagt, es stunde einer abtißin
nicht woll ahn, ohne große nohtwendigkeit auß ihrem closter zu
sein; hatt nicht kommen wollen. Daß aprobire ich sehr; den
weillen sie ja dieß handtwerck genohmen, ist es beßer, daß sie es woll,
alß übel, thun
[5]. Dießer abtißen kranckheit hatt nur 4 tag gewehrt,
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hatte gar starck ahn[ge]fangen, ist aber baldt zum endt gangen.
Womitt ich dießen brieff ahngefangen, erweist woll, liebe Louise, daß
man nicht ohne chagrin undt sorgen in der welt sein kan; es
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jedes muß sein verhengnuß erfüllen. Mitt der rechnung, so ich
gemacht, sambstags 4 undt mittwog 3 capittel zu leßen, ist es doch
eben, alß wen ich alle tag 3 capittel ließe; den waß ich sambstag
leße, ist vor sambstag, sontag, montag undt dinstag; die andern
3 machen mittwo[ch], donnerstag undt freytag. Die 5 tag, so ich
nicht leße, habe ich ohnmöglich der zeit, zu leßen; aber sambstags
habe ich nur überbliebende schreiben zu beantwortten undt mittwog
nur ahn die hertzogin von Hannover zu schreiben; aber die andern
tagen habe ich 2 ordinarie posten auffs wenigst. Heütte, alß
sontag, zum exempel habe ich ahn Eüch undt in Lotteringen zu
schreiben, montags ahn die königin in Preüssen, die von Spanien, so zu
Bajonne ist, undt die königin von Sicillien; dinstag schreibe ich
wieder in Lotteringen undt ahn die printzes von Wallis, deren
geringste schreiben ich von 20 bogen
[7], aber ordinarie seindt sie von
24 oder gar 28 bogen, wie dieße seindt; donnerstag schreibe ich
ahn Eüch, liebe Louise, monsieur Harling undt baron Görtz;
freytag habe ich wider die englische undt lotteringische post Vor
meine gesundtheit muß ich ja woll auch spatziren fahren,
etlichmahl auch nach Paris, mein sohn undt seine gemahlin zu [sehen];
daß benimbt mir einen gantzen tag. Segt Ihr woll, liebe Louisse,
das mir gar wenig zeit in der woch zu leßen überbleibt? Die
gantze Biebel zu behalten, ist oh[n]möglich; dencke, nur zu behalten,
waß zu meiner seeligkeit nutz ist. Außer die Biebel undt heyllige
[schrift] kan ich keine geistliche bücher leßen, schlaff drüber ein.
Ich weiß nicht, wer der herr Canstein
[8] wahr
[9], noch wie er sein
Testament gemacht. Nach aller aparentz ist zu hoffen, daß die
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sach von den armen refor[mierten] Pfaltzern woll gehen wirdt. Weillen
sich so viel hohe personnen undt der keyßer se[l]bst drumb
bekümern, so hoffe ich, daß sich die wüste Jessuwitter sich nicht mehr
werden mucken dörffen undt hinfüro behutsamer sein. Ich habe dem
pfaltzischen secretarie meine meinung über dießer sach teütsch
herauß gesagt, daß es mir wunder nimbt, wie daß ein so verständiger
undt gutter herr, wie ich I. L. den churfürsten beschreiben höre,
sich von bößen pfaffen so regieren laß, daß könige, keyßer undt
fürsten ihn erinern müßen, waß er seinen unterthanen schuldig seye.
