Seitenbanner

Brief vom 28. Januar 1720

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1091.


[025]
Paris den 28 Januari 1720 (N. 59).
Hertzallerliebe Louise, seyder die 4 schreiben, so ich Eüch bericht, die ich von Eüch bekommen, habe ich keine frische bekommen; ob heütte ahnkommen werden, wirdt die zeit lehren. Es ist noch frühe undt erst ein viertel auff 8, werde Eüch biß umb 3/4 auff 11 schreiben; da muß ich auffhören undt mich ahnziehen, den umb 12 muß ich zum könig, hernach in kirch. Nach dem eßen werde ich ins closter wie ordinari, hernach komme ich wider her ins opera, da ich nicht so sehr vor meine eygene lust hinfahre, alß wegen meinen encklen, die nicht ohne mich ins opera dörffen. Ich fange meine andtwort heütte bey Ewer lieber[1] schreiben ahn vom 2 dießes monts, no 1, welches mitt viel gar gutte wünsche vor mich ahnfengt, wovor ich Eüch von hertzen dancke. Es ist nicht zu beschreiben, wie unrichtig alle posten gehen; aber da ist nichts ahn zu endern, also sehr ohnnohtig, davon zu schprechen. Nun bin ich, gott lob, wider in gar volkommener gesundtheit, so lang es werden[2] wirdt; den so gar alte weiber, wie ich nun bin, bleiben nicht lang in einem standt. Der husten ist, waß mir ahm gefahrlichsten ist; den mir wie allemahl stickflüße dazu kommen, daß ich zu endt deß jahrs gehabt, meinte ich nicht davon zu kommen. Gott hatt aber meiner noch nicht gewolt, muß sagen wie im lutterischen lidt steht, so ahnfangt mitt
Ich hab mein sach gott heimbgestelt,
Er machs mitt mir, wie es ihm gefehlt!
[026] Soll ich alhir noch lenger leben,
Nicht widerstreben,
Sein willen thue ich mich ergeben[3].
Der husten undt schnupen hatt mich nur vor 9 tagen verlaßen gehabt, [ist] hernach wider kommen, doch nicht so erschrecklich, alß daß erste mahl, hatt auch nicht so lang gewehrt; den daß erste mahl hatt es 3 wochen gedawert, daß ich weder tag noch nacht ruhe gehabt habe. Diß letzte mahl hatt [es] nur 9 tag gewehrt undt [ich habe] keine erstickung[4] gehabt. Man stirbt auff allerhandt manir, wie es einem jeden vorsehen undt bestimbt ist. Aber ein florentinischer marqui, so Rangonie[5] hieße, hatt vergangen donnerstag umb 2 nach mitternacht woll einen erbarmlichen todt gehabt. Es war ihm jemandts gar liebes hir gestorben; daß hatt er sich so zu hertzen gezogen, daß er die gelbsucht drüber bekommen. In dießer krankheit purgirt man die leütte gar offt. Vergangen mittwog nahm er wider medecin, so baldt[6] fühlte er große schmertzen undt es ging so viel bludt von ihm, daß man meinte, es were ihm eine ader im leib versprungen. Der docktor gab ihm eine essence ein, umb die ader zu stopffen; darauff aber vermehrten [sich] seine schmertzen, daß er umb gottes willen badt, man solte ihn umbbringen. Nachdem er gestorben, welches umb 2 nach mitternacht, also donnerstag, war, hatt man ihn geöffnet undt gefunden, daß er keine ader geöffnet hatte, sondern war vergifft mitt arsenick. Ein abteckerknecht[7], so seine medecin gemacht hatte, hatt ein quiproquo gethan undt ahnstatt sel vegetal[8] arseniq genohmen. Daß hatt ihn daß geblüdt so kochen machen, daß es herauß kommen, alß wen ein ader gebrochen were, biß auff den letzten tropffen, aber mitt solchen schmertzen, daß der arme mensch schir verzweyffelt were, sagte doch: Que je suis malheureux! Mes exessive doulleurs m’enpechent[9] de songer a dieu dans ces dernier moment, come je le devrois. Daß finde ich doch christlich gestorben[10]. Er hatte viel [027] freündt hir, solle ein ehrlicher man gewest sein, aber