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Brief vom 18. Juli 1720

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1139.


[198]
St Clou den 18 Julli 1720 (N. 10).
Hertzallerliebe Louise, ehe ich auff Ewere liebe schreiben komme, so mir noch überig zu beantwortten sein, muß ich Eüch klagen undt sagen, welch einen abscheülichen schrecken ich gestern außgestanden. Ich fuhr wie ordinari zu den Carmelitten undt fundt die [199] duchesse du Lude[1] dort. Wir wahren gantz ruhig, da kompt madame de Chasteauthier[2] herein, blaß wie der bittere todt, undt sagt: Madame, on ne sauroit vous cacher ce qui se passe; vous trouverez touttes les cours du Palais-Royal remplie[s] de peuples[3]; ils y ont portes des corps morts escrasses[4] à la banque; Laws a estes obliges[5] de ce[6] sauver au Palais-Royal; on a deschires[7] son car[r]osse, après qu’il en a estés sortis, en mille pièce[s], ils ont forces[8] les portes à 6 heures du matin[9]. Ich laß Eüch gedencken, [200] wie mir bey dießer sachen zu mudte[10] war. Ich dörffte es mir [201] doch nicht mercken laßen, den in solchen fahlen[11] muß man nicht bang scheinen, fuhr also zum könig wie ordinarie, muste mich greülich zwingen. Wie ich bey der gaße St Honnoré kamme, war ein solch ambarass[12], daß ich eine halbe stundt still halten musten; da hörte ich den popel schmellen[13], aber nur über Laws, von meinem sohn sagten sie nichts undt mir gaben sie seegen[14]. Endtlich kame ich ins Palais, aber alles war schon wider still undt der pöpel hatte sich retirirt. Mein sohn kam undt verzehlte mir, daß alle die sach von 10 sols ahngangen were undt die, so erstickt worden in der bange[15], hatten es nicht von nohten. Einer von ihnen hatte hundert thaller im sack undt keines von denen, so sich ertrucken laßen, wahre ohne gelt, war also nur ein purer geitz, undt daß sie ins Palais-Royal geloffen, war gar gewiß auß ahnstifftung boßer leütte, die meinen armen sohn abscheülich haßen[16]. Dießes alles macht einem [202] daß leben erschrecklich müde. Ich bin erst nach der commedie [203] umb halb 8 auß dem Palais-Royal gefahren. Es war alles still undt ruhig, aber ich bin es noch nicht, habe bitter übel geschlaffen; den ich höre nicht daß geringste geraß im hoff, so fürchte ich alß, man bringt mir wider eine abscheüliche zeittung. Der pöpel in Franckreich seindt gutte leütte, aber die hoffleütte undt pfaffen seindt lebentige teüffel ohne erkandtlichkeit, trew noch glauben, haben keinen andern gott, alß den geitz undt Mamon. Es ist abscheulich, wie die leütte sein; man könte es nicht glauben, wen man es nicht hört undt sicht. Ach, wie groß recht habe ich gehabt, mich nie über meines sohns regence zu erfrewen können! Ich sahe nur zu woll, waß vor einen abscheülichen mißgunst undt haß ihm dießes zuwegen bringen würde, wovon diß alles herkompt. Madame la princesse kamme gestern zu mir. Ich sagte ihr plat herauß, sie solte ihre kinder wahrnen, den sie mogten ihr wieder neüe betrübtnuß zuwegen bringen, so übeller ablauffen mogten, alß daß erste mahl. Sie versprach mir, ihnen allen woll zuzusprechen; den es were ihr gar zu angst, umb nicht ihr bestes zu thun. Gott gebe, daß I. L. dero versprechen woll halten mögen! Aber ich komme auch einmahl auff Ewer liebes schreiben. Ich war vergangenen sontag ahn dem geblieben vom 2 Julli, no 51. Es ist war, daß unßer printz von Wallis nicht regent hatt sein wollen undt hatt woll groß recht hirin. Es war ein recht panau[17], so man I. L. gestelt, alß man es ihm offrirt. Dieße bursch solte hir sein, daß were ihre rechte sach, aber sie können auch boßheit genung in Englandt ahnrichten. Daß man Manheim undt Friderichsburg wieder bauet, höre ich gar gern; den ich habe Manheim all mein leben lieb gehabt, aber ich mögte wünschen, das es Heydelberg nichts schaden mögte[18]. Ich habe Eüch schon geschrieben, wie daß ich Churtrier gebetten, sich deß armen schloß zu Heydelberg ahnzunehmen. Die armen unschuldige leütte jammern mich woll von [204] hertzen. Wolte gott, mein bruder s.