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Brief vom 18. Januar 1720

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1088.


[017]
Paris, donnerstag den 18 Januari 1720.
Hertzallerliebe Louise, seyder vergangen sontag habe ich keinen neüen brieff von Eüch entpfangen, [will nun] auff daß vom 26 December, no 103, andtwortten, 1719. Der grüne safft, so ich montag undt dinstag genohmen, hatt mich gantz wieder courirt. Wie lang es aber in dießer bößen lufft dauern wirdt, mag gott wißen. Die röttlen undt kinderblatter grassiren mehr, alß nie, kommen jetzt auch auffs landt in allen dorffern. St Clou ist voll davon undt Schelle[1]; unßere arme abtißin[2] dort hatt ihr gantz hauß voll davon undt ganz nahe bey ihrem apartement. 13 nonen haben die kinderblattern dar; ich fürchte, unßere arme abtißin wirdt sie wider bekommen, ob sie sie zwar vergangen jahr starck gehabt hatt. Aber sie fürcht sich so erschrecklich davor, daß große aparentz, daß sie sie wieder bekommen wirdt. Der kleine La Trimouille[3], der pr[incesse] von Tarante[4] ihr uhrenckel, ist gar kranck; seine kranckheit heist une rougeolle bouttonee[5], ist, alß wen kinderblattern undt rottlen beysamen wehren. Gott verzey mirs! aber es könte mich nicht betrüben, wen diß kindt sterben solte; den es ein großer avantage vor meinen vettern, den printz Talmond, sein [würde], so gar nicht reich ist undt durch dießen todt reich werden würde undt eine von den schönsten chargen bey hoff bekommen, premier gentilhomme de la chambre du roy[6]. Ihr dinst wehrt ein [018] gantz jahr; sie seindt 4, so es haben, der duc de la Trimouille, der duc de Mortemar[7], der duc de Gevre[8] undt duc de St Aignan. Sie seindt schir zwey jahr lang alß umb den könig, das erste jahr im dinst undt daß zweytte jahr müßen sie vor alle plaisir undt spectacle sorgen; ist also gar eine schönne charge, die dem printz Talmont[9] beßer, alß dießem mutwilligen kindt[10], zukommen würde. Die posten [gehen] erschrecklich übel. Es ist eine unleydtliche sach, daß man alß zwey schreiben auff einmahl gibt undt sie die vorigen posten auffhelt. Alles geht überzwerg in der welt her; ich glaube, daß sie gantz verkehrt ist. Weillen Ihr, liebe Louisse, segt[11], daß Eüch die leber von … gantz ungesundt undt schädtlich ist, thut Ihr sehr übel, solche zu eßen. Man meint hir, daß alle lebern gesundt sein, undt sagt im sprichwort: Pour rejouir son foy[12] il faut manger du foy. Wir haben seyder etlichen tagen hir ein recht sanfft, schön frühlingswetter; schnee sicht man selten hir in Paris, bleibt nicht liegen, wirdt gleich zu koht. Man weiß hir nicht, waß schlittenfahren ist. Ich hatt einmahl dem könig s. so viel davon geblauttert, ließen schlitten machen; aber sie wahren wie ein kutsch, nur mitt rohtem damast, gar heßlich; wir fuhren doch zu St Germain; es war nicht artig, ich muste lachen, so dolle schlitten zu sehen. Der könig sagte: Vous vous moques de nous. Ich andtwortete: Non pas de vous, monsieur, mais de vos traineau[13] mal fait. Der könig s. hatte gern, daß man ihm frey heraußsagte, waß man denckt. Ich hin froh, liebe Louise, das Ihr wider woll seydt, undt [gott] erhalt Eüch lang bey gutter gesundtheit! Es ist eine rechte schandt, wie Churpfaltz[14] undt seine leütte [019] mitt Eüch umbgehen; daß kan kein glück bringen. Ich fürchte, seine pfaffen machen ihm weiß, es seye nicht übel gethan, weillen Ihr reformirt seydt. Die sich von der bursch regieren laßen, werden allezeit ungerechtigkeitten thun. Von den hießigen millionen[15] will ich nichts sagen, bins so müde, das ich nichts mehr davon hören kan, undt schame mich recht, daß die printzessinen du sang hir sich in der bangue[16] tretten undt schlagen laßen umb pure interesse undt gelt zu samblen; finde es recht schimpfflich. Vor wenig tagen gab einer, so mitt monsieur le duc aß, eine artig andtwortt. Monsieur le duc pralte, wie er schon so viel millionen in der bangue gewunen hette undt nun reicher were, alß alle seine forfahren. Einer, so mitt ahm tisch saß, sagte mitt lachlen: Vous aves l’argent, mais vos ancestre[s] on[t] la gloire. Daß findt man gar woll gegeben. Weiß nicht, wie monsieur le duc sich nicht geschambt hatt; aber da ist er zu thumb zu. Seine brüder haben mehr verstandt, alß er. Der printz de Conti[17], sein schwager undt vetter, hatt verstandt, [ist] aber ein violent närgen darbey, hatt abscheüliche händel mitt monsieur Laws. Mein sohn hatt ihn filtzen müßen, er begehrt ungerechte sachen. Madame de Chasteautier[18] heist nicht mehr mademoiselle, ob sie zwar nicht geheüraht ist; aber wen ein freüllen dame d’atour[19] wirdt, heist man sie madame. Madame de Chasteautier ist, glaube ich, ist daß eintzige mensch in gantz Franckreich, so nicht interessirt[20]. Mein sohn hatt ihr wollen actionen[21] geben, millionen zu gewinen; sie hatt es abgeschlagen undt nur auß respect eine sume genohmen, umb mein[en] sohn nicht böß zu machen, alß wen sie sein pressent verracht undt nichts von ihm nehmen [wolle]; ist woll ein perfect tugendtsam mensch, deren wenig dergleichen in dießem landt sein. Es ist schon 40 jahr, daß madame de Chasteautier mir mitt aller trewe dint, lange jahren alß [020] freüllen undt die überige zeit alß dame d’atour. Also hatt mein sohn gedacht, mir einen gefahlen zu thun, ihre tugendt undt lange dinsten zu belohnen, undt hirinen hatt er sich nicht betrogen; dießes ist von allen menschen aprobirt worden. Ob mein sohn zwar wenig dancks hir bey dem könig mitt seiner regirung außrichten wirdt, so wirdt er doch den vortheil haben, daß die unpartheyische welt seine regirung loben wirdt. Gott stehe ihm ferner bey! Ich habe die zeittung nicht geleßen, will sie der fraw von Rotzenhaussen wider abfordern, umb zu sehen, wer mitt mir gevatter ist; den ich bins auch[22], habe einen großen schönnen cantzeley-brieff deßwegen von dem regirenden herrn entpfangen. Ich bin mitt der andtwordt ambarassirt; den ich habe keinen teütschen secretarie undt der protocol[23] von frantzöschen secretarie ist schimpfflich vor unßere teütsche fürsten, will ihm also dadurch nicht andtwortten. Weiß nicht, wie ichs machen solle, daß er die ursachen erfahren mag, warumb ich nicht andtworte, noch dancke. Raht mir doch, liebe Louisse! Adieu! Ewer liebes schreiben ist vollig beantwortet, bleibt mir nur überig, zu versichern, daß ich Eüch von hertzen lieb behalte.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 18. Januar 1720 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 5 (1879), S. 17–20
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d05b1088.html
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