Seitenbanner

Brief vom 19. November 1719

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1071.


[314]
St Clou, den 19 November 1719 (N. 39).
Hertzallerliebe Louise, ich muß Eüch sagen, daß [ich] Eüch vergangen montag eine lügen geschrieben, nehmblich daß ich kein schreiben von Eüch entpfangen hatte; habe mich hernach erinert, daß ich, wie ich auß der commedie mitwog zu Paris gangen, etliche schreiben bekomen, so ich in sack von schürtztuch gesteckt, weillen ich es wegen der nacht nicht leßen konte; habe durchauß vergeßen, wie ich Eüch, liebe Louisse, geschrieben, das ich es im sack hatte, undt habe ich geschrieben, daß ich es nicht entpfangen. Da segt Ihr den effect von meinem schonnen gedachtnuß, liebe Louise! Vorgestern, wie ich in den sack griff, umb waß anderst zu suchen, fandt ich Ewern sambt noch 3 andern brieffen in meinem sack. Ewer liebes schreiben war vom 4, no 87. Es ambarassirte mich nicht wegen … den ich hette es doch nur heütte beantwortet; aber es verdroß mich, eine lügen geschrieben zu haben, den das [thue] ich gar nicht gern. Aber waß will man thun? Daß macht, [315] wie Pickelhäring sagt, wen er mutter Anniken ist: Daß thut daß liebe alter[1]. Es ist mir lieb, das Ihr, liebe Louise, nun alle meine schreiben entpfangen habt undt daß Eüch deren keine mehr fehlen. Aber daß Ewerige auß dem Schlangenbaadt ist undt bleibt verlohren. Es ist woll ein großer mutwill von der post, brieffe, da ihnen nichts ahn gelegen ist, so lang zu behalten, wen sie sie in 6 tagen bey dem[2] jetzigen schlimen wegen undt wetter liffern können. Aber waß solle man sagen? Die welt ist boßhafftiger, alß nie. Wen sie noch ein interesse drin hetten, were es noch zu verzeyen; aber nur bloß den leütten verdruß ahnzuthun, daß ist zu boßhafft. Ein woll policirter ort solte eine straff auff solche boßheit legen. Aber weillen nichts hirinen zu endern ist, will ich nichts mehr davon sagen. Ihr seydt gar zu demütig, liebe Louise, oder müst mich vor interessirter halten, alß ich bin, daß Ihr meint, das ich nur nach denen fragen solle, welche mir gar nützlich sein können. Wen daß nur were, wo kämme die freündtschafft hin, so daß geblüdt undt die estime erfordert? Ich würde woll zufrieden von meinen brieffen sein, wen sie Eüch, liebe Louisse, zu einigen trost undt auffmunterung dinnen könten. Es seindt viel königliche personnen, so man übel erzogen undt in der jugendt verdorben hatt, ihnen nur ihre grandeur gelehrnt, aber nicht dabey, wie daß sie nur menschen wie andere seindt undt vor nichts mitt aller ihrer grandeur zu estimiren sein, wofern sie kein gutt gemühte haben undt nach tugendt trachten. Ich habe einmahl in einem buch geleßen, daß man solche ahn saüe vergleicht, mitt goltenen halßbänder. Daß hatt mich frapirt undt auch lachen machen, ist aber doch nicht übel gesagt. Ich gebe, noch nehme kein exempel von niemandts, dencke, daß es ein jeder machen muß, wie er es verstehet. Madame Dangeau hatt gewiß viel tugenden; wenige folgen ihr exempel. So viel sie auch von ihrer schönnen sohns fraw helt, so ist sie doch ihr nicht zu vergleichen. Coursillon[3], der sonsten viel fehler hatte, war doch in einem stück recht lobenswehrt, nehmblich in den respect undt hertzliche liebe, so er vor seine fraw mutter hatte. Ich wolte, daß er es nicht gehabt hette; den so were die gutte fraw leichter zu trösten. Ihr man ist nun gar kranck ahm stein. Ob man ihn zwar [316] vor etlichen jahren den stein geschnitten hatt, dießmahl mögte er woll drauff gehen; den er geht in sein 80 jahr[4]. Daß lutterische liedt von: Dein will gesche, o gott, undt nicht mein menschenwill! wo mir recht, ist von hertzog Anthon Ulrich. Ich will es suchen, so baldt ich ahngethan sein werde; ich [werde] Eüch dießen nachmittag sagen, ob ich mich betrogen oder nicht. Ich habe doch lachen müßen, liebe Louise, daß Ihr es so nach Ewerm sin gethrehet hab[t]. Ich sage auch unßerm herrgott nie, waß ich nicht gedencke. Daß erinert mich ahn die gutte fraw von Landas. Wen die Colbin kranck war undt dieße marschalckin in meiner cammer schlieff undt morgendts- undt abendts-gebett laß undt ahn daß Unßer vatter kam, überhüpffte sie immer wie wir vergeben unßere schuldigern; daß hatt mich offt lachen machen. Ich finde, daß Ihr viel juster gesprochen, alß der daß liedt gemacht hatt; den wen gott unß nicht gibt, woll zu thun undt zu gedencken, könen wirs gewiß von unß selbsten nicht. Madame Dangeau thut ihr bestes; aber ich glaube, daß sie in eine große melancolie fallen wirdt; den kranckewärtterin bey einem alten man zu werden, kan woll nicht wieder auffmuntern. Sie jammert mich woll von hertzen, meritirte, glücklicher zu sein, alß sie leyder ist. Aber ich glaube, aber ich hoffe, sie wirdt mitt ihrem leyden undt gedult undt ergebenheit in