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Brief vom 4. Januar 1720

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1084.


[001]
Paris den 4 Januari 1720.
Hertzallerliebe Louisse, ich habe mein 1720 jahr nicht ahngenehmer ahngefangen, alß ich es den sontag, da ich Eüch geschrieben, geendet habe. Ich habe abendts kopffwehe davon bekommen undt solche grampff von viellen auffstehen undt niedersitzen, daß ich mich abendts nicht mehr rühren könte. Aber ich will nichts mehr von dießen 3 verdrießliche[n] tage[n] reden, so ich da zugebracht habe, komme auff Ewer liebes schreiben vom 19 December 1719, no 102, so ich, wie Ihr woll wist, den letzten tag im jahr entpfangen; den ich habe es Eüch selbigen tag geschrieben, liebe Louise! Man sagt, die wegen seindt sehr abscheülich, undt es solle auch viel gewäßer überloffen sein, so daß die courier mühe zu renen haben. Die post von Turin, so ordinarie alle freytag morgendts ahnkommen, kommen jetzt erst montag abendts ahn; also wundert es mich gar nicht, daß Eüch die post von hir gefehlet hatt. Meine ahnkunfft in Paris habe ich thewer genung bezahlt, wie Ihr auß meine schreiben werdt ersehen haben, liebe Louise! Aber nun rechne ich mein husten vor nichts mehr, weillen ich nachts woll schlaffe undt nicht mehr huste, hab auch kein kopffwehe, gott lob! Dieße 3 tage seindt aber arger undt verdrießlicher geweßen, alß wie ich von St Clou kommen. Es were kein wunder, daß einer zum naren drüber würde; den ich [kann] keinen bißen eßen, noch dropffen drincken ohne plag, muß 10 mahl auffstehen, allezeit reden. Daß ist eine rechte qual undt macht einem daß leben müde. Paris ist woll daß verdrießlichste leben, so in der welt kan gefunden gewerden[1], insonderheit vor mich[2]. Ich habe hir nur qual undt [002] zwanck undt nie nichts ahngenehmes biß auff die commedien, so die eintzige lust ist, so mir in meinem alter geblieben. Die können mir hir nicht gefahlen; den die leütte seindt so abgeschmackt hir, dass sie sich hauffenweiß auff daß theatre stellen undt setzen, daß die comedianten kein platz zu spiellen [haben][3]; daß ist recht [003] unahngenehm. Gestern hatten wir eine neue tragédie, so nicht [004] uneben ist, aber die commedianten konten nicht durchkommen wegen [005] der menge leütte. Knieschmertzen habe ich braff, es schlagen sich noch krämpff dazu, so mir unleydtlich sein. Von meinem husten will ich nichts mehr sagen. Der frost ist hir gantz vorbey; es regnet alle tag. Wir wißen hir gar nichts von unßers duc de Chartres heüraht[4]; er ist noch zu délicat, ein eheman zu werden. Ob er sich zwar ein wenig sterckt, ist er doch noch gar schwach, wirdt baldt ein balet mitt dem könig dantzen; daß, hoffe ich, wirdt ihn stärcken. Verstandt fehlt mademoiselle de Valois nicht; hette sie so viel andere gutte qualitetten, alß verstandt undt schönheit, were nichts bey ihr zu wünschen. Aber, aber, mehr sage ich nicht[5]. Weillen Ihr, liebe Louisse, wist, daß bey dem licht schreiben Ewern lieben augen so schadtlich ist, habt Ihr groß unrecht, viel bey licht zu schreiben; den soltet Ihr Eüch blindt machen, würdet Ihr ja gar nicht mehr schreiben können. Ich habe nie keine lange weille, alß nur, wen ich gezwungen werde, waß anderst zu [thun], alß ich gerne wolte; alßden wirdt mir die zeit lang. Ich finde, wie Ihr, liebe Louisse, daß die tage viel zu kurtz sein. Verdrießlich[e][17] sagen[6] hort man eher, alß etwaß lustiges; alles, waß man hir hört undt sicht, macht einem [006] blüdtsmüde. Daß Ihr mir wünscht, davon befreydt zu sein, ist woll ein gutter wünsch, wovor ich sehr dancke, aber hir woll unmoglich. Aber nun ist es zeit, daß ich mich ahnziehe; muß also meine gewohnliche pausse machen. Die callender, so Ihr mir geschickt, finde ich artlich, ich leße noch ohne brill; die callender seindt mir nicht zu rein[7]. Hiemitt ist Ewer letztes liebes schreiben vollig beantwortet. Dießen abendt, wen ich von der großhertzogin vissitte werde kommen, will ich auff daß noch außstehende andtwortten.
Donnerstag umb 3/4 auff 6 abendts.