Der secretarius war gantz bedultelt
[10]; Lenor hatte ihm auch
vorher schon die meinung braff gesagt. Nein, liebe Louise, es ist ein
großer unterschiedt unter die relationen, so Ihr mir geschickt, undt
die von baron Goertz; den die seine seindt frantzösch, also gantz
waß anders. Im grundt habt Ihr recht, liebe Louisse! Aber es ist
doch eine uhralte gewohnheit. Ich fragte einmahl hir, warumb man
daß thete; man andtworttete mir, es seye nöhtig, umb den pöpel
eine große idée von ihrem könig zu geben, daß inspirire ihnen den
respect undt admiration von ihrem herrn; den der pöpel examinire
nicht, ob das loben mitt recht ist oder nicht, glaubens, so baldt es
gedruckt ist. Ahn wem schreibt Ihr nach Wien? Es ist vielleicht
ahn dem herrn undt fraw von Degenfelt. Ey, liebe Louisse, Ihr
hettet woll Ewern brieff verkürtzen können; den es war gar nicht
nöhtig mehr, vor die St Clouer kirbe zu dancken; Ihr habt ja schon
so offt undt vielmahl davor gedanckt, mehr, alß es nohtig. Ich bin
Ewern niepcen recht verobligirt, mir nicht wider geschrieben zu
haben; den ich bin accablirt von brieffen, wie ich Eüch schon
gesagt. Ich bitte Eüch, allen 3en, den zwey schwestern undt graff
Degenfelt, doch wieder viel complimenten von meinetwegen [zu
schreiben], undt versichert ihnen, [daß] ich nie keine gelegenheit
verseümen werde, in welchen ich ihnen werde dinnen können, sie
mögen nur ohne scheü mich amploiren so
[11] waß sie glauben können,
daß ich ihnen nöhtig sein kan! Liebe Louisse, wir seindt einander
zu nahe, umb daß es nicht meine schuldigkeit, wo ich kan, Eüch
zu dinnen undt gefahlen zu erweißen undt lieb zu haben. Daß werde
ich auch all mein leben thun.
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P. S.
Sontag, den 12 November, umb 5 abendts.
Wir haben daß heßlichste wetter von der welt, kalter windt,
nebel undt regen. Ich bin nicht außgangen, wie Ihr, liebe Louise,
leicht gedencken [könnt]. So baldt ich von taffel kommen, hab ich
ein brieff von der königin in Spanien, die zu Bajonne ist, einen
von der königin in Preüssen, einen von der königin in Sicilien,
einen von Eüch vom 31 October, no 86, einen von meiner dochter
undt einen von der printzes von Wallis [empfangen]. Ich habe
ahngefangen, zu leßen, aber im vollem leßen bin ich entschlaffen, biß
man mich geruffen, weillen man in die kirch geleütt. Wie ich auß
der kirch kommen, habe ich den jungen grand prieur, so man le
chevalier d’Orleans heist, hir gefunden. Er kompt von Malte
[12], wo
er seine caravane gethan undt sein letztes gelübt abgelegt, kan sich
nun nicht mehr heürahten. Also wirdt mein sohn seine race auff
der lincken seytten nicht multipliciren; den der abt
[13] wirdt ein
prister werden, hatt gar keine große inclination dazu, jammert mich
von hertzen, ist ein rechter gutter, ehrlicher bub, der daß beste
gemüht hatt von der welt, gleicht viel ahn meinem herrn s., aber er
hatt eine schönnere taille, ist ein kopff langer, alß sein herr vatter;
er jamert mich von hertzen. Mittwog werde ich nach Paris undt
monsieur Marions placet
[14] ahn mein sohn [geben]; andern tag werde
ich Eüch berichten, liebe Louise, wie es abgangen. Aber monsieur
Marion sestzt in seinem schreiben, daß seine fraw gestorben. Wie?
ist sie todt undt schickt Eüch dieß placet? Daß begreiffe ich nicht,
liebe Louise, es seye den, daß mehr, alß eine, madame Marion ist.
Ich habe noch gar viel zu schreiben, muß also vor dißmahl nichts
mehr sagen, alß daß ich, so mir gott leben undt gesundtheit
verleydt
[15], werde ich biß donnerstag auff dießen brieff, so ich heütte
entpfangen, andtwortten. Ich weiß nicht, warumb Eüch von meinen
brieffen fehlt; den ich kan Eüch mitt wahrheit versichern, daß ich
keine eintzige post verfehlt habe; ich hoffe, es wirdt sich wider
finden.