Seitenbanner

Brief vom 23. März 1720

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1107.


[089]
Paris den 23 Mertz 1720 (N. 78).
Hertzallerliebe Louise, ich will heütte ahnfangen, auff Ewere liebe schreiben zu andtwortten, wozu ich bißher nicht habe gelangen können, aber vorher verzehlen, wie viel neües wir hir haben. Aber es geht nach dem alten teütschen sprichwordt: Alle tag waß neües undt selten waß guts. Gestern hab ich den gantzen tag mitt trawer-vissitten zugebracht; den vorgestern nachts zwischen 10 undt 11 uhr ist madame la duchesse gestorben, monsieur le duc also nun ein platter wittwer. Madame la princesse ist erschrecklich betrübt, den madame la duchesse war von allen ihren enckelen daß liebste kindt. Sie hatts auch ahn madame la princesse verdint; den sie hatt sie von hertzen geliebt undt gerespectirt. Madame la princesse jamert mich undt ich fürchte, dießer todt wirdt ihr daß leben kosten. Wer auch noch recht in der seelen betrübt ist, daß ist ihre schwester, mademoiselle de la Rochesurion[1]. Aber alle die andern verwandten, alß die leibliche mutter, der man, noch die schwigermutter undt geschweyen, fragen kein haar darnach. Der [090] man kan seine freüde nicht bergen; ihm ist es ahm besten zu verzeyen; er hatt keine ursach, betrübt zu sein. Meine vissitten haben mich gestern von der … biß umb 6 occupirt; es war halb 7, wie ich wider ins Palais-Royal [kam]. Gestern morgen hatt ein junger mensch, so artig undt woll geschaffen ist, eine abscheüliche that begangen; er ist von gutten hauß undt von den flanderischen graffen von Horn. Er hatte auf der foire de St Germain 4 taußendt thaller verlohren; die war er schultig undt wolte sie bezahlen, erdachte aber ein schon stück, nahm drey schelmen zu sich, ging a [la] rüe de Quincampois, suchte ein hauß auß, wo er zum fenster nauß springen könte. Andern tags geht er in die rüe Quincampois, findt einen commis de la banque, fragt ihn, ob er billiet de la banque hette undt ihm etliche verkauffen wolte. Dieß[er] fragt, vor wie viel; der graff von Horn fordert ihn mehr, alß er begehrte, führt i[h]n drauff in ein cabaret de l’espée[2] de bois, so allernegst la rüe de Quincampois ist; da haben sie dießen commis assasinirt, seindt alle 4 zum fenster nauß gesprungen. Aber der graff von Horn hatt gemeint, seine böße that zu verhehlen, ist gantz bluttig zum commissarie du cartie[3] geloffen undt hatt gesagt, man hette ihn assasiniren wollen. Der comissaire sahe ihn ahn, sagte: Monsieur, vous vous plaignes d’assassinat; vous arivés tout en sang et vous n’estes pas blesses[4]; sur cela vous trouveres bon que je vous areste[5]. In dem augenblick kompt der zweytte kerl herrein undt hört, daß der erste sagt: Tenes, demandes a monsieur qui entre, qui est tesmoign[6] de l’assassinat! Der kerl, dem[7] sein bößes gewißen ahnklagte, hörte, daß man ihn alß zeügen zuruffte undt daß sein cammeraht[8] alles gestanden hette, gestunde alles gleich; wurden drauff arestirt undt sie seindt in ein[e]r schwer[e]n gefangnuß undt man meint, daß sie biß montag gericht werden werden. Da melt[9] man mir alle fürsten, so hir vom hauß Lotteringen sein, alle die vom hauß d’Arenberg[10], alle die vom hauß Noaille[s], die Issenguien[11] undt andere mehr. Die haben mich gar sehr gejamert; den sie begehren nicht ihres schlimen verwantens leben, sondern daß man ihn nicht offendtlich hinrichten, sondern heimblich im gefangnuß kopffen laßen [solle]. Ich hab ihnen gesagt, daß ich sie alle sehr beklage, allein daß sie [091] woll wüsten, daß ich mich in nichts von der regence mischte, konte also nichts in dießer sachen thun. Es schauttert mir aber, wen ich dran gedencke, so schaudere ich[12]. [092]
Palmsontag, den 24 Mertz, umb halb 7 morgendts.
