Seitenbanner

Brief vom 16. November 1719

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1070.


[311]
St Clou den 16 November 1719 (N. 38).
Hertzallerliebe Louise, ich kan nicht begreiffen, wie es kompt, daß Ihr meine brieffe nicht entpfangt; den ich kan Eüch mitt warheit versichern, daß ich keine eintzige post gefehlt habe. Aber alle posten gehen gar unrichtig; die von Turin kommen 2mahl 24 stundt spätter ahn, alß ordinarie. Meine brieff nach Lotteringen bekompt meine dochter auch eben so spät. 2 posten fehlen mir von Modene; die englische kommen auch spätter; alß sie thun solten. Suma, in allen ortten klagt man über die post. Man [wird Euch] wieder 2 auff einmahl von mir bringen. Daß prevet[1] vor Eweren niepcen meritirt keine dancksagung; es ist ja nichts neües, sondern alß dieselbe sach, so ich unterfangen, Ewern niepcen zu dinnen. Daß were schön geweßen, daß sie mich hir hetten undt ich ihnen in nichts dinnen [wollte], welches ich woll vor ihnen [gethan hätte], wen sie nur des marechal de Schonbergs enckellen geweßen wehren, will geschweygen den, da ihre fr[au] mutter undt Ihr mir so gar nahe seydt; also ist hirauff weitter nichts zu sagen, liebe Louisse! Ich weiß nicht, waß Ihr die ober vorstatt heist. Wo daß ober thor ist, weiß ich woll, den ich habe gar offt [den weg] in deß herrn oberamptman von Heydelberg, deß herrn von Landaß, hauß [gemacht], so geraht unter dem thiergartten war; offt deß morgendts umb 4 bin ich nunder gangen durch den burgweg undt habe [mich] dort so voller kirschen gefreßen, daß ich nicht mehr gehen kundt; den sie seindt unvergleichlich beßer in deß Landaß gartten, alß in keinem ort in Heydelberg. Keinen großen platz habe ich nie dort gesehen; aber wo zu meiner zeit ein großer platz war, daß war auff der rechten seytten von der frantzößchen oder closter-kirch; da hatt man einen hundtsstall auß gemacht, war vor dießem der solmische hoff geweßen. Die printzessin von Oranien schriebe alß ahn I. G. s. dem churfürsten, unßerm herr vatter, daß sie nach Heydelberg kommen wolle, den solmischen hoff wider zu bauen. Ihr herr vatter, der graff von Solms, war oberhoffmeister bey dem könig in Böhmen geweßen undt die printzessin von Oranien war hofffreüllen bey der königin in Böhmen. Die machte ihren heüraht [312] undt ihre fortune, wurde hernach so abscheülich stoltz, daß sie die arme königin in ihrem unglück verra[c]htete, undt [als] einmahl der königin pferdt kranck wahren undt die arme königin ein gespan bey dießer printzes lehnen wolte, schlug sie es der armen königin bladt [ab]. Daß seindt aber alte geschichten. Umb wider auff Heydelberg zu kommen, so jammern mi[c]h die arme leütte so, undt einen holtzern tag predigen hören bey dem feüchten regenwetter, daß wirdt abscheüliche fluß undt husten geben undt schnupen; daß wetter ist recht darnach itzunder. Die reiß von Schwetzingen nach Heydelberg ist kurtz. Ich glaube, ich konte dießen weg vom Spey[er-]tohr biß nach Schwetzingen gantz allein noch finden[2]. Von Schwetzingen auß ließe ich Offtersheim undt Epelheim undt Blanckenstatt auff der lincken handt, fuhr erst durch ein flach felt, hernach in der mitten durch ein klein wältgen, darnach wieder ins flach felt biß ahns Speyer-thohr; daß fahredt man bey deß schinders hauß vorbey, von dar bey dem spittahl, hernach bey dem quadischen[3] hauß undt die lutterisch kirch, hernach zu endt der gaß threhet man auff die rechte handt, fahrt lengst dem graben bey Seckendorffs hauß vorbey, hernach bey deß Seyllers vatters hauß, deß ferbers[4], da threhet man bey der kelter auff [der] lincken handt umb; auff der lincken handt auch findt man St Anne kirch, darnach kompt man ahn den großen berg undt fährt nauß; man lest Bettendorff[5] hauß auch auff der linken handt undt deß alten Marots[6] hauß undt seinen laden; etlich heüßer hernach findt man den brunen, so zwey röhr hatt undt steht en face, hernach threhet man ein wenig auff die rechte handt; ahn dießem ort ist der berg ahm schwersten zu fahren. Auff der seytten war zu meiner zeit ein schildt