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Brief vom 3. Mai 1721

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1225.


[098]
St Clou den 3 May 1721 (N. 88).
Hertzallerliebe Louise, gestern abendts bin ich mitt Ewerem lieben schreiben vom 19 April, no 32, erfrewet worden. Die von der post haben weißen wollen, daß es nur ihre boßheit schuldt ist, wen die posten übel geh[e]n, weillen sie in 6 tagen … Mir kommen Ewere liebe brieff spätter zu handen, alß nie. Den wie Ihr segt, liebe Louise, so ist dießer brieff, so auch in 6 tagen hette kommen können, 13 tag unterwegen geweßen, wie Ihr leicht zehlen könt. Mitt der post ist nichts ahnzufangen, sie despendirt von zu vielen kopffen, so sich alle eine freüde machen, mir alles zuwieder zu thun, waß sie können, undt es all ihr leben gethan haben; also ist nichts hir zu hoffen. Es ist gewiß, daß frische brieff einen viel einen größern gefallen thun, alß alte schreiben; den man weiß nicht, waß seyderdem wider geschehen ist. Ihr werdet durch mein schreiben von vor 8 tagen ersehen haben, wie daß man mir vergangenen sontag wider den grünen safft hatt schlucken machen, so mich wider starck purgirt undt abgematt hatt. Seyder gestern [099] fange ich wider ahn, mitt beßerm apetit zu [eßen] undt nicht mehr so großen widerwillen zu der speiße habe[1]. Ich eße mein leben keine frantzösche ragoust, finde es ein unsauber undt widerlich geschmir, habe mich mein leben nicht dran gewohnen können. Monsieur le Dauphin pere undt sein sohn, der duc de Berry, haben die ragoust noch mehr verdorben; den sie aßen es nicht, es muste dan handtvoll saltz drin sein, daß einen der halß davon brante. Ich glaube, daß daß abscheüliche versaltzen undt verpfeffert gefreß, so sie alle tag in menge geßen, ursach ahn ihrem kurtzen leben geweßen. Seyder 8 tagen haben wir daß heßlichste wetter von der welt, immer kalter windt undt regen, auch so, daß wider feüer in allen caminen hatt müßen gemacht werden. Ich habe in den 10 tagen, so ich hir bin, noch nicht ein eintzig [mal] konnen in den gartten fahren, den es regnet continuirlich; ich bin diß wetter woll hertzlich müde. Wolte gott, ich könte Eüch noch ein mahl in meinem leben hir zu St Clou ambrassiren! daß würde mir eine rechte freüde sein. Ich bin in allem, auch in eßen undt drincken, noch gantz teütsch, wie ich all mein leben geweßen. Man kan hir keine gutte pfanen-kuchen machen, milch undt butter seindt nicht so gutt, alß bey unß, haben keinen süßen geschmack, seindt wie waßer; die kreütter seindt auch nicht so gutt hir, alß bey unß, die erde ist nicht fett, sondern zu leicht undt sandig, daß macht die kreütter, auch daß graß, ohne starcke undt daß vieh, so es ist[2], kan also keine gutte milch geben, noch die butter gutt werden, noch die pfanen-kuchen. Auch haben die frantzosche koche den rechten griff nicht dazu. Wie gern wolte ich den pfanen-kuchen von Ewer cammer-magtgen eßen! Daß solte mir beßer schmecken, alß alles, waß meine köche machen. Von ihnen eße ich schir nur schlegtweg eßen, alß gebrattene, niehren-bratten, hammel-fleisch, lammer-flei[s]ch, gebrattene hüner, welsche hüner, ganße undt enten; den hamelschlegel eße ich ordinari mitt salat[3]. Es muß eine osterei[chi]sche [100] mode sein, daß man einem glück zur gevatterschafft wünscht; den zu meiner zeit habe ich nie nichts davon gehört. Alle ostereichische maniren, so woll alß die sprach, seindt mir gantz unleydtlich, alles ist affectirt dran; ich bin zu naturlich, liebe Louise, umb affecterie in nichts zu leyden können. Hir ist es gar gemachlich, kinder auß der tauff zu halten; man gibt nichts, auch keine neüjahr. Ich weiß noch alle psalmen undt geistliche lieder, so ich mein leben gewust, undt singe sie in meiner cammer, auch offt in der kutsch; ich habe noch meine Bibel, psalm-bücher undt lutterische lieder-bücher, kan also singen, so viel ich will. Ich habe hoch von nöhten, daß mir gott daß gedachtnuß sterckt; den ich fühle, daß mein gedäch[t]nuß abscheülich abnimbt; ich kan keinen nahmen behalten, glaube, daß