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Brief vom 28. September 1720

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1161.


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St Clou den sambstag, 28 September 1720 (N. 31).
Hertzallerliebe Louise, ehe ich auff Ewere liebe schreiben andtworte, muß ich Eüch erst unßere vorgesterige reiße verzehlen. Ich stiege umb ein wenig, nachdem es 8 geschlagen, in kutsch mitt der duchesse de Brancas, madame de Chasteautier[1] undt die fraw von Ratzamshaussen. Wir hatten daß schönste wetter von der welt; a la porte de la conferance gab man mir ein relais, daß hilt mich ein viertelstundt auff. Hernach fuhr ich über dem wall a la Place-Royal[e] zur großhertzogin, kam nahe bey halb 10 in ihre cammer, fundt sie in guttem standt undt recht lustig; kan nicht begreiffen, wie sie es sein kan, den sie kan keinen schritten gehen, hatt große mühe, zu articulliren, undt hatt eine handt gantz lahm. Mitt dießem allem ist sie lustig, treibt possen, fexirt[2], lacht über ihren eygenen standt. Ich halte dießes vor eine sonderliche gnade gottes. Nahe bey 10 uhr fuhr ich von der Place weg nach Vincene[3]; ahm endt von parq de Vincene war wieder ein relais, so mich biß nach Chelle[s] führt. Unßere abtißin fandt ich gar nicht geendert, war eben, wie ich sie daß letzte mahl gesehen hatte. Sie verzehlte mir sachen, so mir die haar zu berg stehen machten, nehmblich daß 2 kerl ihr en[t]deckt, so verwandten von ihren nonen sein, daß man ihnen große sumen gelt offrirt, meinen sohn zu assasiniren undt seinen sohn auch. Sie hatt hertz wie ein mansmensch; man threwet sie auch, sie frägt kein haar nach sich selber, sagt, sie wolte, das [288] man sie nur attaquiren solte, sie wolte sich woll wehr[e]n, hatt sich gutte geladene pistollen geben laßen[4]. So erschrocken ich auch war, muste ich doch hirüber lachen; sie lacht auch selber drüber. Ein controleur von meinem sohn gab unß umb 1 uhr, ein stundt, nachdem ich ahnkommen war, eine magnifique mahlzeit. Aber waß mir unßere abtißin verzehlt, hatt mir den apetit ein wenig benohmen. Der controleur war vor dießem in meinen dinsten geweßen, mein herr nahm ihn. Der gutte, ehrliche man hatt doch noch allezeit affection vor mir undt war froh, mir zu dinnen. Ich bliebe bey mein enckelin biß umb 3 uhr; da ging ich, ihr neü refectoir[5] sehen undt waß sie sonst neües hatt machen laßen, recht sauber. Hernach ging ich in kirch, verichtete mein abendtsgebett, stieg umb halb 4 wider in kutsch undt kam umb halb 8 abendts wider hir ahn, begegnete mein sohn im vorhoff, so wider nach Paris fahren wolte. Ich machte ihn absteygen undt ein augenblick in meine kutsche kommen undt gab ihm eine gutte nacht. Er fuhr nach Paris undt ich kam wider in mein camer, zog meine uhren auff, that noch ein abendtsgebett in meinen buch, schluckte mein ey, zog mich hernach auß undt ging umb halb 10 zu bett. Da wist Ihr nun, liebe Louise, alles, waß ich vorgestern gethan, sowoll alß ich selber. Nun ist es auch zeit, daß ich auff Ew[e]r liebes schreiben komme vom 10 dießes monts, no 71. Überall klagt man wegen der post; aber weillen kein mittel dazu, will ich weitter nichts hirvon sagen. Die wege seindt böß, die pferdt noch schlimmer. Alles will gewinen; es ist ein ellendt, der mamon stelt überall unheil ahn undt es wirdt täglich ärger. Gott weiß, waß endtlich drauß wehren[6] wirdt; es macht einem daß leben sauer undt verdrießlich in allen stücken. Ich versichere Eüch, liebe Louise, daß ich täglich daß leben müder werde, undt wen mich gott zu sich nehmen wirdt, werde ich gewiß nicht betrübt sein. Ich bin recht von hertzen melancolisch undt hab es ursach. Ich will doch thun, waß mir möglich sein wirdt, umb distractionen zu haben. Heütte werde ich ins bois de Boulogne fahren, umb dort zu spatziren. Biß mitwog will ich nach Paris in die commedie undt biß donnerstag werde ich Eüch verzehlen, ob mir beßer ist. Aber nun muß ich meine gewöhnliche pausse [289] machen. Wen ich wieder vom bois de Boulogne undt Madrit werde kommen sein, will ich Eüch entreteniren, hiß ich schlaffen gehen werde.
Sambstag, umb halb 7 abendts.
