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Brief vom 10. April 1721

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1217.


[071]
Paris, gründonnerstag, 10 Aprill 1721 (N. 81).
Hertzallerliebe Louisse, es schlegt 10 uhr undt ich komme eben auß der pfarrkirch, wo ich zum h. abendtmahl gegangen. Ich gehe dießen tag desto lieber zum abendtmahl, weillen dießer tag die rechte institution vom h. abendtmahl ist, undt den gantzen weg wieder her habe ich gesungen:
[072] Nun freüdt eüch, lieben Christen gemein,
Undt last unß frölich sp[r]ingen.
Daß wir getrost undt all in ein
Mitt lust undt liebe singen,
Waß er ahn unß erwießen
Durch seine großen wunderthat!
Gar thewer hatt ers erworben[1].
Nun will ich Eüch entreteniren, liebe Louise, biß ich zur taffel gehe. Dießen nachmittag werde ich zu unßern Carmelitten, Tenebre[2] hören. Mein gott, wie singt man die latteinische psalmen so gar langweillig! Heütte aber werde ich noch nicht ertapt werden, wie gestern; nachdem ich all mein[e] vorbereydts-gebetter verricht, hatte ich nichts mehr zu betten undt die Tenebre wehrten bey 3 große stundten. Ich erinere mich nicht, in jahr undt tagen eine größere lange weill außgestanden zu haben. Heütte aber bin ich kein narr so, ich habe hübsche geistliche bücher zu mir genohmen, also wirdt mir die zeit nicht lang wehren[3]. Es ist aber auch zeit, liebe Louise, daß ich auff Ewer liebes schreiben komme, werde bey dem frischten ahnfangen, so vom 25 Mertz ist, no 24. Von der post ist nichts zu sagen; den wie sie sichs einmahl in den kopff gesetzt haben, eine post vorbey zu gehen laßen undt die ander zwey brieff auff einmahl zu geben, so werden sie es nicht endern. Ich bin nun wider gantz woll undt meine galle plagt mich nicht mehr; es war auch zeit, daß es auffhörte; den in 10 tagen mitt der medecin zu rech[n]en bin ich 41 mahl zu stuhl gangen, ohne [sch]mertzen, grimmen noch indigestion, lautter dicke galle von allerhandt farben. [073] Ich befinde mich aber, gott lob, gar nicht schwach davon, allein ich kan nicht eßen, alles fleisch ist mir verleydt; ich habe befohlen, man solle mir eine[n] gutten grünen pfanenkuchen machen, umb zu sehen, ob mir der apetit dadurch wieder kommen könte. Wir haben gar schön wetter hir, gar sanfft; aber seyder 3 gantze mont habe ich keine frische lufft geschöpfft, verlange nach St Clou wie ein kindt. Biß montag über 8 tag, wilß gott, werde ich dort sein undt die gutte frische lufft schöpffen können, welche mich wieder recht erquiken wirdt. Ich fahre mein leben nicht im cour[4], aber die dort geweßen sein, sagen, daß es ein so starker staub ist, daß man die leütte kaum in den kutschen kenen kan. Die Pariser divertissementen haben mir nie gefallen, bin nie gern im cours gefahren noch in den Thuillerien[5], findt es bludts-langweillig, lautter gesichter zu sehen, wo man keinen haar nach fragt, undt in den Thuillerien kan ich weder lufft schöpffen, noch den gartten sehen, den der peuple accablirt. In 29 jahren, daß ich in dießem landt bin, bin ich nur 3 mahl au cours geweßen; daß erste mahl wuste ich nicht, waß es war, wolte es sehen, weillen Monsieur s. mir davon gesprochen wie etwaß gar schönnes undt ahngenehmes; aber ich habe es nicht so gefunden; die ander zwey mahl bin ich nur auß purer complaisance au cours geweßen wegen meiner enckeln, die mich so inständig drumb batten. Es seindt viel frantzösch plaisir, so ich nicht begreiffen kan. Die comed[i]en wahren auch hübscher bey hoff, alß hir; den da durffte