mitt einer silbern schaffe-scheer; waß nun ist, weiß ich nicht. Darnach kompt man in einem lehren[7] platz, wo man die statt sicht, undt auff der rechten handt ist deß gartners hauß, just wo der weg vom Wolffbrunen ahnfangt. Hernach fährt [man] gegenüber den gartten im vorhoff, wo der kleine gartten. Darnach threhet man auff der lincken handt zur ziehbrücken, bey welchem[8] zwey geharnischt mäner von stein stehen, undt oben drüber war ein mont [313] wie eine kugel, so man im schloß undt draußen sahe, undt die schloßuhr war in einem viereckenden thurn drüber. Da segt Ihr, liebe Louise, wie ich mein Heydelberg noch so woll außwendig weiß. Es ist eine böße nation daß pfaffengeschlegt; der ist glücklich, so nichts mitt ihnen zu thun hatt. Ich bin froh, daß meine natürliche expression [Euch nicht misfällt]. Ich habe gutte hoffnung, daß es vor unßere gute, ehrliche Pfältzer woll gehen wirdt, weillen der keyßer selber vor sie ist. Mein sohn wirdt gar gewiß sich nicht in dieße händel mischen. Ich glaube nicht, daß Churpfaltz undt mein sohn einander schreiben; den ich glaube, es ist difficultet wegen deß ceremonials. Dem seye aber, wie ihm wolle, so wolte ich mein kopff verwetten, daß mein sohn daß nicht geschriben hatt; daß ist der pfaffen rechtes krautt, ihren moglichsten fleiß zu thun, die leütte zu schrecken. Ich hette heütte ein neües oder frisches schreiben von Eüch, liebe Louisse, haben sollen. Ich bin fro, daß die gutte madame Zachman wieder woll ist. Der breüdigam muß ein schwestersohn vom Seyller sein, weillen er seinen nahmen nicht führt. Zu meiner zeit war kein keyßerlicher postmeister zu Heydelberg. Ihr redt mir von dem ehrvergeßenen undt verlogenen schelmen, den Seyllen[9], alß wen ich ihn nicht kente. Ich kente ihn gar woll; I. G. s. hatten ihn alß ein armes kindt auß [der] vorstadt in die Neckerschul gethan, undt weillen er große lust zum studiren erwieße, ließen i[h]n I. G. s. auß, zu studiren, machten ihn zum bibleoticarius, welches er etliche jahr verwaltet; hernach wurde er secretarius, nachdem ihn I. G. in Franckreich undt Ittallien hatten reißen laßen. Er war von meines brudern s. commedien; in Pastor fido war er Ergastus[10], im Sejanus Eudemus. Hernach, wie ich schon hir war, bestall er I. G. s. archiffen[11], lieff damitt nach Wien undt wurde catholisch. Der keyßer schickte ihn her alß envoyes; er ließ den könig bitten, ihm zu erlauben, keine audientz bey mir zu haben, den ich hette ihn nie leyden können; fürchtete, ich mögte ihn waß verdrießliches sagen; der könig erlaubt es ihm. Einsmahls, alß ich bey einem schönnen tag früher, alß ordinarie, von der jagt kommen war, kam mir lust ahn, umb den canal zu fahren. Wie ich ahn den canal kam, fandt ich Seyller in eine von deß königs kutschen. So baldt ich ihn sahe, sagte ich: Ah, voila [314] Seiller, il n’est pas changes. Seiller fuhr auff, alß wen er den teüffel gesehen, wirdt bleich wie der todt undt so übel, daß man ihn wegführen muste. Monsieur de Torcy fragte, warumb er den so sehr vor mich erschrecke; ich hette ja versprochen, daß ich ihm nichts vorwelffen[12] wolte. Er andtwortete, er wer meines herrn vattern bastert[13], aber ich hette ihn nie leyden können undt all mein leben so außgelacht undt vexirt, daß er mich arger, alß den teüffel, fürchte. Man frachte[14] mi[c]h, obs war were; ich aber verzehlte seine gantze historie. Ich sagte, man solte mir [ihn] herführen, wolte von nichts, alß von alten commedien, sprechen; aber man hatt ihn nie resolviren können, zu mir zu kommen; sagte, wen er meine stimme hören würde, müste er bladt ohnmächtig werden[15]. Hirauß segt Ihr woll, liebe Louisse, daß ich Seiller gar woll gekandt haben. Adieu, hertzliebe Louisse! Ich ambrassire Eüch von hertzen undt behalte Eüch von hertzen lieb.
Impressum
Datenschutz
KontaktPost
Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 16. November 1719 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 4 (1877), S. 311–314
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d04b1070.html
Änderungsstand:
Tintenfass