sehr gallant; die weiber lieffen ihm nach. Man sagt, er hette sich auff dieße weiß erhalten; den er war arm, undt die weiber, so ihn geliebt, haben ihm viel geliebt[11]; ist sehr regretirt von allen denen, so ihn gekent. Ich glaube nicht, daß ich mein leben 3 mahl mitt ihm gesprochen, habe ihn aber offt gesehen; war ein großer spieller, also mehr madame la duchesse d’Orleans sach, alß die meine; auch war er ein großer freündt von madame d’Orleans ihre favoritten undt baß, die duchesse de la Force. Es ist leicht zu rahten, warumb die posten so übel gehen. Je weniger gutte pferdt die postmeister auff der post haben, je weniger ihnen die pferdt kosten,[12] undt der gewin geht doch seinen weg immer fort. Ich habe all mein leben bey dem licht geschrieben undt nie verspürt, daß es flüße gibt. Zudem wen ich im winter nicht bey dem licht schreibe, müste ich keinen eintzigen brieff verfertigen; den die tage seindt gar kurtz undt nachmittags habe ich viel verhinderung undt ich habe gar viel zu schreiben. Es geht fast kein post v[o]rbey, daß man mir nicht courir auß Lotteringen schickt umb affairen bey meinem sohn, undt weillen er ohnmoglich wegen zu viellen geschafften andtwortten kan, muß ich die andtwortt verrichten. Vergangen donnerstag habe ich noch einen courir abgefertigt mitt einem brieff ahn mein dochter undt den hertzog von 19 bogen, seytten will ich sagen. Ich schreib auch 2 mahl die woch in Englandt. Meine geringste andtwortten ahn die printzes von Wallis seindt von 18 seydten. Montag schreib ich ahn die zwey königinen von Sicillien undt die verwitibte von Spanien[13], so zu Bajone ist. Mittwogs schreibe ich ahn die hertzogin von Hannover undt alle sontag, dinstag undt freyttag ahn mein dochter[14]. Wie solte ich den im winter fortkommen, wen ich nicht morgendts undt abendts bey dem licht schreiben solte? Ich eße undt schlaffe nun gar woll, gott lob! bin also wider zu kräfften kommen, mehr, alß ich selber wegen meines alters gehofft. Ich habe leyder nur zu viel ruhe; den vor dießem jagte ich 2 mahl die woch den hirsch, daß gab mir starcke bewegung undt bekame mir [028] gar woll. Daß kan nun nicht mehr sein, also seyderm[15] kranckle ich offt; drumb purgirt mich monsieur Teray jetz[t] offt mitt dem grünen safft von brunenkreß, körbel undt chicorée. Ich habe vergeßen, wie man dieß letzte auff Teütsch heist; wo mir recht, heist es wegerich. Ich wils alleweil in dem teütschen botanicum nachsuchen undt es wider lernen; da habe ichs, es heist wegwart[16], wegweiß, wegling, sonnenwendt, sonnenwirbel, sonnenkraut, sonnenbraudt. Daß seindt nahmen genung, man kan drunter wehlen; aber es macht den grünen tranck, so man lau drincken muß, unerhörtt bitter undt wiederlich. Hir hatt man diß jahr eyß genung gehabt, die eyßgruben undt glacieren[17] alle zu füllen. Ich drincke über eyß undt schadt mir nichts, aber nie so kalt wie ander[e] hir. Ich glaube, daß diß wetter hir ungesundt vor die schlagflüße ist; den alle tag hört man davon. Die printzes sagt, es seye in Englandt ebenso. Viel geben dem caffé schuldt, andere dem tapack; den ehe dieße 2 stück a la mode wahren, hörte man gar gewiß nicht so viel von schlagflüßen, alß nun. Alberoni geht nicht weytter, alß nach Genua, wo sich alles unkrautt jetz[t] versamblet. Die princesse des Ursin[s] ist auch dort; es ist schadt, daß madame du Maine nicht auch hin kan. Ich glaub, ich habe Eüch schon verzehlt, wie daß Alberoni ahn mein sohn geschrieben, umb verzeyung gebetten undt ihm offrirt, Spanien zu verrahten. Daß