gottes willen den himmehl verdinnen. Ich sehe, daß es dem hanoveris[c]hen hoff gangen mitt Eüch, wie monsieur le Dauphin s. mitt mir[5], daß man Eüch auch reparation gethan über waß Ihr von dem pfaltzigen wilbert[6] gesagt. Ihr habt noch ein ort vergeßen, wo die haßen kostlich sein, nehmblich zu Altzey. Mich deücht, daß die krametsvögel in der gantzen Pfaltz gutt sein; drumb heist man alle Pfältzer auch [317] krametsvögel[7], wie man die Sacksen heringsnaßen undt die Schwaben frösch[8] heist. Ich wolte, daß graff Degenfelt erst kämme, wen ich wieder hir sein werde; den da konte ich sie beßer entpfangen undt im hauß logiren; daß kan ich nicht zu Paris thun, dazu so eße ich gantz allein zu Paris, aber hir mitt damens. Also secht Ihr woll, liebe Louisse, daß es mir viel gemachlicher sein würde, sie hir zu haben, alß zu Paris. Ich hoffe, so mir gott leben undt gesundtheit verleyet undt Paris mich nicht auffreibt, zu endt deß Aprillen wieder hir zu sein. Mich deücht, die herrn abgesanten zu Heydelberg seindt waß langsam in ihren operationen. Von religionssachen reden undt gerechtigkeydt erweißen, ist kein handtwerckssach, konte also eben so woll feyertags, alß wercktag, tractiret werden; dieß deücht mir eine gar schlechte entschuldigung. Unter unß gerett, es deücht mir, es seye ein schlechter ahnstalt zu Heydelberg. Wie heist der cantzler, so bey Churpfaltz ist? Es ist eine rechte schandt, daß Eüch Churpfaltz daß Ewerige zurück[hält], da Ihr ja nur die eintzige von allen raugraffen undt raugraffinen seydt, so noch leben[9]. So regirender herr, so der printz von Rheinfels auch sein mag, so deücht es mir doch ein schlechter heüraht sein. Erstlich so ist er gar nicht reich, undt zum andern so ist die person, so ich hir gesehen, außer die geburt in allem gar schlegt. Were sie so schön, alß ihr 2 herr bruder, were es woll schadt, daß sie so einen unahngenemen herrn hette. Meine Reine incognüe[10] hatt gar gewiß mehr verstandt, alß dießer printz von Rheinfels. Mich deücht, sie hette woll waß beßers bekommen können. Mich deücht, außer die fürstin Ragotzy seindt die andern schwestern gar zu närisch verheüraht, umb in dieße schwägerschafft zu kommen. Ihr seydt nicht schuldig, zu wißen, liebe Louise, wie die Goblein[11] heyßen. Es führt den nahmen von einer bach, so dadurch fliest zu Paris[12]; habe keine generositet von nohten, liebe Louise, Eüch zu entschuldigen, dießen nahmen nicht recht geschrieben zu haben. Ihr sagt nichts mehr von der fürstin von Nassaw [318] undt ihrem Dürnberg[13]. Wo seindt die zwey schätzger hinkommen? Seindt sie in der quitterye, wie madame la duchesse de la Maylleray[14] alß pflegt zu sagen? Sie war possirlich, sagte: Ah, que l’amour seroit jolis, s’il n’y avoit point ces quitteries! Der courier von Modene ist gestern abendts ahnkommen; man weiß aber noch nicht, waß er bringt, ob der heüraht ahngehen wirdt oder nicht[15]. Erfahre [ich es] heütte, werde ichs noch berichten; es ist nur ein viertel auff 12 nun. Erfahre ich [es] aber nicht, müst Ihr nur mitt der versicherung zufrieden sein, daß ich Eüch, liebe Louisse, von hertzen lieb habe undt all mein leben behalten werde.
Sontag, den 19 November, umb 5 uhr nachmittags.
In dießem augenblick komme ich auß der kirch, undt wie wir von taffel kommen, habe ich Ewer liebes schreiben mitt den 3 schraubthaler zu recht entpfangen; dancke vor die mühe, so Ihr genohmen, mir solche außzusuchen. Wen Ihr mir die überigen schicken werdet, hoffe ich, daß Ihr mir dabey werdt zu wißen thun, waß es kost. Ewer liebes schreiben ist vom 7, no 88. Ich werde es heütte nicht vollig beantwortten. So mir gott daß leben biß zukünftigen donnerstag verleyehet[16], werde ich so ordentlich drauff antworten, alß ich heütte auff daß von 4, no 87, gethan, nur noch auff dießes frische sagen, daß es nicht war ist, daß madame la princesse madame du Maine wieder nach Paris geführt hatt. Sie ist vergangenen mitwog ohne sie wieder kommen[17]; aber sie hatt nie ihre fraw dochter hollen sollen, sie ist sie nur besuchen gangen, [319] weillen man ihr weiß gemacht, ihre fraw dochter wehre gar kranck. Aber wie sie in [das] hauß kam, lieff ihr madame du Maine entgegen, war also nicht so gar kranck, alß man madame la princesse hatt weiß machen wollen. Ich muß jetzt ahn mein dochter schreiben undt noch einen brieff von Paris beantwortten, werde also nur schließendt sagen, daß ich Eüch eine glückseliche nacht wünsche undt daß Ihr morgen wieder gesundt undt frollich auffstehen möget.
Impressum
Datenschutz
KontaktPost
Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 19. November 1719 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 4 (1877), S. 314–319
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d04b1071.html
Änderungsstand:
Tintenfass