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Brief vom 23. November 1719

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1072.


[319]
St Clou den 23 November 1719 (N. 40).
Hertzallerliebe Louise, der tag ist heütte gar spat kommen; umb 8 habe ich erst die lichter weg thun laßen, den es ist so ein erschrecklicher nebel, daß man nicht weytter, alß den hoff, vor sich sehen kan. Unßere hoffmeisterin, die jungfer Colb, pflegt alß zu verzehlen, daß eine fraw zu Wachenheim einen faullen sohn gehabt, den sie alle morgen hette müßen auffstehen machen. Einsmahl, alß sie ihn auffstehen machte, umb naußzuschicken bey einem nebel, threhet er sich herumb undt sagte: Chreischt, mutter, waß ein nabel! Aber daß hette er heütte woll sagen können. Wen ich so einen nebel sehe, fehlt mir dießes alß wieder ein. Es ist aber auch einmahl zeit, liebe Louise, das ich auff Ewer liebes schreiben vom 7, no 88, komme. Man solte meine schreiben in Ewer hauß behalten haben; es were noch zeit genung geweßen, daß Ihr es dort gefunden hettet, wie Ihr nach hauß kommen, ohne Eüch in Ewerm spiellen zu troubliren. Die zwey nahmen von Mentzing[1] undt Gräbendorf[2] seindt mir nicht unbekandt; ich weiß aber nicht mehr, wo ich sie gehört undt gesehen habe; den mein gedachtnuß schwacht alle tag je mehr undt mehr. Ihr müst woll eine große gedult haben, liebe Louisse, mein gekritzel mehr, alß einmahl, zu überleßen können. Ihr soltet Ewere kinder auß Englandt hir abhollen kommen, so könten wir ja einander gar woll sehen; Paris ist ja nicht gar weit von Franckfort. Chausseray hatt viel verstandt undt ist allezeit lustig undt allezeit kranck. Ich fuhr gestern zu ihr; sie ist, gott lob, viel beßer, alß sie geweßen, geht nun im hauß herumb, sicht auß wie ein gespenst, hatt weiße capen auff, ist gar bleich geworden, hatt einen weißen indianischen nachtsrock ahn, undt wie [320] sie gar lang undt schwang[3] ist, sicht sie recht auß, wie man die gespenster beschreibt Ich glaube, daß die weiße fraw zu Berlin so außsicht. Hir tractirt man nun die medecin gantz anderst, alß vor dießem. Chausseray hatte eine große pente[4] zum schwitzen; aber der docktor, monsieur Chirac, so meins sohns leibdocktor ist, hatte es ihr absolutte verbotten, sagte, daß man ihre kranckheit, umb sie im grundt zu couriren, durch den urin treiben muste, welches der schweiß verhindern würde. Graff Altheim thut woll, seinen schwager zu salviren, wo es ihm möglich ist; aber die conspiration[5] ist doch gewiß; den der könig in Sicillien hatt dem keyßer einen Ittalliener geschickt, so zu Turin vom keyßer gar übel gesprochen. Da hatt es sich endtlich gefunden, daß dießer schelm auch von deß Alberonis conspiration ist. Ich glaube, daß man dieße sache heimblich helt, umb desto eher alle die conspiranten zu endtdecken, undt daß were woll der mühe werdt. Es ist kein verteüffelter kerl in der welt, alß Alberoni; er macht mich immer angst vor meinen sohn; den nichts ist dießem bößen menschen zu viel. Er hatt eine entpörung in Bretanien ahngestehlt; der daß gelt entpfangen undt ein man, so von[6] den besten heüßern in Bretagnen ist undt[7] monsieur de Poncaillé[8] heist. 5 spanisch schiff sein kommen, 2 kerl seindt abgestiegen undt haben dem Pontcailles gelt gebracht; er hatt sich in monchenkleyder salviren wollen, ist aber, gottlob, ertapt worden. Wie es weitter gehen wirdt, sal den den tied lehrn, wie unßere s. churfürstin alß pflegte zu sagen. Ich glaube, ich habe Eüch schon letztmahl geschrieben, daß es zwar war, daß madame la princesse in Bourgognen gereist ist, ihr[e] fr[au] dochter, madame du Maine, zu sehen, aber daß sie sie nicht wider hergebracht hatt. Auß deren wirdt man sein leben nichts gutts machen; sie ist gar zu böß undt emportirt[9], es ist ein recht teüffelgen. Die historie von monsieur Laws kutscher hab ich nicht geleßen, den ich accablirt bin alle die tage her. Von Lotheringen seindt mir dieße woche alß umb den andern tag [briefe] kommen, habe große brieffe schreiben müßen wegen rechte affairen, so meinen enckeln ahngehen. Die historie von monsieur Laws kutscher, wen es die ist, daß er [321] seinem herrn zwey kutscher zugeführt, undt alß sein herr ihn gefragt, ob die kutscher, die er ihn zu[ge]führt, gutt wehren, andtwortet er: Ils sont si bon[s], que celuy que vous ne prendres pas, je le prend[s] pour moy. Daß ißt gar war; aber man hatt noch hundert historien von der banque bey monsieur Laws. Man hört undt sicht jetzt nichts anderst mehr undt alle tag kommen neüe historger hervor. Eine dame, so monsieur Laws nicht sprechen wolte, erdacht eine wunderliche manir, mitt ihm zu sprechen; sie befahl ihrem kutscher, sie vor monsieur Laws thür, umbzuwerffen, rieff: Coché, verse[10] donc! Der kutscher wolte lang nicht dran; endtlich folgte er seiner frawen befehl undt wurff die kutsch vor monsieur Laws thür, daß er