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Brief vom 27. Februar 1721

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1205.


[024]
Paris den 27 Februari 1721 (N. 69).
Hertzallerliebe Louise, mein leben habe ich die post nicht so [025] wunderlich gehen sehen alß dieß jahr. Vergangen sontag bracht man mir Ewer liebes schreiben vom 8 dießes monts, no 11, undt vorgestern daß von 10, no 12. Dießes muß ins waßer oder schnee gefallen sein; den es war gantz naß. Man hatt groß recht, sich so sehr umb meine brieffe in sorgen zu setzen; den ich bekümere mich viel, wie sie lengst wißen sollen, umb stadts-sachen[1] undt politiq; Ihr undt ich werden gewiß dolle händel ahnfangen, Ihr Teütschlandt undt ich Franckreich verrahten. Dieße sorgfaltige herrn thäten beßer, auff ihre eygene sach acht zu haben, l’interest des princes zu lehrnen, welches sie gar nicht wißen, damitt sie einen gutten undt beständigen frieden stifften können, alß ahn mich zu gedencken undt mich zu zergen[2], die nicht ahn sie gedencke undt gar zu wenig estime vor sie habe, ahn sie zu gedencken; aber auß erkandtlichkeit vor die mühe, so sie nehmen, alle meine brieffe zu übersetzen zu laßen, gebe ich ihnen meine charitablen advis, wo sie NB dabey setzen mögen. Weitter will ich nichts von der post sagen, liebe Louise! den es stehet nicht zu endern. Ahn mir liegts nicht, daß Ihr meine brieffe nicht entpfangt. Den seydt versichert, daß ich keinen eintzigen donnerstag noch sambstag fehle, zu schreiben, wie ich Eüch, liebe Louise, versprochen habe! Wie ich auff den todt lag, habe ich Eüch auch ein wenig geschrieben. Wie solte ich den nun nicht schreiben, da ich gantz wider woll bin? Es bleibt mir nichts von meiner kranckheit, alß daß ich noch alß eine gutte undt eine böße nacht habe; dieße ist die gutte geweßen, habe gar woll geschlaffen. Ich bin zwar nicht so starck, alß ich vor der kranckheit geweßen, aber daß [mag] auch woll sein, wie Pickelhäring sagt, wen er mutter Angen[3] agirt: Daß thut daß liebe alter[4]. Es ist keine vexirerey mehr, in 5 vierteljahr werde ich 70 alt sein. Ihr betriegt Eüch aber nicht, zu glauben, daß ich wieder viel beßer bin, alß ich geweßen; ich habe keinen desordonnirten apetit, auch keinen desgoust, bin in dem fall wie ordinari. Ich halte es vor viel, daß ich so habe zu recht kommen können bey dießem abscheülichen rauen wetter. Die Seine solle heütte gantz zugefrohren sein, geht schon viel tag mitt grundteyß. Ich hatte gehofft, daß der neü mont [026] unß enderung deß wetter gestern solte gebracht haben, aber es ist nicht geschehen undt es frirt ärger, alß nie. Gestern bekamme ich ein schreiben von unßer lieben printzes von Wallis, die schreibt, daß bey menschen-gedächtnuß keine so grimmige kälte in Englandt geweßen alß nun, daß auch gar viel leütte sterben. Sie schreibt mir auch gar gnädig vor Eüch, liebe Louise, mitt dießen wortten: Ich habe die gutte raugräffin imer von hertzen estimirt, de[nn] je mehr man sie kent, je mehr findet man ihr gutt qualiteten; aber sie hatt daß glück, E. L. gnade zu haben, undt über daß, so ist [sie] sehr ahn unßere s. churfürstin attachirt geweßen. Es ist nahe bey 3 gantzer wochen, daß wir den winter mitt eyß undt schnee gar starck hir haben. Gott weiß, wie lang es noch wehren wirdt; ich bins sehr müde, den alle tag den schönsten sonnenschein zu sehen, ohne außzugehen können, ist verdrießlich auff die lenge. Alle husten verneüern, man hört überall nichts, alß husten undt naße butzen, undt wie ich dieß handtwerck nicht wider ahnfangen will, gehe ich den gantzen tag nicht