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Brief vom 30. November 1719

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1074.


[326]
St Clou den 30 November 1719 (N. 42).
Hertzallerliebe Louisse, dieß ist leyder der letzte brieff, den ich Eüch von meinen[1] lieben St Clou schreibe; den übermorgen werde ich nach dem vor mir so abscheülichen Paris. Biß sontag werde ich Eüch berichten, wie ich mich dort [befinde], heütte aber, ehe ich [327] auff Ewer liebes schreiben vom 14 dießes monts, no 90, andtwortte, will ich Eüch eine vor mir[2] gar ahngenehme zeittung berichten, nehmblich, daß der heüraht mitt mademoiselle de Vallois undt dem printzen von Modene richtig ist. Der courier ist gestern nach Rom, die dispence zu hollen; den sie seindt ins 4te gliedt verwandt. Die braudt will verzweifflen; sie hette gern ihren vettern, den comte de Charoloy[3], geheüraht, aber er hatt nicht ahnbeyßen wollen; den alle die verwandten in den printzen undt printzessinen du [sang] haßen einander wie den teüffel, ja gar die zwey schwestern, alß madame la duchesse undt meines sohns gemählin. Sie hatten einander schon vorher nicht lieb wegen zimblich schlimme discoursen, so sie von einander gehalten; aber was gar den garauß in ihrer freündtschafft gemacht, war, daß, wie die legi[ti]men prince du sang nicht haben leyden wollen, daß die bastard prince du sang sein solten, hatt sich madame la duchesse vor ihre sohne gegen ihre brüder declarirt, madame d’Orleans aber vor ihre brüder gegen die prince du sang. Daß hatt, wie Ihr leicht dencken könt, einen abscheüllichen haß gewirkt, so, wie ich fest glaube, all ihr leben dawern wirdt. Unter ihnen ist die freündtschafft auch … den ob zwar der monsieur le duc undt printz de Conti doppelt verschwachert[4] sein, monsieur [le] duc deß printzens schwester zur gemahlin hatt undt der printz monsieur le ducs schwester, so haßen sie doch einander so abscheülich, daß es eine rechte schandt ist. Alle prince du sang, welche[n] mein sohn alles gutts thut, ihr vortheil in alles sucht, ihnen ihr pensionen vermehrt, die seindt undanckbar undt haßen meinen sohn wie den teüffel; es seindt böße undt falsche leütte. Der printz de Conti wirdt endtlich gar zum närchen[5] werden, den er ist voller caprisse undt die vernunfft thut nichts bey ihm; baldt hast es[6] seine gemahlin, daß er sie umbringen will, baldt hatt er sie so lieb, daß er keinen schrit von ihr geht[7]. Zu ihrem glück ist dießer herr nicht wie seine rasse, hatt gar kein hertz. Einmahls kamme er vor seiner gemahlin bett mitt ein[e]r geladenen pistol, sagte, sie solte ihm nicht entgehen, er wolte sie erschießen. [328] Sie, die seine schwachheit kent, hatt allezeit pistollen im bett, nahm auch eine pistol, sagte zu ihm: Prenes[8] bien garde de me tuer juste! car si vous ne me tües[9] [pas], vous estes mort; tires[10] le premier! Sie ist gar hertzhafft, fracht[11] kein haar nach dem sterben. Dem printzen, so gar nicht hertzhafft ist, wie es[12] in letzter campagne[13] erwießen, wurde bang undt ging davon. Die printzes de Conti ist ein artlich undt possirlich mensch; einßmahl solte sie mitt ihrem herrn auff die schweinsjagt par force (den anderst jagt man sie hir nicht), da thate die printzes de Conti einen großen degen ahn. Der printz fragte seine gemahlin: Pourquoy faire cette espée? Da andtwortete sie de sang froid: Il y a dans les forest[s] tant de beste[s] mechante[s] et farouche[s]; je veux au moins avoir quelque chose a me deffendre, et je m’en serviray bien. Aber wen ich alle naredeyen verzehlen solte, so bey denen leütten vorgehen, müste ich ein buch ahnstatt ein brieff schreiben[14] undt würde heütte nicht auff den Ewerigen andtwortten können, liebe Louisse! Komme doch endtlich auff Ewer liebes schreiben, bin fro, zu sehen, daß meine brieffe Eüch so ahngenehm sein; den daß ist eine schlegte freüde, aber die Eüch doch nie wirdt fehlen, so lang ich leben werde undt nicht todt-kranck sein. Wen ich nur keine stiegen zu steygen habe, werde ich mein leben nicht müde. Ob meine starcke zwar sehr abgenohmen, so bin ich doch nicht delicat, könte noch woll gantze tag lang reißen undt fahren, ohne müdt zu werden. Es ist nicht zu begreiffen, waß mein sohn sich mühe gibt undt schafft, undt wirdt doch wenig danck davon tragen. Der könig ist mitt lautter leütten umbringt, so meinen sohn abscheülich haßen, undt im fall der könig (im fall, da gott vor seye!) zu sterben kommen sollten[15], wolten sie lieber den könig in Spanien, alß meinen sohn, zum könig haben. Den der könig in Spanien, unter unß gerett, ist ein einfaltiger herr, mitt wem[16] sie machen konten, waß sie wolten; aber mein sohn ist [329] nicht einfaltig, man macht ihm nichts weiß, den er ist gelehrter, alß sie alle