weder auß noch ein konte. Er lieff gantz erschrocken herzu, meinte, die dame hette halß oder bein gebrochen, oder[11] wie er ahn die kutsch kam, gestundt ihm die dame, sie hette es mitt fleiß gethan, umb ihn zu sprechen können. Eine andere, so ich gar woll kene undt welche monsieur Laws auch nicht seh[e]n wolte, die bedachte eine ander list, umb ihm[12] zu sprechen. Sie heist madame de Bouchu. Sie hatte alß spionen bey monsieur Laws, umb zu erfahren, wan er außgehen würde; sie erfuhr, daß er bey madame de Simiane zu mittag eßen wolte. Sie fahrt zu madame de Simiane, so eine von mein[e]s sohns gemahlin damen ist, undt bitte[t] sie, sie mögt ihr doch zu mittag eßen geben. Dieß[e] andtwortete: Ein andermahl will ich es von hertzen gern thun, aber heütte kan ich es ohnmöglich thun; den monsieur Laws hatt sich zu ihr[13] zu gast geladen mitt dem beding, daß niemandts sich dabey finden mögte; also kan ich Eüch heütte nicht haben. Madame de Bouchu andtwordtet nichts, gab aber ihr[e]n laquayen undt kutscher ordre, daß, wen sie ahnfahngen würde, au feu zu ruffen, solten sie mitt aller macht so ruffen. Sie hatten noch einen von ihren leütten ins hauß geschickt, umb zu erfahren, wen sie ahn taffel sein würden. Da fengt sie ahn, au feu zu ruffen, alle ihre leütte noch stärcker, alß sie; alles im gantzen hauß kam in allarm undt lieff im hoff, zu sehen, wo den daß fewer were. Da sprang madame de Bouchu auß ihrer kutsch, lieff zu monsieur Laws undt gestandt ihm, wie es nur eine invention wehre, ihn zu sprechen undt actionen zu fordern. Dieß alles geht noch woll hin, aber waß 6 andere damen von [322] qualitet gethan haben auß interesse, ist gar zu unverschämbt. Sie hatten monsieur Laws im hoff aufgepast, umbringten ihn undt er batte, sie mogte[n] ihn doch gehen laßen. Daß wolten sie nicht thun; er sagte endtlich zu ihnen: Mesdames, je vous demande mille pardon[s], mais si vous ne me laisses pas aller, il faut que je crève, car j’ay une nécessité de pisser, qu’il m’est impossible de tenir davantage. Die damen andtwortten: He bien, monsieur, pisses[14], pourveüe[15] que vous nous escoutties[16]! Er that es undt sie blieben bey ihm stehen; daß ist abscheülich; er will sich selber kranck drüber lachen[17]. Da segt Ihr, Louisse, wie hoch der geitz undt interesse hir im landt gestiegen ist; es eckelt einem recht. Außer madame de Chasteautier kene ich niemandts in gantz Franckreich, so gantz ohne geitz ist; aber ich kene viel, die es so abscheülich sein, daß einem wahrlich die haar davor zu berg stehen. Ich mein alß, ich habe es übel verstanden, laß es mir repetiren, undt ob ich zwar seyder 48 jahr, daß ich in Franckreich bin, mich dran hette gewohnen [können], so ist es mir doch allezeit neü, dergleichen zu sehen undt zu hören. So baldt ich meinen sohn wider sehen werde, will ich ihn ahn monsieur Marion erinern. Die printzes von Wallis estimirt Eüch über die maßen; daß freüdt mich recht. Es ist woll wahr, liebe Louisse, daß die zeit wie ein blitz vorbeygeht. Es ist 7 mont, daß ich hir bin; die zeit ist mir vorbeygangen, daß ich gantz verwundert undt erschrocken drüber bin; den es hatt mir keine 3 mont gedeücht. Ich habe daß hertz gantz schwer, nach Paris zu gehen; den Paris ist der ort von der gantzen [323] weldt, wo ich ahn[18] ungernsten bin; erstlich so finde ich daß leben dort unleydtlich, zum andern so ist mir die lufft ungesundt, undt zum 3ten so bin [ich] gottsjämmerlich übel dort logirt, undt zum 4ten so habe ich in dem ort so erschrecklich viel gelidten, daß mir schaudert, wen ich noch dran gedencke, so baldt ich mich in daß wüst[e] Palais-Royal befinde. Aber waß will man thun? Wo die raison will, daß eine sache sein muß, muß man nur schweigen undt nichts mehr davon sagen. Man sagt auff frantzösch: Ce qui est differes, n’est pas perdus; also solt Ihr Eüch keine sorgen machen, liebe Louisse, daß Ewer liebes schreiben dißmahl kürtzer worden; sie können nicht alle auff einer maß sein. Vor die mühe, so Ihr genohmen, mir 3 schraubtaffeln[19] außzusuchen, [danke ich Euch sehr]. Ich hoffe, wen Ihr mir, liebe Louisse, die überigen schicken [werdet], werdet Ihr dabey setzen, waß sie kosten. Hiemitt ist Ewer liebes schreiben vollig beandtwortet. Ich hatte gehofft, heütte noch ein liebes schreiben von Eüch zu bekommen; aber es ist nichts kommen. Daß schlime wetter undt wege mag woll die post auffgehalten haben. In allem fall würde ich doch erst biß sontag drauff geantwortet haben; also verliehrt Ihr nichts dran. Schließlich ambrassire ich Eüch, liebe Louisse, undt versichere, daß ich Eüch von hertzen lieb behalte.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 23. November 1719 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 4 (1877), S. 319–323
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d04b1072.html
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