auß mein cabinet, welches nicht kalt; den die son habe ich den gantze[n] tag ahn meine fenster undt morgendt umb 11 gehen[5], woll mitt wattene scherpffen eingepackt, in die capel in meiner chaisse[6]. Ich habe auch den gantzen tag ein gutt fewer in mein cabinet, undt wen die son untergehet, laß ich ein fagot[7] ahnzünden, also ist mein cabinet allezeit warm undt doch auch nicht zu heiß. Ich bin fro, daß meine gutte landtsleütte mitt mir zufrieden sein; Ihr sagt mir aber nicht, wie die pfaltzische edelleütte heißen, so Ihr gesehen undt hir geweßen sein. Ich war so gefährlich kranck, daß gutte gebetter mich woll müßen salvirt haben. Mich wundert, daß so wenig leütte zu Franckforth nun sein. Ist den die meß nicht itzunder? Ich meinte, sie finge nun ahn undt werdte biß auff Ostern. Hiemitt ist Ewer letztes liebes schreiben völlig beantwortet; ich kome auff daß erste von 8 Februari, no 11. Sie habens resolvirt, Eüch allezeit eine post ohne meine brieffe zu laßen undt Eüch die andere post zwey auff einmahl zu geben; daß stehet nicht zu endern. Auffs wenigst segt[8] Ihr doch dadurch, daß es meine schuldt nicht ist undt ich Eüch alle posten richtig schreibe. Aber weillen Ihr, liebe Louise, segt, daß es bloß von dem caprisse von denen kompt, so die post regieren, also solt [027] Ihr Eüch in keinen sorgen setzen, wen Eüch meine brieffe fehlen. Noch ein wenig matt bin ich, die böße nächte [habe ich noch], aber den husten habe ich nicht mehr; nun ist gar keine gefahr mehr bey mir jusques au revoir, wie man hir im sprichwordt sagt. Wen man einander so nahe, alß wir einander sein, so kan sich gar leicht simpatie finden. Daß die krafften gantz widerkommen, kan noch bey Eüch geschehen, liebe Louisse, die 9 jahr jünger seydt, alß ich; aber, wie ich schon gesagt, so nahe bey den 70 jahren ist wenig krafft undt stärck zu hoffen, welches mich wenig ahnficht; den ich brauche wenig starcke, will weder tantzen, lauffen, noch springen. Offt kan ich nicht eßen; den wen ich daß geringste stück brodt morgendts solte eßen, könte ich gar nichts zu mittag eßen. Ich bin nicht mehr gewohnt; den seyder ich in Franckreich bin, habe ich nie gefrüstückt. Ihr seydt mehr wehrt, liebe Louise, alß meine sorgen. Ihr werdet auß eines von meinen letzten schreiben ersehen, wie ich nicht allein ahn dem herrn secretarie von Grevenbroch vor Eüch gesprochen, sondern auch ahn Churpfaltz selber Ewer in meinem schreiben ahn I. L. gedacht; also habt Ihr nicht übel gethan, mir Ewer[e] noht zu klagen. Wen nur meine vorsprach waß helffen könte! Waß zu hören, so mich divertiren könte, ist schwer in dem humor, wo ich bin; aber waß neües zu hören, gibt doch distraction vor trawerige gedancken. Nichts ist natürlicher, alß offt ahn seine[9] vatterlandt zu gedencken, wo man seine jugendt undt beste zeit seines lebens passirt; Heydelberg, Manheim undt Schwetzingen werde ich woll mein leben nicht vergeßen. Ich begehre gar nicht, wider zuzunehmen; ich wahr zu fett, daß war mir ungemächlich. Vor die lufft hütte ich mich sehr, bin über 2 monat nicht in die frische lufft kommen, undt so lang daß rawe wetter dawern wirdt, werde ich nicht auß meinem cabinet gehen. Ich habe auch keine eyll dazu; den ich frage nach nichts mehr, daß opera ist mir gantz, gantz verlaydt. Wen Baron undt die Desmar[es][10] spillen, sehe ich noch gern commedien, aber nicht mitt solchen eyffer, daß ich es nicht entbehren könte. Die ittaliensche commedie macht mich noch etlichmahl ein wenig lachen, aber nicht mehr wie vor dießem, kan also auch gar woll ohne selbige sein. Geselschafft von [028] leütte, so nicht taglich bey mir sein, ist auch meine sache nicht; ich liebe sehr die einsambkeit. Printz Wilhelms gemahlin thut woll, sich nicht in die presse in die redoutte zu begeben; masquen sehen ist auch nicht gutt vor eine schwangere fraw. Ich habe von hertzen lachen müßen, daß Ihr so ernstlich verzehlt, daß die redoutte 700 bastert[11] zu wegen gebracht hatt. Mein sohn kam eben herein, wie ich Ewer liebes schreiben laß, undt wie es rar ist, mich lachen zu sehen, so fragte er mich, waß ich lachte. Ich verzehlte, da lachte er, daß er hotzelt, undt sagt[e], ich solte Eüch andtworten, daß die redoutte ein großer vortheil von[12] I. L. dem landtgraffen wehre, weillen es ihn mitt 700 unterthanen vermehret hette. Die leütte von qualitet seindt in dießes landt viel arger desbeauchirt, alß die gemeine leütte. Vor dießem passirten die sachen noch in gallantiren[13] undt ernstlichen, aber ehrliche passionen, aber nun ist alles pure desbauche undt nirgendt keine schamhaffigkeit mehr; die weiber sprechen mehr wüstereyen, alß die mansleütte, haltens weder vor schandt, noch vor sündt[14]. Es ist den 17 dießes monts eine abscheüliche masquerade hir in der statt [gewesen]; es war da auch ein bal en masque, da kammen 6 masquen, zwey trugen fackeln undt vier ein brancar[d][15] mitt ein masque, auch in domino; daß stelten sie in der mitten undt gingen alle wieder weg. Man fragte den, so auff dem brancar[d] lag, ob er dantzen wolte; alß er aber nicht andtwortete, rieß man ihn die masque vom gesicht undt fandt, daß es ein todter mensch war, den man erstickt hatte. Daß deücht mir abscheülich. Die 6 kerl [hatten ihn] ermort, undt wie sie nicht gewust, wo sie den todten cörper hintragen solte[n], haben sie die masquerade erdacht.
Donnerstag umb halb 1 nachmittages.
Ich habe heütte morgen gar geschwindt auffhören müßen, den es schlug 3/4 auff 11 undt ich muste mich noch ahnziehen; nun komme ich von taffel undt werde außschreiben. Es ist eine rechte schande, daß Christen ahn Jaden weißen, daß sie nicht beßer sein, alß sie, undt keinen stärckern glauben ahn gott haben, ihn zu [029] förchten undt gegen daß gesetzt zu thun. Es scheindt, alß wen aller glauben überall erloschen were; weder groß noch klein hatt keine religion mehr. Ich weiß nicht, waß endtlich auß dießem allem werden wirdt; gott stehe unß alle bey! Hiemitt ist Ewer zweyttes liebes schreiben auch völlig beantwortet, werde also nichts mehr sagen, alß daß ich Eüch von hertzen lieb behalte. Ich habe geschwindt enden müßen, den ich habe wegen ein affaire ahn unßere hertzogin von Hannover zu schreiben, so ihr sehr ahnliegt wegen eines apartement au Luxembourg.
P. S.
Dießen abendt haben wir die son mitt regenbogen umbringt gesehen, wie Ihr da segt[16], mitt schönnen farben; der mittelpunct ist die son, alle ander die regenbogen.
Donnerstag umb halb 6 abendts.
In dießem augenblick bringt man mir Ewer liebes schreiben vom 15, no 13, ich werde es aber heütte nicht beantworden, sondern übermorgen. Es ist doch [ein] wunder, daß ich seyder verwichenen sontag 3 liebe schreiben von Eüch [empfangen habe], wünsche, daß es Eüch auch also mitt meinen schreiben gehen [möge]. Dießes ist doch lang genung unterwegen geweßen, den es ja 16 tag alt ist. Aber es ist doch gutt, wen die brieffe nicht verlohren werden.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 27. Februar 1721 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 6 (1881), S. 24–29
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d06b1205.html
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