Hertzallerliebe Louise, da ich eben von Madrit kam undt dießen datum schon geschrieben hatte, kam madame la duchesse herein undt ist eine klocken-stundt hir geblieben; also werde ich leyder wieder nicht so viel schreiben können, alß ich gehofft hatte. Hir haben wir 3 tag woll daß schönste wetter von der welt gehabt, heütte aber, ob es auch zwar schön genung geweßen, umb mich praff zu spatziren, aber der himmel ist so starck gewölckt, daß ich förchte, daß das regenwetter gantz einfallen wirdt; den biß mitwog werden wir neümont haben. Ertapt, daß regenwetter damitt einfält, werden wir gantz ins heßlich wetter kommen. Es ist purer mutwill undt boßeheit, wen die posten so unrichtig gehen; den sie könten woll allezeit umb 8 tagen auffs allerspätzt überkommen, aber alßden würde der vorwitzigen curiositet nicht vergnüget[7] werden. Sie solten doch meiner schreiben woll müde sein nach 49 jahren, daß sie sie immer leßen. Ich glaube, daß es weder deß fürst Taxis, noch deß baron Weltz schuldt ist, daß meine brieff unrichtig gehen, sondern deß Torcy[8] undt ertzbischoffen von Cambray[9]. Wie sie mich nicht sonderlich lieben, hoffen sie alß, waß in meinen schreiben zu erdapen, so mir handel ahnmachen könten, welches doch, waß ich auch sagen mögte, nicht geschehen kan. Ich habe gegen dießer falschen bursch gar zu woll vorgebawet, aber ihre hoffnung undt bößen willen kan man nicht auffhalten. Aber waß will man thun? Man muß es machen, wie in der commedie von Sejanus[10] stehehet[11]: Man muß gedult haben, durchleüchtigste Agripina! Umb die [290] equinoxe[12] seindt ordinarie die zeitt[e]n, wo, wie man mir versichert, wo die grösten stürm auff der see sein. Es ist war, daß unßere liebe printzes von Wallis schwanger ist; es ist mir recht leydt, den I. L. seindt daß letz[te] mahl so gefährlich kranck geweßen, daß mir recht angst undt bang bey der sach ist. Ich wolte woll, daß sie noch einen printzen hette, wen ich nur sicher sein könte, daß die printzes frisch undt gesundt davon kommen könte. Printz Friderich solle docktor Bruner gantz courirt haben[13]. Gott erhalte ihn lange jahren dabey zu der seinen hohes vergnügen! Es seindt hir Teütschen, die versichern, daß der könig in Englandt den gantzen winter zu Hannover oder Herrnhaußen bleiben will. Ob sie es recht wißen, weiß ich nicht. Sie sagen auch, daß der könig undt die königin in Preüssen wieder nach Hernhaussen kommen werden; aber ich glaube, daß dieße vissitte ehr zur Ghör[14], alß zu Hannover, geschehen wirdt, weillen es naher bey Berlin ist. Weillen der könig in Schweden dem herrn baron von Degenfelt so gar gnädig, wirdt er woll in Schweden bleiben. Wen Ihr mir medaillen schickt, so Eüch nichts kosten, nehme ich es mitt großem danck. Mich deücht, es geht jetzt überall gar überzwe[r]g her. Man kan nichts mehr begreiffen; man war vor[dem] gantz froh, wen viel frembten ahn einem hoff wahren, man hilt es vor grandeur; ich glaube, man hatt recht. Alle verenderung, so ich in dießer welt erlebt, seindt wie daß wehrgeheng von Louis 13 seine[m] bouffon. Der kam mitt ein groß wehrgeheng von gestickten atzellen. Der könig fragte ihn: Quel bauderier[15] a tu la? Er andtwortete: Mon beaudrier est comme vostre cour, sire! Tout y va de pis en pis[16]. Also geht die welt nun, liebe Louise! Ich verstehe in der weldt nichts; in all monsieur Laws seinen sisteme undt actionen kan ich nichts begreiffen. Graff Hoim[17] ist noch nicht [angekommen], ob er zwar schon durch Lotteringen gereist; den mein dochter hatt mir durch ihm geschrib[e]n, wie sie mir bericht. Ich kene dießen graff Höim gar woll, ist offtermahlen undt lang zu Paris geweßen. Die medissance will, daß er nicht allemahl waß guts von Paris getragen. [291] Ich sagte ihm letztmahl, wie er her kam undt gar gesundt außsahe: Habt 8[18], daß Ihr zu Paris nicht wider bleich undt ungesundt werdt! Ich kan noch nicht ahn die fürstin von Ussingen andtwortten. Mein sohn hatt ihren brieff, so sie mir geschrieben, weg getragen; muß er[19] erst waß drüber examiniren, ehe er mir andtwort drauff gibt. Es ist woll loblich ahm graff von Solms, nicht zu spiellen. Mich wundert, daß Ihr nicht lust habt, deß cap[i]tain[e] Groß reverien zu hören. Wie kan man so waß forchten? Ist ja nur gutt, umb zu lachen undt die zeit zu vertreiben. Die prophezeyung war leicht zu machen; wo eine schlime stiegen in einem hauß ist, ist es ein miracle, wen man nicht herunderfelt undt sich blessirt. Leütte, die warsagen, examiniren die heüßer, umb waß drauff zu sagen können. Adieu, liebe Louise! Ich bin heütte zu gritlich, umb waß mehrers zu sagen können, alß daß ich Eüch, in welchem standt ich auch sein mag, von hertzen lieb behalte.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 28. September 1720 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 5 (1879), S. 287–291
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d05b1161.html
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