Da komme ich eben von der großhertzogin. Gott gebe, daß ich nicht interompirt mag werden! Ah, da kompt die junge printzes de Conti. Ich habe woll gedacht, daß es nicht so rein abgehen würde; den ich weiß, wie es zu Paris zugeht. [Es ist jetzt] halb 7 undt [die] printzessinen seindt, gott lob, nunder zum großen spiel, welche lust ich ihnen woll gar nicht mißgönne; den ich würde woll von hertzen betrübt sein, wen ich mich bey dem spiel in dem großen hauffen finden müste, den ich bin menschenscheü geworden mehr, alß ich mein leben gewest bin. Ich finde mich nicht recht in ruhen, alß wen ich nur meine leütte undt gesichter, woran ich sehr gewohndt bin, sehe. Ehe ich auff E. L.[18] liebes schreiben vom 16, no 100, komme, muß ich Eüch etwaß verzehlen, so ein abscheülicher lerm in Paris. Ein abbé von qualitet, so mein gutter freündt ist undt von den besten heüßern von Franckreich ist[8], hatt viel [007] verstandt, aber doch ein wenig waß wunderliches im humor; dießem ist auff einmahl in den sin kommen, daß er nicht in der gutten religion were, weillen man die armen Reformirten so verfolgt hatt. Daß hatt ihn resolviren machen, selber reformirt zu werden, ist zu deß hollandischen ambassadeurs pfarher gangen, wo er der catholischen religion abgesagt undt reformirt geworden, ist weihnachten zum h. abendtmahl verkleydt; den ordinari ging er alß ein[9] abtkleydern mitt einem rabat undt mantel. Von dar nimbt er seine abtskleyder wieder undt geht in vissitte. Eine dame sagt zu ihm: Abbé, voicy un vray temps pour vous qui aimes a veiller, car vous ires sans doutte a la messe de minuit, worauff der arme abbé d’Entrague[s] geantwortet: Moy, je nires[10] plus de ma vie a la messe. Daß hatt alle die leütte wunder genohmen, [einer] sagte zu ihm: Par quelle raison nires vous plus a la messe? Er andtwortet de sans froid[11]: Despuis que j’ay eüe le bonheur de communier sous les deux especes avec 6 cent[s] de mes freres, j’ay bien ressolu de ne plus jamais aller a la messe. Daß hatt gantz Paris auffrürisch gemacht; die bischoffe undt alle pfaffen haben sich versamblet undt haben resolvirt, zu meinem sohn zu kommen, undt begehren, daß man den abt in die Bastillen setzen sollen[12]. Der arme mensch kam nachts zu mir undt fragt mir rahts; ich filtzte ihn braff auß, so imprudent gesprochen zu haben, riehte ihm, keine zeit zu verliehrn, sich auß dem staub zu machen. Er hatt meinen raht gefolgt undt hatt sich, gott lob, salvirt. Wo er hin ist, weiß ich nicht, aber woll, daß man ihn gesucht, umb ihn in die Bastille zu schicken; aber man hatt ihn nicht gefunden, halte ihn also vor salvirt, bin fro drüber nun[13]. Ihr kendt die Frantzoßen [008] nicht, wen Ihr meint, daß etwaß in der welt sie abhalten können nicht überall vornen dran zu sein. Solte einsmahls dem abbé d’Entrague[s] ahnkommen, nach Franckfort zu gehen, so sagt ihn doch, daß ich Eüch guts von ihm geschriben! Ihr kont mitt ihm umbgehen ohne scandal; den wie er ein klein kindt war, haben ihm die hüner in einem hoff, wo er kacken gangen war, alle seine sieben sachen[14] abgefreßen[15]. Daß hatt ihm einen solchen abscheü vor hüner geben, daß, wen [er] ein hun fligen sicht, wirdt er übel. Alle boße kranckheitten regieren mehr, alß nie, zu Paris. In allen Ewern schreiben, liebe Louisse, setze ich, wen ich Ewere entpfange undt von welchem chiffer sie wahren. Daß geschicht alle menschen, sich in chiffern zu betriegen. Monsieur Le Fevre[16] ist heütte zu mir kommen. Hirbey schicke ich Eüch einen brieff von ihm. Ich thue mein bests vor Ewere neuveu undt niepcen. Ich muß wider willen enden, umb morgen früh auffzustehen können; den es mein großer schreibtag ist. Ich habe heütte kein schreiben von Eüch [009] entpfangen, also werde ich zeit genung biß sontag haben, auff daß überige zu andtwortten. Adieu den, hertzallerliebe Louisse! Seydt versichert, daß ich Eüch all mein leben von hertzen lieb behalte!
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 4. Januar 1720 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 5 (1879), S. 1–9
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d05b1084.html
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