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Brief vom 12. November 1719

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1069.


[306]
St Clou den 12 November 1719, umb 6 morgendts (N. 37).
Hertzallerliebe Louise, gestern abendts bin ich umb 3/4 auff 10 ins bett, kan also woll wieder früh auff [sein], will meinen tag mitt Eüch ahnfangen, wen er kommen wirdt; den es ist noch itzunder stock-finstere nacht. Aber dießen morgen wirdt die großhertzogin wieder herkommen, umb etliche tage hir bey unß zu bleiben, muß also ein wenig früher, alß ordinarie fertig [sein], umb I. L. in ihre cammer zu besuchen. Ich weiß nicht, ob mich die großhertzogin auffmuntern wirdt; allein ich bin recht gritlich undt will Eüch die ursach sagen. Gestern abendts habe ich erfahren, daß mein sohn undt madame d’Orleans ihren sohn erlaubt haben, bey den verfluchten leichtfertigen bal vom opera zu gehen, welches dießes bißher so gantz frommen kindts verderben ahn leib undt seehl sein [307] wirdt[1]; den ins bordel oder bey den bal zu gehen, ist woll all eins. Daß kindt ist delicat, wie eine muck, kan die geringste fatigue nicht außstehen, hatt sein leben nicht spatter, alß 11 uhr gewacht. Dießes mitt dem leichtfertigen leben, so dort vorgeht, wirdt dießen armen buben gewiß umbs leben bringen[2], der meinem sohn doch so hoch nöhtig ist. Da segt Ihr, liebe Louise, daß ich recht ursach habe, gridtlich zu sein. Aber last unß von waß anderst [reden]! Waß mich noch bey dießen bal verdriest, ist, daß mein sohn, der gar keine gefahr scheüdt, sich auch dort finden wirdt; [er wird] sich nicht allein kranck machen, wie vor einem jahr, sondern er stehet auch noch in gefahr, von dem Alberoni assasinirt zu werden. Auß dießem allem segt Ihr woll, liebe Louise, daß ich gar keine ursach habe, lustig zu sein. Nun ich Eüch mein hertz eroffnet undt meinen verdruß geklagt, komme ich jetzt auff Ewer letztes liebes schreiben vom 28 October, no 85, welches ich vergangenen donnerstag zu recht entpfangen; aber, wo mir recht ist, habe ichs Eüch schon bericht. Alle posten gehen abscheülich unrichtig von allen ortten. Meine gesundtheit ist bißher perfect; allein, lebe ich lang in den sorgen, wo ich seyder gestern bin, wirdt sich mein miltz baldt wieder füllen mitt der schwartzen gall. Nein, liebe Louise, ich darff nicht mehr zu nacht eßen; ich habs versucht, schlaffe viel ruhiger ohne eßen. Ein eintzig eydotter, in waßer, so gantz siedig ist, geschlagen, kan nicht viel galle machen; verdrießlichkeit macht es mehr undt daß ist nicht zu endern, muß daß miltz füllen laßen, undt wen es voll wirdt sein, mitt dem grünen safft wider lehren[3]. Unßere abtißen ist lengst wider in gar volkommener gesundtheit; sie ist ein harter kniper. Ich wolte, daß ihr bruder so starck were, alß sie ist; aber es[4] ist leyder nur, alß wen er von papir gemacht were; macht mich offt bang. Unßere abtißin hatt etwaß [gesagt], so mir woll gefahlt. Sie hatte affairen, hette dießen pretext woll nehmen können, umb nach Paris ins Val de Grace zu kommen; aber sie hatt gesagt, es stunde einer abtißin nicht woll ahn, ohne große nohtwendigkeit auß ihrem closter zu sein; hatt nicht kommen wollen. Daß aprobire ich sehr; den weillen sie ja dieß handtwerck genohmen, ist es beßer, daß sie es woll, alß übel, thun[5]. Dießer abtißen kranckheit hatt nur 4 tag gewehrt, [308] hatte gar starck ahn[ge]fangen, ist aber baldt zum endt gangen. Womitt ich dießen brieff ahngefangen, erweist woll, liebe Louise, daß man nicht ohne chagrin undt sorgen in der welt sein kan; es[6] jedes muß sein verhengnuß erfüllen. Mitt der rechnung, so ich gemacht, sambstags 4 undt mittwog 3 capittel zu leßen, ist es doch eben, alß wen ich alle tag 3 capittel ließe; den waß ich sambstag leße, ist vor sambstag, sontag, montag undt dinstag; die andern 3 machen mittwo[ch], donnerstag undt freytag. Die 5 tag, so ich nicht leße, habe ich ohnmöglich der zeit, zu leßen; aber sambstags habe ich nur überbliebende schreiben zu beantwortten undt mittwog nur ahn die hertzogin von Hannover zu schreiben; aber die andern tagen habe ich 2 ordinarie posten auffs wenigst. Heütte, alß sontag, zum exempel habe ich ahn Eüch undt in Lotteringen zu schreiben, montags ahn die königin in Preüssen, die von Spanien, so zu Bajonne ist, undt die königin von Sicillien; dinstag schreibe ich wieder in Lotteringen undt ahn die printzes von Wallis, deren geringste schreiben ich von 20 bogen[7], aber ordinarie seindt sie von 24 oder gar 28 bogen, wie dieße seindt; donnerstag schreibe ich ahn Eüch, liebe Louise, monsieur Harling undt baron Görtz; freytag habe ich wider die englische undt lotteringische post Vor meine gesundtheit muß ich ja woll auch spatziren fahren, etlichmahl auch nach Paris, mein sohn undt seine gemahlin zu [sehen]; daß benimbt mir einen gantzen tag. Segt Ihr woll, liebe Louisse, das mir gar wenig zeit in der woch zu leßen überbleibt? Die