niemandts [sich] auffs theatre setzen[6] hir seindt 4 rang bäncke, also wen man ein comiques stück spilt, weiß man nicht, ob, die da sitzen, von der commedie sein oder nicht; suma, alle plaisir von Paris seindt verdorben undt widerlich, waß aber widerlich ist, ist gar perfect. Drumb habe ich dießen ort auch nie geliebt[7], undt wen mich die Parisser nicht so lieb [hätten], ich sage daß gemeine volck[8], würde ich gewiß gar selten zu Paris sein. Die husten werden jetzt ohne endt, man hört überall husten; ich hoffe doch, daß diß samffte wetter, liebe Louise, Eüch couriren wirdt. Mein apetit ist noch nicht wider kommen, aber zu St Clou wirdt er wieder kommen; in Paris ist die lufft zu dick, da kan ich ohne daß nicht eßen wie anderwertz. Daß ich Eüch, liebe Louise, [074] eine gutte gesundtheit wünsche, bedarff keine dancksagung, daß ist gar zu natürlich. Ich par[ad]ire mitt meinem gutten hertzen allein, weillen so viel schlimme gemütter in der welt sein, welches mehr zu verwundern ist; den mir kompt nichts natürlicher [vor], alß zu lieben, waß einem nahe ist undt es meritirt, daß man sich davor interessirt. In dießem augenblick bringt man mir Ewer lieben brieff vom 29 Mertz, no 25; darauff werde ich aber heütte ohnmöglich andtworten können, werde es vor biß sambstag sparen. Daß könte ich warlich woll nicht errahten, daß ich zu etwaß gutt sein könte. Aber da sehe ich durch mein fenster meine kutschen kommen, ich muß also eine pausse machen. Wie ich in nichts beladen bin, alßo habe ich auch vor nichts zu andtwortten. Aber ich muß weg.
Gründonerstag umb 6 abendts.
Die Tenebre haben heüte eine stundt weniger gedauert, alß die gesterigen. Ich kome wider auff Ewer liebes schreiben, wo ich geblieben. Auff mir selber habe ich keine explication von nöhten; den, liebe Louise, ich kene mich zu woll, umb einige fal[s]che opinion von mir zu schöpffen. Ich werde mein leben weder guts, noch böß thun, den ich mische mich in nichts in der weldt undt es were gar ohnnöhtig, etwaß zu unterfangen; wer es meint, muß dieß landt nicht kenen; mehr sage ich hirvon auch nichts, ich komme jetz[t] weitter. Die zwey brüder Schwanenberg erinere ich mich nicht gesehen zu haben, aber ich sehe so viel leütte mitt meinen schlimmen gedachtnuß, das ich es selten behalte. Ich glaube nicht, daß man dem soltaden waß thun kan, dem Juden den kopff abzuhauen; den warumb hatt ihn der verfluchte Judt dazu gezwungen? Ich glaube nicht, daß monsieur Schleünitz in ungnadt bey dem Czaar ist, den er schickt ihn nach Braunsweig auff den congrè[s]. Seine arme fraw ist immer kranck hir; man muß hoffen, daß sie ihre gesundtheit wider im vatterlandt erdapen wirdt. Unßer printzes von Wallis schreibt mir ein[e] dolle historie vom Czaar von einem hundt, so er begraben laßen, alß wens sein kindt were, ist selber zur begräbnuß gangen. Daß weist woll, daß er ein wunderlicher heylliger ist. Die Schweitzer werden woll thun, ihm … zu schicken. Alle die, so nach der Moscau sein … Die Türcken seindt nun polier, alß der frantzösche hoff. Aber da kompt monsieur Teray undt treibt mich nach bett. Ich muß morgen umb halb 8 in die passions-predig. [075] Adieu! Ich ambrassire Eüch von hertzen undt behalte Eüch, liebe Louise, allezeit lieb.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 10. April 1721 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 6 (1881), S. 71–75
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d06b1217.html
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