Ich bin gestern abendts expresse früh undt umb halb 10 zu bett, damitt ich heütte früher auffstehen konte undt schreiben; den ich kan dießen morgen bey weittem nicht so lang schreiben, alß ordinarie, muß mi[c]h umb halb 10 ahnkleyden, in die pfarrkirch zu fahren, weillen es heütte palme-sontag ist. Wen man den alten calendern glauben solte, werden wir kein gutt, noch fruchtbar jahr haben; den es solte heütte schon sonnenschein sein, aber es ist trüb undt regnet. Alles ist trawerig biß auffs wetter. Es ist aber auch einmahl zeit, daß ich auff Ewer liebes schreiben komme, so ich vergangen donerstag so gar kurtz habe abbrechen müßen. Ich war geblieben, wo Ihr mir, liebe Louisse, sagt, daß man in Teütschlandt biß ins 4te gliedt königliche hoheytten gibt. Daß kan hir nicht ahngehen, indem die ständt vom koniglichen hauß gar zu reglirt seyndt[13]. Waß man enfants de France heist, daß seindt alle [093] deß konigs leibliche kinder oder deß dauphins seine undt deß königs brüder; die werden par quartier bedint undt ihre gemahlinen, undt ihre chargen im hauß werden gekaufft; die haben, waß man grands officier[s] heist, premier ausmonier, premier escuyer, premier maistre d’hostel. Alle große fest muß der premier maistre d’hostel sie mitt dem stab [begleiten],[14] wie bey unß die haußhoffmeister auch steke tragen; daß geht nicht weytter. Alle ihre offecir, welches eygendtlich die bedinten sein, haben viel privilligien; man darff keine soldatten bey ihnen logiren; sie haben freyheitten, comitimus[15]. Daß ist, wen sie processen haben, so müßen ihre gegenpart kommen, wo sie sein, undt können unßere officier de la maison royale nicht obligiren, anderwerts den proces zu führen. Vielle kauffen nur deßwegen chargen in unßern heüßern. Niemandts sitzt vor unß, als regirende herrn, cardinals, printzessinen von souveraine heüßer undt duchesse[s] de France. Les petits enfants de France ist gantz eine andere sach. Die mäner allein haben grands officier[s], die weiber nicht, ob sie gleich altesse royale tractirt; sie sitzen zwar vor unß, aber wir in der chaise a bras[16] undt sie haben nur ein tab[o]uret[17]. Die weiber werden nicht par quartier gedint; alle damen sitzen vor sie, undt die printzen undt ducs haben chaisse a bras; alle duc[s] eßen mitt ihnen. Kein mansmensch ist[18] mitt unß, alß die prince[s] du sang, konigliche bastart undt cardinals undt waß außlandische regirende herrn sein. Die printzen du sang, von dem ersten biß auff den letzten, haben keinen andern tittel, alß altesse serenissime; sie haben keine grands officier[s]. Alles ist mitt ihnen, allerhandt leütte, undt sitzt vor ihnen, sie begleitten die duc[s] et pair[s] undt die ambassadeur[s] begleitten sie ahn ihre kutsch, entpfangen sie ahn der ersten thür von ihrem gantzen apartement; in der kirch, in den tribunen, ist alles pesle mesle[19] mitt ihnen. Auff deß könig tepich, so man drap de pied[20] heist, darff niemandts tretten noch knie[en], alß les enfants de France, geraht hinter dem könig; hinter unß les petits enfant[s] de France. Die prince[s] undt princesse[s] du sang haben ihr car[r]eau außer [094] dem drap de pied, dörffen nicht drauff stehen; sie haben kein quartier, noch die chargen werden nicht bey ihnen gekaufft noch verkaufft, haben kein commitumus. Also segt Ihr, liebe Louisse, daß in alles gar ein großer unterschiedt ist. Sie begleitten unß ahn der kutsch, sie geben unß, wie unßere kinder, den muff undt hendschu. Aber der unterschiedt ist, daß au[x] petits enfant[s] de France pressentirt unßere hoffmeisterin, waß sie geben sollen, den prince[s] undt princesse[s] du