Seitenbanner

Brief vom 20. Februar 1721

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1203.


[019]
Paris den 20 Februari 1721 (N. 67).
Hertzallerliebe Louise, vergangen sontag habe ich Ewer liebes schreiben vom 1 dießes monts, no 9, zu recht entpfangen; aber dießmahl ist es allein kommen undt doch viel lenger unterwegen geweßen, alß ordinairi; den ich, wie Ihr segt, liebe Louise, habe es erst in 16 tagen entpfangen, da es doch ordinari in 9 tagen überkompt. Aber hirauff ist nichts zu sagen, den die unrichtigkeit von der post ist nicht zu endern. Von meinem gehabten abscheülichen fieber will ich nichts mehr sagen, daß ist lengst vorbey. Daß rawe wetter undt mein alter verhindern mich noch, gantz wider zu kräfften zu kommen. Es frirt gar starck, undt weillen der frost mitt dem letzten viertel verdoppelt hatt, ist zu muhtmaßen, daß keine enderung vor dem neüen mont kommen wirdt, so den 26 sein wirdt. Alle tage seindt schon mitt sonnenschein, aber gegen abendt frirt es gleich wieder, kan also noch nicht auß meinem schneckenhauß herauß krichen. Konte ich in die frische lufft kommen auß [020] dießer Parisser lufft, so mir so gar zuwieder ist, glaube ich, daß meine kräfften eher wider kommen würden. Ich habe gezeichende nächte, eine nach[t] schlaffe ich perfect woll, die ander übel, habe winde, so mich plagen, miltzwehe, thue, wen ich einschlaffe, abscheüliche treüme, so mich auffahren machen, grämpf gehen undt ahn schlaffen hintern; die gutte nacht aber schlaffe ich gar woll. Vorgestern hatte ich eine große vissitte, man führte mir den jungen könig her. Er hatte unter andern zwey personnen bey sich, so gar ernstlich drein sahen, nehmblich sein reichsoberstalmeister, printz Carl vom hauß Lotteringen, undt der duc de Noaille[s], der erste capitaine des gardes. Ich wuste damahl nicht, waß ihnen fehlte, habe es aber gestern erfahren. Printz Charle hatt vor zwey jahren die dochter vom duc de Noaille[s] geheüraht; sie war noch gantz ein kindt undt nur 12 jahr alt. Man hatt sie ein jahr lang verhindert, bey ihrem herrn zu liegen; aber seyder ein jahr seindt sie beysamen undt dieß kindt ist ein fein, tugendtsam mensch geworden, so ihren man hertzlich lieb gewuhnen, welches kein groß wunder, den es ist gar ein schönner herr. Aber waß zu wundern ist, ist, daß daß junge weibgen, so nun kaum 15 jahr alt ist, nicht coquet geworden, wie schir alle junge weiber in Franckreich sein, sondern in allen stucken gar eine gutte conduitte gehalten, ob sie zwar woll gesehen, daß ihr man keine inclination vor sie hatte, welches desto mehr zu verwundern ist, daß sie artig von gesicht undt woll geschaffen ist. Vorgestern morgens ging printz Charle zu ihr undt sagte zu ihr: Madame, il faut nous séparer; je ne me trouve pas asses de bien pour vous entretenir. Daß arme weibgen erschrack, sagte: Vous aye[1] desplus[2] dans ma conduitte? Dittes-moy ce que c’est! et je m’en corigeres[3]. Pour le bien, mettes[4] moy dans une chambre, ne me donnes[5] que du pain et de l’eau et que je vous puisse voir passer! je seres contente. Er andtworttete: Je suis tres-content de vostre conduitte, je u’ay pas la moindre plainte contre vous; mais, en un mot comme en mille, vous estes[6] mon aversion, je ne vous puis souffrir, ainsi je veux que vous retournies ches votre pere. Daß arme weibgen fing bitterlich ahn zu weinen. Er sagte: A quoy bon ces pleurs? Ils ne m’attandriront pas; alles[7]-vous-en! Si[e] sagte: Puis que je suis si mal avec vous, il n’est pas juste [021] que j’aille dans la maison de mon pere; il faut me cacher a jamais, ließ alle ihr bedinten komen, bezahlte sie woll. Alles weinte im hauß. Sie setzte sich in kutsch undt fuhr in ein closter au[x] fille[s] ste Marie, wo sie eine tante hatt. Alle welt beklagt das arme mensch. Ich habe dieße historie nicht ohne threnen ahnhören können. Es weiß