ich baldt meinen eygenen vergeßen werde. Ich bitte taglich den almachtigen, meinen sin undt gedancken zu regieren, nichts zu thun noch zu gedencken, alß waß mir zu meiner seeligkeit dienlich ist, undt mich in meinem alter nicht zu verlaßen; auch ist daß ende von meinem gebett nach dem unßer-vatter: Ach, herr, verlaße mich nicht, auff daß ich dich nicht verlaße! Ich kan kein beßer Teütsch, alß Ihr, liebe Louise! Aber ich sehe doch woll, wen eine sach nicht recht geschrieben ist. Daß geschicht Eüch gar selten, fehler in Eweren schreiben zu thun; in dießem brieff habe ich noch keinen gefunden. Ich hoffe, Eüch baldt undt ehe daß jahr zum endt geht, wo mir gott daß leben verleyet, ein contrefait in kupffer-stück zu schicken; den man hatt ihn[4] abgemahlt, solle perfect gleichen; daß wirdt woll in kupfer gestochen werden. Man hatt es ihm gewießen, so soll er gesagt [haben]: Cela est fort bien, fengt also ahn, Frantzösch zu reden; der man hatt eine große politesse. Die Turcken seindt nicht so exact in ihren gesetzten, daß sie keine volle[5] leütte sehen solten; sie sauffen nachts wie bürstenbinder undt geht ihnen mitt dem wein, wie den Christen mitt andern lastern, so ihnen verbotten sein. Die Türcken halten ihr desbeauchen heimblicher, alß die Christen, so sich in jetzigen zeitten eine ehre drauß [machen]. Apropo hirvon so hatt man mir gestern ein poßirlich dialogue verzehlt, so monsieur le duc zu Chantilli mitt seinem dockter gehalten. Ich glaube, ich habe Eüch schon verzehlt, wie kranck er zu Chantilli worden[6], wo er seine [101] desbeauchirte metres gar woll hatt regalliren [wollen] undt hatt cantaritten[7] undt andere starcke sachen eingenohmen, muß aber vergeßen haben, daß sein herr vatter undt schwiger her[r] vatter, der printz de Conti, ahn eben dießelbe sachen gestorben sein; er selber ist gar kranck zu Chantilli worden, undt ist ihm noch ein so starcker schwindel geblieben, daß er les estats de Bourgogne in seinem gouvernement diß jahr nicht halten kan; den der schwindel erlaubt ihm nicht, zu reitten noch in kutschen zu fahren. Der holandische dockter, so ihn courirt undt monsieur Helvetius[8] heist, sagte vor etlichen tagen zu ihm: Si V. A. S. continue la mesme vie que vous aves menée jusques a pressent, je vous guaranti mort avant six mois. Er andtworte: Ma vie et ma santé sont a moy, j’en veux ce qui me plait. Darauff judicirt man, daß sein leben nicht gar lang mehr dawern wirdt. Die geheürahte fraw, so er so sehr liebt undt welche ihn absolute regiert, ist ihm nicht getrewe, hatt zwey andere amants; daß merckt dießer eben so wenig alß ihr man, monsieur de Prie, so allezeit über hannerey lachen sollen[9] undt gantz verwundert ist, warumb monsieur le duc sein[e]r frawen so gar gnädig ist, welches alle menschen lachen macht; den ihre lieb ist offendtlich undt kein secret. Vor dießem war madame de Prie gar artlich, aber ihr dolles leben hatt sie so geendert, daß sie nicht kenbar mehr ist. Die moscowittische nation ist so barbarisch undt wilt, daß es kein wunder ist, daß der czaar, so drinen gebohr[e]n undt erzogen ist, auch waß davon behelt; aber verstandt hatt der her[r], daß ist gewiß. Mich deücht, wen ich der hertzog Allexander von Württenberg were undt so sichere hoffnung er hatt, hertzog von Württenberg zu werden, wolte ich nicht die mühe nehmen, eine wilde printzessin zu heürahten, daß hertzogthum Curlandt zu bekommen[10]. Aber, wie unßere liebe s. churfürstin alß pflegt zu sagen, einem jeden seine weiß gefelt undt seinen dreck für weirauch helt. Aber es wirdt spät, ich muß eine pausse machen, umb mich [102] ahnzuziehen, betten gehen in der capel, hernach ahn taffel. Nach dem eßen will ich Eüch noch entreteniren biß umb 3; alßden werde ich in kutsch undt nach Madrit fahren zu Chausseray[e]. Erlaubt mir daß wetter, werde ich dort zu fuß ein wenig spatziren; ich sag ein wenig, den viel ist mir ohnmöglich, meine arme schenckel undt knie können nicht mehr fort; daß thut daß liebe alter, wie Bickelharing sagt, wen er mutter Angen agirt[11].
