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Brief vom 3. Dezember 1719

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1075.


[331]
Paris den 3 December 1719 (N. 43).
Hertzallerliebe Louisse, seyder gestern umb 3 bin ich leyder hir, bin gleich zu unßer braudt[1], von dar zu madame d’Orléans, hernach in mein cammer, wo ich nicht einmahl die zeit gehabt, mich einzurüsten, undt so ein erschreckliche hauffen leütte gehabt, so mir complimenten gemacht haben, daß man daß feüer in meinem cabinet hatt außleschen müßen. Ich habe woll mehr, alß 20 mahl, auffstehen undt niedersitzen müßen undt mitt mehr, alß 100, personnen sprechen; daß hatt mich so abgematt, daß ich abendts gantz übel davon außgesehen habe, undt war recht matt davon. Ich glaube, ich hette es nicht außstehen können, wen ich nicht in die ittalliensche commedie gangen were, welche zwar nicht viel besonders wahre; den harlequin ist kranck; aber ich habe mich ein wenig dort außgeruhet. Wie ich wider in mein cammer kam, fandt ich die kleine printzes de Conti drinen undt mehr, alß 30 duchessen undt damen. Ich nahm mein partie, gab ihnen alle gutte nacht undt ginge umb halb 10 zu bett so matt, müde undt trawrig, meine gehabte ruhe zu St Clou verlohren zu haben, daß ich nicht gar ruhig geschlaffen haben[2]. Aber umb meine arme schenckeln ruhen zu laßen, bin ich erst umb halb 7 auffgestanden, also 9 gutter stundt im bett geweßen. Meine erste arbeytt ist, Eüch, liebe Louisse, zu entreteniren undt mein leydt zu klagen, auch auff Ewer liebes schreiben vom 18 November, no 91, zu andtwortten, welches ich vergangen donnerstag [332] in dem lieben St Clou entpfangen. Den neües kan ich Eüch von hir nicht viel sagen; auch waß wir wißen, ist gar nicht zeitvertreiblich, nehmblich daß die kinderblattern arger, alß nie, rassiren[3] undt es wider 4 bekante personnen haben. Daß einer von meim sohn erste cammerjunckern ahm fleckfieber gestern gestorben, ist auch nichts lustiges. Sonst weiß ich nicht[s neues]. Der premier gentilhomme de la chambre, so gestorben, hieße le marquis de Conflan[s]. Heütte werde ich nicht viel schreiben können; den es ist schon ein viertel auff 9 undt umb 11 muß ich mich ahnziehen undt zum könig, so mir gestern umb 4 die ehr gethan, mich zu besuchen und compliment über mademoiselle de Valois heüraht zu machen[4]. Nach meiner vissitte bey dem könig muß ich in die meß, von dar ahn taffel, gleich nach dem eßen zu madame la princesse, von dar in Carmelitten, hernach wider die braudt ins opera führen undt auch umb die große geselschafft zu meyden. Nach dem opera werde ich baldt nach bett umb dieselbe ursach. Waß ich heütte nicht beantworten kan, werde ich biß donnerstag, da ich mehr zeit haben werde, wo mir gott leben undt gesundtheit verleyet; den da werde ich morgendts undt abendts schreiben können; den in dem tag ist kein spectacle vorhanden undt ich habe nur ahn Eüch undt monsieur Harling zu schreiben, heütte aber muß ich noch ahn mein dochter zu schreiben[5]. Gestern kammen mir noch 2 printzen von Gotha; sie seindt weder hübsch noch heßlich, noch gar jung, sprechen gar wenig, aber nicht übel. Nun komme ich endtlich einmahl auff Ewer liebes schreiben vom 18, no 91. Ich glaube, ich werde den grünen safft baldt wieder von nöhten haben; den wo daß leben noch etliche tage fortfährt, wie es gestern ahngefangen, wirdt sich mein armes miltz abscheülich mitt gallen füllen. Alberonie were gar gutt auff die galleren; er ist dick undt starck, konte braff rudern. Nichts ist dießem pfaffen zu viel, waß es auch schlimmes sein mag. [333] Er feng[t] doch ahn, zu parlementiren, undt sagt, wen [man] ihn in Spanien wolle laßen, wolte er einen gutten frieden machen; aber der keyßer undt mein sohn wollen keinen frieden machen, man schicke den dießen boßwicht nach hauß in Ittallien. Ich wolte, daß er schon drin were. Ich bin der freüde entwohnt undt gar nicht mehr entpfindtlich hirauff, aber trawerig undt gritlich kan ich noch gar praff sein. Alß zum exempel, mademoiselle de Valois heüraht habe ich von hertzen gewünscht; nun