[19] hette bey leben bleiben können undt ein halb dutzendt buben daher setzen! so were[n] sie der qual woll enthoben geweßen. Aber gott hatt weder mir, noch ihnen dießen trost undt glück gegönt. Aber stille hirvon! die reflectionen seindt zu trawerig. Daß der churfürst sich selber hindert, glücklich zu sein, erweist, waß ich allezeit sage, daß alles in dießer welt ist, so einen jeden glücklich machen [kann]; gott wiII aber nicht, daß man in dießer welt glücklich solle sein; den wirdt unßer glück nicht durch andern verhindert, kompt unß selber eine quinte[20] ahn undt hindern unßer eygen glück, wie es Churpfaltz nun macht; aber wo man pfaffen den meister spillen lest, daß kan weder glück, noch seegen bringen. Gott hatt unßere gutte Pfaltzer gestrafft, sich über ihres gutten landtsherrn todt gefreüet zu haben. Ich habe den churfürsten gekandt, er war der beste herr von der welt. Es wundert mich nicht, wen ich in itzigen zeitten heüßer einfallen sehe; den man baut nicht mehr wie vor dießem auff die dauer, sondern nur zu gewinen. Interesse verdirbt alles in der welt undt alle tag nimbt der geitz zu; man hatt gar keine schande mehr, zu weißen, daß man geitzig ist. Vor dießem schambte man sich, geitzig undt interessirt zu scheinen, aber jetzunder soll es verstandt heyßen undt sottisse, wen man nach keinen interesse fragt. Daß gar zu geschwindte bawen deücht auch nichts. Helle heüßer seindt viel lustiger, alß die dunckellen; kans denen nicht verdencken, so viel fenster machen laßen. Die arme Leclair kränckelt noch alß ein wenig, sicht nicht woll auß undt spricht doller, alß nie. Hiemitt ist Ewer liebes schreiben vom 2, no 51, vollig beantworttet; ich komme auff daß vom 29 Juni, no 50, den daß vom 6 dießes monts, no 52, werde ich, wo mir gott daß leben lest, biß sontag beantwortten. Es müßen mir nicht offt solche hertzenangst ahnstoßen wie gestern, sonsten würde meine gesundtheit nicht lang dawern. Es ist nicht wegen meiner fettigkeit, daß man mir braucht, sondern weillen ich ahn ein gar starck exercitzien zu thun gewohnt bin undt diß nicht mehr leyder thun kan, sagt [man], ich müße viel humoren samblen, so mich endtlich kranck machen würden, wen ich zu zeitten den sack nicht außlehre. Der dock[t]or Bruner[21] solle [205] printz Friderich sehr woll tractiren. Daß were doch ein abscheülich unglück, wen dießer herr die schwer-noht bekomen solte. Gott bewahre ihn gnädig davor undt segne deß docktor Bruners artzeneyen! Unßere printzes von Moden hatt ihrem herrn ein compliment gemacht, daß sie woll hette mögen bleiben laßen; sie hat zu ihm gesagt, es seye nicht ridicullers, alß wen ein man sich verliebt von seiner frawen ahnstelt, daß es der brauch nicht in Franckreich seye undt daß man drüber lacht. Daß deücht nichts undt ist der weg, eine schlimme ehe zu geben. Sie hatt einen dolle[n] kopff, der nicht capabel ist, sich glücklich zu machen, undt allezeit will, daß alles nach ihrem sin[n] gehen soll, undt daß geht nicht ahn, wen man geheüraht ist. Ich glaube, daß unßere hertzogin von Hannover ihrer fraw dochter, der hertzogin von Modene, mehr amitie erwießen, alß der keyßerin Amelie, auß barmhertzigkeit, weillen sie woll hatt gedencken können, daß sie sonsten niemandts lieben würde. Eygener herr sein ist allezeit beßer, alß einen herrn zu haben, dem man in alles gehorchen muß. Ein zeichen, daß die weibspersonnen glücklicher sein, wen sie nicht geheüraht sein, alß die geheürahten, so ist es sicher, daß alle die, so es nicht geweßen, allezei gott dancken; aber die es sein, sagen: Ach, hette ich doch mein leben keinen man, noch kinder gehabt! Daß heürahten solte weibsbildern nie erlaubt sein, alß auß gehorsam oder umb brodt, wen man zu forchten hatt, hunger zu sterben. Die liebheürahten bezahlt man gar thewer. Man kan nie beßer thun, alß in alles auff gott zu vertrawen. Ich hatt[e] gehofft, dießen brieff vollig außzuschreiben undt den Ewerigen zu beantwortten, so ich ahngefangen; allein man plagt mich, umb nach bett zu gehen; den ich habe dieße nacht bitter übel geschlaffen wegen deß gestrigen schrecken. Eine glückseelige gutte nacht, hertzliebe Louisse! Ein ander mahl ein mehrers, aber nun versichere ich nur, daß ich Eüch von hertzen lieb behalte.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 18. Juli 1720 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 5 (1879), S. 198–205
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d05b1139.html
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