niemandts, waß dem printzen ahnkommen ist, der bißher gar sanfftmühtig geschienen. Ehe er sich geheüraht, war er gar verliebt von einer dame, so nun eine witwe ist. Etliche meinen, daß dieß die ursach ist[8]; die zeit wirdts lehren. Unterdeßen macht dieße historie einen greülichen lehrmen, wie Ihr woll gedencken kont, liebe Louise! Ich komme aber auch wider auff Ewer liebes schreiben. Hir braucht man nie daß meledy-Kendt-pulver[9]; ich war zu kranck, umb dran zu gedencken. Ich habe von dem rechten schwartz-kirschen-waßer; den ein Schweitzer hatt es mir gehen, man hatt es in der Schweitz gemacht. Hir, glaube ich, könte man es nicht machen; den man findt keine von denen wilden kirschen in den waldern hir. Ich habe offt in unterschiedtliche walder hir gejagt, aber mein leben keine gefunden, noch gesehen. Hir gibt man nichts, alß l’hemetique, quinquina[10], aderläß undt purgiren, ein jedes auff seine art. Mein magen ist seyder dem verfluchten quinquina noch nicht, wie er vorher geweßen, da ich mein leben nichts dran entpfunden. Nun thut er mir zu zeitten wehe mitt stichen; die dockter aber halten es nur vor winden, womitt ich nacht undt tag geplagt bin. Daß fieber hatt mir das quinquina doch genohmen, ist den 3ten tag nicht wieder kommen. Alcarmes[11] kan ich gar nicht leyden; man gab mirs ein, wie ich die kinderblattern hatte; es machte so erschrecklich kotzen, daß ich meinte, daß ich bärsten müste. Kalte schal eße ich gern, aber ohne rossinen. Wir habens hir probiren wollen, aber die frantzösche wein schicken sich gar nicht dazu. Fleischbrühe ist mir ein vomitif, wie l’hemetique, kan mein leben keine nehmen, undt wen ich etwaß eße, so mitt fleischbrühe, eße ichs gern, aber ich verspüre es gleich, der magen geschwilt mir; eße ichs zwey tag, gibt es mir eine indigestion, so ich [022] mitt nichts couriren kan, alß mitt rohe schincken. Ewere kranckheit hatt mich 2 nachte wachen machen, war recht in sorgen, wie ich Eüch, liebe Louise, geschrieben habe. Dießen accort[12] hette ich nicht ahngenohmen, daß Ihr vor mich kranck sein soltet, liebe Louise! Ewer gesundtheit undt leben ist mir gar zu lieb dazu. Ihr habt woll von meiner kranckheit geuhrtheilt, bin nun wider gesundt, nur noch waß schwacher, alß ordinari, undt habe den kopff viel delicatter, alß vor dießem, kan nicht mehr so viel schreiben, undt wen ich viel reden muß, entpfindt ich es auch, der kopff wirdt mir wie lehr, undt meine mattigkeit nimpt täglich zu. Ich glaube[13], daß der frühling alles wider gutt machen wirdt, insonderheit wen ich der gutten lufft von St Clou wider werde genießen können, welche mir woll bekompt; Paris aber ist mir all mein leben zuwider geweßen. Es kan gar woll [sein], daß die frantzosche post übel gehet, dencken ahn nichts hir, alß ihre interessen. Ich bitte Eüch, liebe Louise, danckt doch die fürstin von Ussingen gar sehr meinetwegen vor die sorge, so sie vor mir gehabt in meiner wehrenden kranckheit! Wen man in sorgen ist, solle man außgehen, umb distraction zu finden. Franckfort ist abscheülich zum fewer geneigt; die arme Juden jamern mich, so viel verlohren zu haben. Nichts erschreckt einen mehr, alß wen man sagt: Erschreckt nicht! Mir geht es auch so; wen ich erschrecke, felt es mir gleich in die schenckel. Fewerglocken undt horn haben etwaß abscheüliches. Aber da schlegt es halb 11 undt Ewer liebes schreiben ist vollig beantwortet, bleibt mir also nichts mehr über, zu sagen (den ich muß mich ahnziehen, den ich eße nun umb halb 12 zu mittag), kan also nichts mehr sagen, alß daß ich Eüch von hertzen lieb behalte.
Impressum
Datenschutz
KontaktPost
Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 20. Februar 1721 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 6 (1881), S. 19–22
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d06b1203.html
Änderungsstand:
Tintenfass