ist ein fein bürschen; er hatt auch declarirt, daß alle libellen, so man gegen meinen sohn unter seinen nahmen außgeben, alle von Paris gekommen sein[18]. In Englandt, wie mir die printzes von Wallis geschrieben, hatt man dieselbe gedancken gehabt, wie monsieur de Francheville. Aber weder papst, noch cardinal will ihn zu Rom leytten[19], kan also, wen der papst gleich sterben solte, nicht pretendiren, pa[p]st zu werden; den umb papst zu werden, müßen sie der cardinäl stimen [haben], wirdt also die stimmen nicht schmieren können. Der papst hatt ihn ohne der cardinäl aprobation zum cardinal gemacht, drumb haßen sie ihn alle. Mein sohn gibt nicht leicht recommandationen, glaube auch nicht, daß er dießen Francheville kent; ich kene ihn [029] gar nicht. Mein sohn gibt sich weder nacht noch tag ruhe, arbeydt erschrecklich; ich weiß nicht, wie er es außstehen kan. Ich sehe, es geht Eüch, wie mir, kan gar nichts in den actionen begreiffen. Im ahnfang hatt man viel gewohnen[20], aber nun gewindt man nicht mehr so viel. Madame Laws hatt verzweyfflen wollen, daß ihre kinder mitt dem vatter catholisch worden[21]; sie helt noch fest. Der man ist gar woll hir establirt, hatt die charge, so monsieur Colbert undt des Maray[22] gehabt haben, undt ist nun controlleur general des finances[23]. Heütte weiß ist[24] gar nichts neües. Ich komme nun auff Ewer liebes schreiben von den 3, freyttag, no 2. Von meiner kranckheit, noch von der post werde ich nichts mehr sagen. Hir regnet es alle tag. Von monsieur Marion hör undt sehe ich nichts mehr. Vom pferdt stürtzen ist gefahrlicher, alß eine … es hatt offt schlimen nachdrück[25]. Daß buch, so ich nun [e]inbinden laßen, hab ich noch nicht zeit gefunden zu leßen. Die hießigen historien weiß ich auff undt ein endt[26] undt d’original[27]. Die schraubthahler hab ich bezahlt undt die letzten werde ich ahn monsieur Le Fevre bezahlen, wie Ihr mirs geschrieben, liebe Louise, so baldt ich ihn wider sehen werde. Es ist mir lieb, daß die fürstin von Ußingen gutte zeittung von ihrem herrn bruder[28] hatt, damitt [030] madame Dangeau sich wider erhollen … Sie fengt nun wider ein wenig ahn zu lachen. Daß Ihr den sontag nicht spilt, sehe ich woll, ist auß devotion; aber den sambstag weiß ich die ursach nicht. Der graff von der Bückeburg ist recht fein; ich hoffe, daß er nicht zum narren wirdt werden, wie sein herr vatter. Es seindt jetzt so erschrecklich viel kutschen undt ambaras in Paris, daß gestern, wie ich von madame la princesse undt madame la duchesse kam, die ich besucht hatte, war ich vom Pont neuff ahn biß au Palais-Royal, welches nicht weitter ist, alß von dem Kettenthor biß ahn die H.-geist-kirch zu Heydelberg, 3 viertel stundt unterwegen wegen dem ambaras von kutschen. In einem calender hab ich gesehen, daß wen es den tag von Pauli bekehrung regen[29] oder schneydt, solle es thewerung bedeütten dießes jahr. Gott bewahre davor! Nun muß ich enden undt vor dießmahl nichts mehr sagen, alß daß ich Eüch von hertzen lieb behalte.
Sontag umb halb 6 abendts.
Wie ich eben auß dem closter komme, entpfange ich Ewer liebes schreiben vom 16, no 5, undt da rufft mich mein sohn, umb mitt ihm ins opera von Issée[30] [zu gehen], kan also weitter nichts vor dießmahl sagen.
Impressum
Datenschutz
KontaktPost
Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 28. Januar 1720 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 5 (1879), S. 25–30
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d05b1091.html
Änderungsstand:
Tintenfass