mitt einander. Ich glaube, daß mein sohn im regieren lust genohmen hette, wen ihm daß königreich nicht in so schlimen [zustand] in den händen kommen wer; den es ist nicht zu beschreiben, in welchen ellenden standt er alles gefunden. Erstlich so war der könig 200/m. millionen schuldig undt alles war in desordre; drumb hatt mein sohn so große mühe gehabt undt so starck arbeydten müßen. Deß königs hauß[17] war man 4 jahr schuldig, wie auch alle troupen wahren nicht bezahlt, welches ein unerhört desordre hette machen können; also hatt mein sohn nacht undt tag arbeytten müßen, sich vor so manche unglück zu hütten. Monsieur Laws ist ihm woll apropo kommen, ihm deß königs schulden zu zahlen helffen. Mitt solcher mühe kan daß regieren keine lust noch vergnügen geben. Daß kan man meisterlich hir im landt, gutte sachen in boßem[18] zu verthrehen; man examinirt hir nicht, waß gottloß ist oder nicht, sondern nur, waß einem jeden nach seiner intriguen in seinem kram dint. Von allen kindern undt kindtskindern von ma tante s., der printzes von Tarante[19], ist gewiß der printz Talmont[20] daß beste. Lügen ist eine abscheüliche sach. Es ist schon woll 3 wochen, das man hir weiß, daß gantz Messina nun über ist[21]. Alberonie verläst sich auff seine boßheit; den weder revolten ahnzustellen, noch mitt gifft undt assasinat umbzugehen, ihm nicht zu viel ist, denckt, dadurch alles auff seinen paß zu bringen; drumb macht er keinen frieden. Zudem so weiß er woll, daß, wen man frieden machen solte, drinen gedingt werden solte, daß er Spanien quittiren solte. Frieden wünsche ich sehr undt insonderheit, daß Alberonie auß Spanien weg solle. Ich zweyffle, daß ein religionskrieg kommen mag. Man sagt ja nur, [daß] Churpfaltz sich zur raison setzen soll. Waß im Elsaß mitt dem pfarher vorgangen gegen den westphalischen frieden undt welchen mein sohn solle [330] soutenirt haben, da habe ich nichts von gehört. Die arme fraw von Rotzenhaussen ist so betrübt, daß ihre zweytte dochter, die wittfraw von Reding, sich wider ihren willen geheüraht hatt, daß sie nacht undt tag nichts, alß weinen, thut undt ahn sonst nichts gedenckt. Seydt in keinen sorgen wegen monsieur le Roy[22]! Ich habe [ihn] schon recompensirt undt durch meinen sohn adlen laßen[23]. Er ist mein advocat seyder Monsieurs todt; vorher hatt ich keinen von nohten. Monsieur le Fevre[24] findt processen, aber ich habe comissarius vor ihm außgebetten, damitt es zu keinem proces kommen mag. Coubert mag so gutt sein, alß es woll[25], so ist es doch kein million wehrt, wie es le Fevre verkaufft hatt ahn dem reichen banquier. Alle menschen finden, daß daß contrefait, so ich Eüch geschickt, woll gleicht. Allein es ist flattirt undt ich sehe alter [aus], aber daß original ist auch schon vor 6 jahren gemahlt worden. Der könig von Engellandt [ist] von Hannover weg, wie mir baron Görtz undt monsieur Harling geschrieben haben. Der könig in Preussen ist nicht lang bey seinem oncle undt schwiger herr vatter geblieben, nur ein tag kommen, den andern geblieben, den 3ten wider weg, hatt doch 2 commedien, einen bal gesehen undt alle exercitzien vom printzen, sein neveu. Es seindt ein par acces vom fieber gewest, so der könig in Preussen auff seiner reiß bekommen. Es müßen dolle proben sein, so Churbayern kinder nun thun. Man muß gnade geben wegen der königs-dochter, sonsten käme es gar schlegt herauß. Dießer churfürsten großvatter, monsieur d’Arquien[26], so hernach cardinal worden, war noch Monsieur s. capitaine des Suisses, wie ich in Franckreich kam. Ihr großmutter ist im Palais-Royal gestorben. Daß schickte sich nicht woll in die fürstliche brobe[27], käme hirmitt schlegt in die angen[28] herauß. Wer die Sobiesqui[29] sein, weiß ich nicht, habe aber doch allezeit gehört, daß es nur edelleütt sein. Der churfürstin leibliche tante ist noch zu Paris. Die marquise de Béthune, die war en survivance[30] von ihrer schwigermutter dame d’atour von der königin s. Daß lautt auch nicht fürstlich undt ist es auch nicht. Hirmitt ist Ewer schreiben vollig beantwordtet, liebe Louisse, sage Eüch adieu vom lieben [331] St Clou. Verleydt mir gott leben undt gesundtheit, werde ich Eüch biß sontag berichten, wie es mir zu Paris geht. Adieu! Ich ambrassire Eüch von hertzen, undt wo ich auch sein mag, so werde ich Eüch allezeit lieb behalten.
Elisabeth Charlotte.
P. S.
Ich habe heütte kein schreiben von Eüch entpfangen, liebe Louisse! Daß boße wetter undt wege mögen dißmahl schuldig dran sein.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 30. November 1719 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 4 (1877), S. 326–331
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d04b1074.html
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