er sicher, bin ich zwar content darvon, entpfinde aber die große freüde nicht, so ich gedachte, zu entpfinden. Aber wider in dem trawerigen Paris zu sein, mitt [vielen leuten] geplagt zu werden, daß ist mir sehr entpfindtlich; auch im vollen zwang alles thun müßen, waß ich so bitter ungern thue, daß lest sich gar woll fühlen. Aber es ist unnohtig, davon zu reden; den es ist kein mittel dazu, ist mein beruff, muß also gott still halten, mich ahnstellen, alß wen ich nicht trawerig were, ob ich es gleich im hertzen bin. Daß habe ich hir braff gelehrnt; den man will hir, daß man allezeit gott dancken solle, daß glück zu haben, in Franckreich undt in Paris zu sein; undt diß seindt aber glücke, die ich gar woll entbehren könte undt niemandts mißgönne. Ihr, liebe Louise, könt Eüch hütten, unter die leütte zu gehen, aber ich leyder nicht; den gehe ich nicht auß, ist es ärger mitt mir; alles felt mir auff den halß in meiner cammer. Aber man muß gedencken, daß man nicht in die welt kommen, nichts, alß freüden, drin zu haben, sondern sein verhengnuß zu volziehen, wie es einem unßer herrgott bestimbt hatt. Das sprichwordt: Klag es einem stein undt behalte es allein! habe ich nie gehört, ist aber gutt, ich werde es behalten. Die duchesse Doursch[6] wirdt noch ein tag 14 hir sein auff befehl ihrer tante, madame la princesse. Hir hilfft ihrem herrn nicht, duc geworden zu sein. Sie haben keinen rang in Franckreich; nur die grand d’Espagne undt englische ducs haben rang, weillen sie ahn die ducs in Franckreich mitt accort selbigen rang in Englandt undt Spanien geben. Mademoiselle de Vallois fengt ahn, sich ein wenig zu trösten, seyder sie ihre schönne kleyder sicht. Man macht ihr 40 kleyder[7]. Sie haben hir von Modene schönne demanten geschickt; daß ist auch ein trost. [334] Sie entpfindt nichts mehr von ihrem fall[8]. Mich deücht, es wehre beßer, todt zu sein, alß wie die gräffin zu Dresden. Hir wirdt alles abscheülich thewer, alles doppelt, waß es auch sein mag. Auß Engellandt schickt man alle demanten, juwellen undt bijoux her. Alle, die so erschrecklich in den actionen gewonnen haben, kauffen alles auff ohne handtlen, noch marchandiren. Es gibt poßirliche historgen. Vor etliche tagen ware eine dame im opera, da sahe [sie] eine andere dame ins opera kommen, gar heßlich, aber den schönsten stoff von der welt undt voller demanten. Die dochter von Madame Begond[9] fing ahn undt sagte zu ihrer mutter: Ma mere, regardes[10] bien cette dame parée! Il me semble que c’est nostre cuissiniere Marie. Die mutter sagte: Eh, taisses vous[11], ma fille! Cela ne peust estre. Die dochter sagte wider: Eh, ma mere, au nom de Dieu, reguardes[12]! Die mutter sicht sie starck ahn undt sagte: Je ne say plus qu’en penser; elle luy ressemble bien. Alles, waß im amphitheatre war, fing ahn, zu murmeln: Marie, la cuissiniere. Sie steht auff undt sagt überlautt: He bien, ouy, je suis Marie, la guissiniere[13] [de] madame Begond. Je suis devenue riche, je me pare de mon bien; je n’en[14] dois rien a personne; j’aime a me parer, je me pare; cela ne fait tord[15] a personne. Qu’a[16] donc a redire a cela? Ihr könt [Euch denken], welch ein gelachter es gab. Dergleichen historien hatt man hundert. Ob zwar böße lufft [zu Paris], arger, alß nie, aber auß vielerley ursachen habe ich leyder nicht zu St Clou bleiben können. Nun muß ich Ewer liebes schreiben abbrechen, biß Ihr eine gar lange espistel von mir bekommen [werdet]. Nun aber werde ich Eüch nur versichern in großer eyll, daß ich Eüch von hertzen lieb behalte.
P. S.
In dießem augenblick komme ich auß dem opera. Ein kurtze zeit vorher habe ich Ewer liebes schreiben vom 21ten November, no 92, entpfangen, heütte aber kan ich ohnmöglich mehr hir zusetzen, den ich muß noch ahn mein dochter schreiben.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 3. Dezember 1719 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 4 (1877), S. 331–334
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d04b1075.html
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