sang nur die erste cammerfraw. Es seindt noch viel unterschiedt, so zu lang zu sagen würden sein. Wir haben valet de pied; die solten geschürtzte hoßen tragen wie pagen undt nichts solte valet de pied heißen, alß die geschürtzt[e] hoßen tragen; alles andere solle laquay heißen. Der princesse[s] du sang ihre dörffen keine geschürtz[t]e hoßen tragen, seindt also nur laquayen. In alles ist der unterschiedt groß, les petits enfant[s] de France haben valets de pieds mitt geschürtzte hoßen. Also ist in alles großer unterschiedt, undt die prince[s] du sang, wie meine enckeln sein, können also nie altesse royale sein. Ich habe gedacht, liebe Louisse, daß Eüch aller unterschidt von der maison royale amussiren würde; drumb hab ich Eüch so einen langen bericht davon gegeben. Von der post will ich nichts sagen, weillen doch nichts drinen zu endern stehet. Daß Ihr keine post verfehlt, daß bin ich woll sicher; ich fehle auch keine. Ich weiß gar woll undt kene Eüch zu sehr, liebe Louisse, umb zu glauben, daß Ihr mir geschriben solt[et] haben, daß Ihr Ewer porte-lettre dem graffen von Nassau geben, umb ein anderst zu haben. Aber ich bekomme deren von den nonen so viel, daß ich nicht weiß, waß ich mitt ahnfangen solle, undt weillen ich weiß, daß sie Eüch nicht unahngenehm sein, kan ich Eüch gar woll etliche schicken, ohne daß mir waß davon abgeht. Solche sünde, da kan [ich], ohne prister [zu] sein, Eüch gar leicht die absolution geben. Alles fleisch hatt seinen weg verkehrt, wie vor der sündtfluht geschehen; man weiß nicht mehr, wen man nun trawen kan, nun, wie ich Eüch gestern geschrieben, ein graff von Horn sich ein dieb undt mörder fundt. Er ist auch von denen, so von buben debauchirt sein, hatt vergangen jahr, umb einen jungen cavallier seine liebe undt passion zu erweißen, sich mitt seinem degen die handt durch undt durch gestochen; hette man ihm nicht gewehrt, hette er sich noch die seytte durch gestochen. Durch die abscheüliche sünden undt durch daß [095] spillen werden alle junge leütte verdorben undt zu schelmen. Man solte keine junge leütte mehr nach Paris schicken; sie lehrnen nichts, alß abscheüliche laster. Ich habe keine Teütschen bey mir, alß Wendt undt Harling undt eine[n] controleur general, so auch teütsch undt von Lutzenburg ist; die seindt alle trey[21] ehrlicher[22] leütte. Der daßliche[23] stück begangen undt mein uhr gestohlen[24], war ein Gascon von recht ehrlichen leütten. Sein oncle hatt mir 40 jahr gedint, ist vorm jahr gestorben; seines oncles dinst zu recompensiren, hatt ich dießem jungen menschen seines oncles charge in survivance geben. Der nar, der Duch, so hieß er, wolte gleich meine uhr verkauffen. Ein m[o]usquetaire, so es kauffen wolte, trug die uhr zu einem uhrmacher, sie zu schatzen; er hatte sie 25 pistollen verkauffen wollen. Der uhrmacher, so den zettel schon entpfangen hatte, daß meine uhr von Gloria verlohren, kante die uhr gleich, sagte zum mousquetaire: Cette montre est a Madame, je ne vous la rendres pas. Er brachte sie mir gleich. Ich ließe dem comandanten des mousquetaire[s] noir[s] sagen, wie sich meine verlohrne uhr bey ei[ne]m mousquetaire noir gefunden, so le chevallier de Viller[25] heist, hette sie zu einem uhrmacher gebracht, daß aber die goltene kette dran fehlt. Monsieur de Canilliac[26] ließ den chevallier de Viller gleich gefangen nehmen. Der sagte gleich, Duche, mein exempt des garde[s], hette ihm die uhr verkaufft; er hette sie aber noch nicht bezahlt. So ist die sach herrauß kommen. Er war capitaine au regiement de Chartre[s]; ich hatte ihn zum captein gemacht; ein großer, woll