gantze Biebel zu behalten, ist oh[n]möglich; dencke, nur zu behalten, waß zu meiner seeligkeit nutz ist. Außer die Biebel undt heyllige [schrift] kan ich keine geistliche bücher leßen, schlaff drüber ein. Ich weiß nicht, wer der herr Canstein[8] wahr[9], noch wie er sein Testament gemacht. Nach aller aparentz ist zu hoffen, daß die [309] sach von den armen refor[mierten] Pfaltzern woll gehen wirdt. Weillen sich so viel hohe personnen undt der keyßer se[l]bst drumb bekümern, so hoffe ich, daß sich die wüste Jessuwitter sich nicht mehr werden mucken dörffen undt hinfüro behutsamer sein. Ich habe dem pfaltzischen secretarie meine meinung über dießer sach teütsch herauß gesagt, daß es mir wunder nimbt, wie daß ein so verständiger undt gutter herr, wie ich I. L. den churfürsten beschreiben höre, sich von bößen pfaffen so regieren laß, daß könige, keyßer undt fürsten ihn erinern müßen, waß er seinen unterthanen schuldig seye. Der secretarius war gantz bedultelt[10]; Lenor hatte ihm auch vorher schon die meinung braff gesagt. Nein, liebe Louise, es ist ein großer unterschiedt unter die relationen, so Ihr mir geschickt, undt die von baron Goertz; den die seine seindt frantzösch, also gantz waß anders. Im grundt habt Ihr recht, liebe Louisse! Aber es ist doch eine uhralte gewohnheit. Ich fragte einmahl hir, warumb man daß thete; man andtworttete mir, es seye nöhtig, umb den pöpel eine große idée von ihrem könig zu geben, daß inspirire ihnen den respect undt admiration von ihrem herrn; den der pöpel examinire nicht, ob das loben mitt recht ist oder nicht, glaubens, so baldt es gedruckt ist. Ahn wem schreibt Ihr nach Wien? Es ist vielleicht ahn dem herrn undt fraw von Degenfelt. Ey, liebe Louisse, Ihr hettet woll Ewern brieff verkürtzen können; den es war gar nicht nöhtig mehr, vor die St Clouer kirbe zu dancken; Ihr habt ja schon so offt undt vielmahl davor gedanckt, mehr, alß es nohtig. Ich bin Ewern niepcen recht verobligirt, mir nicht wider geschrieben zu haben; den ich bin accablirt von brieffen, wie ich Eüch schon gesagt. Ich bitte Eüch, allen 3en, den zwey schwestern undt graff Degenfelt, doch wieder viel complimenten von meinetwegen [zu schreiben], undt versichert ihnen, [daß] ich nie keine gelegenheit verseümen werde, in welchen ich ihnen werde dinnen können, sie mögen nur ohne scheü mich amploiren so[11] waß sie glauben können, daß ich ihnen nöhtig sein kan! Liebe Louisse, wir seindt einander zu nahe, umb daß es nicht meine schuldigkeit, wo ich kan, Eüch zu dinnen undt gefahlen zu erweißen undt lieb zu haben. Daß werde ich auch all mein leben thun.
[310] P. S.
Sontag, den 12 November, umb 5 abendts.
Wir haben daß heßlichste wetter von der welt, kalter windt, nebel undt regen. Ich bin nicht außgangen, wie Ihr, liebe Louise, leicht gedencken [könnt]. So baldt ich von taffel kommen, hab ich ein brieff von der königin in Spanien, die zu Bajonne ist, einen von der königin in Preüssen, einen von der königin in Sicilien, einen von Eüch vom 31 October, no 86, einen von meiner dochter undt einen von der printzes von Wallis [empfangen]. Ich habe ahngefangen, zu leßen, aber im vollem leßen bin ich entschlaffen, biß man mich geruffen, weillen man in die kirch geleütt. Wie ich auß der kirch kommen, habe ich den jungen grand prieur, so man le chevalier d’Orleans heist, hir gefunden. Er kompt von Malte[12], wo er seine caravane gethan undt sein letztes gelübt abgelegt, kan sich nun nicht mehr heürahten. Also wirdt mein sohn seine race auff der lincken seytten nicht multipliciren; den der abt[13] wirdt ein prister werden, hatt gar keine große inclination dazu, jammert mich von hertzen, ist ein rechter gutter, ehrlicher bub, der daß beste gemüht hatt von der welt, gleicht viel ahn meinem herrn s., aber er hatt eine schönnere taille, ist ein kopff langer, alß sein herr vatter; er jamert mich von hertzen. Mittwog werde ich nach Paris undt monsieur Marions placet[14] ahn mein sohn [geben]; andern tag werde ich Eüch berichten, liebe Louise, wie es abgangen. Aber monsieur Marion sestzt in seinem schreiben, daß seine fraw gestorben. Wie? ist sie todt undt schickt Eüch dieß placet? Daß begreiffe ich nicht, liebe Louise, es seye den, daß mehr, alß eine, madame Marion ist. Ich habe noch gar viel zu schreiben, muß also vor dißmahl nichts mehr sagen, alß daß ich, so mir gott leben undt gesundtheit verleydt[15], werde ich biß donnerstag auff dießen brieff, so ich heütte entpfangen, andtwortten. Ich weiß nicht, warumb Eüch von meinen brieffen fehlt; den ich kan Eüch mitt wahrheit versichern, daß ich keine eintzige post verfehlt habe; ich hoffe, es wirdt sich wider finden.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 12. November 1719 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 4 (1877), S. 306–310
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d04b1069.html
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