geschaffener kerl. Er war ein spieller; daß hab ich nicht gewust, hette ihn nicht ahngenohmen; den von spiellern kompt nichts guts. Daß ist die gantze historie. Paris ist ein abgrundt aller laster. Ich sage alß, eß müßen doch viel gutte undt fromme leütte in Paris sein, sonsten müste Paris untergehen, in dem tag undt nacht so abscheüliche undt gottloße sachen vorgehen. Vergangen mittwog seindt 2 kerl lebendig verbrendt worden, so wegen diebstall ins gefangnuß wahren. Einer davon war ein sohn von dem weib, so in meinem hauß meine servietten undt tischtüger fournirt. Man hatt ihnen einen prister geben, den haben sie violirt undt hernach gezwungen, unßern herrn [096] Christum zu verleügnen, haben ihn, alß er es nicht thun wollen, die nägel abgerißen, die hautt hinter den kopff, wo sie die platten haben, abgerißen, solche schmertzen ahngethan auff allen seytten, daß er etliche tag darnach gestorben. Einer von beyden hatt sich bekehrt undt bitterlich seine sünde bereüet undt beweinet; der ander aber, alß er daß feüer gesehen, hatt gelacht undt gesagt: On me fait un petit feu pour me chauffer les pieds, mais cela sera bientost fait, hatt sich gar nicht bekehrt, ist wie ein verzweyffelter gestorben. Die operaen werden biß dinstag über 14 tag erst wider ahngehen. Ach, liebe Louisse, in meinem alter weiß man wenig von freüden undt man wirdt alles müde. Ich gehe nur ins opera, damitt man mich nicht vor zu gar leüttescheü helt undt mich ahm püblick[27]; sonsten ging ich nicht hin, gar gewiß. Comedien gefahlen mir noch, daß muß ich gestehen. So lang so sagen[28] divertiren, finde ich, daß man woll thut, hinzugehen; den man muß sich selber vor melancolie hutten[29], welches eine zu gefahrliche sache vor daß hirn ist. Wie ich sehe, so wirdt man in Teütschlandt auch böß, so abscheülich ist. Mich deücht, die wirthin solte mitt dem leben gestrafft werden. Hiemitt ist Ewer liebes schreiben von 20 ordendtlich beantwortet, muß mich nun ahnkleyden. Dießen abendt nach der vesper werde ich dießen brieff außschreiben.
Sontag, den 24 Mertz, umb halb 7 abendts.
Da komme ich eben auß dem closter. Wo ich ahnkommen, hab ich daß sprichwordt außführen müßen: Noht bricht eyßen, daß kan ich mitt schey… beweißen; den so baldt ich ahnkommen, hab ich in die garderobe gemüst, drumb schreibe ich so spät, liebe Louisse! Ist[30] kan Eüch aber nicht lang entreteniren, den ich muß endigen; den ich habe auff 4 brieff von meiner dochter zu andtwortten, muß ein … suchen, sie zu trösten. Daß arme mensch ist woll von hertzen betrübt; sie hatt tag undt nacht gearbeydt, ihren herrn zu persuadiren, her zu kommen, undt wie alles fertig undt bereydt ist, kompt ihr ein argwohn, daß sie schwanger ist. Es ist 6 gantzer jahr, daß sie kein kindt bekommen. Ist sie aber schwanger, so ist es daß 15te mahl, daß sie schwanger ist. Sie hatt sich in [097] kopff gesetzt, sie wirdt dißmahl sterben im kindtbett. Gott bewahre unß davor! Da bringt man mir ein paquet von Eüch, liebe Louise! Ich habe Ewer liebes schreiben ahn monsieur Le Fevre gleich hingeschickt. Ich habe es nicht geleßen; den ich leße mein leben keine schreiben, so nicht ahn mich gehören. Gott weiß, wen ich auff Ewere lieben schreiben andtwortten werde können. Ich muß schließen; auff ein ander mahl ein mehrers, nun aber nur sagen, daß ich Eüch von hertzen lieb behalte.
Impressum
Datenschutz
KontaktPost
Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 23. März 1720 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 5 (1879), S. 89–97
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d05b1107.html
Änderungsstand:
Tintenfass