Sambstag, den 3 May, umb 1 uhr nachmittag.
Es ist eine viertel[stunde], daß wir von taffel sein. Ich hoffe, noch ehe ich außfahre, [auf] Ew[e]r liebes schreiben, liebe Louise, vollig zu andtwortten, komme wider, wo ich heütte morgen geblieben war. Da regnets wieder abscheüllich; daß ist woll ein langweilliges wetter undt es ist heütte 8 gantzer tag, daß es dauert. Morgen sollen wir daß erste virt[e]l vom mont abendts haben. Gott gebe, daß es das wetter endern mag! Die ursach, so man gibt, warumb daß wetter so wüst ist, ist, daß man sagt, das es nun noch der montschein von dem Aprillen ist, undt der mont solle erst der vom Mayen sein; ab[e]r es ist noch lang hin, den den 26 werden wir erst neümondt haben. Ich komme aber nun wider auff den herrn von Schleünitz; er hatt noch nicht abschidt von mir genohmen, glaube also, daß sie noch zu Paris sein. Man sagt zu Paris, daß der frawen von Schleünitz kranckheit von nichts nicht kompt, alß auß betrübtnuß, daß sie gemeint, viel im Missisipi zu gewinen, undt alles verlohren hatt[12]. Ich gestehe, ich habe daß hertz nicht [103] barmhertzig genung, mich über die zu betrüben undt sie zu bejammern, so sich auß purem geitz arm machen; contrarie, daß kompt mir alß lächerlich vor. Die arme fraw ist abscheülich heßlich, kan nicht begreiff[en], wie 2 mäner nach einander verliebt von dießer damen können gewest sein; den sie sicht ja auß mitt ihren langen zähnen wie ein pferdt, daß verrecken will. Mich wundert, daß madame von Schleünitz mir nie von Eüch gesprochen hatt. Impertinenter, alß die Langallerie ist, habe ich wenig leütte gesehen; ich kan sie nicht leyden undt würde meinen vettern, den landtgraffen, glücklich schätzen, wen er sich von dießer närin loß machen könte. Sie ist in der that nicht anderst, alß eine campagnarde närin, so nicht allein nicht so[13] leben weiß, sondern ins gelach hinein spricht, ohne zu wißen, waß sie sagt, undt wen sie [104] hundert sottissen gesagt, ist sie gantz verwundert, daß man sie nicht admirirt, welches ihren närischen kopff erweist. Sie hatt mirs keine obligation, sie nicht auß meiner cammer gejagt zu haben[14], aber woll mein vett[e]r, der landtgraff, den ich nicht in sein cher objet habe betrüben wollen; den wen man die leütte so lieb hatt, alß er dieße narin gehabt, schmertzt es recht, wen man sie über[15] tractirt. Sie ist nicht allein halb geschoßen, sondern eine recht[e] närin in follio; ihr man konte nicht närischer sein, alß sie ist. Ich habe Langallerie gar woll gekandt. Seine erste fraw hatt ihn auß lieb genohmen, da war er noch gantz undt gar nicht … Sie ist meiner freülen hoffmeisterin geweß[en], war eine wittwe von einem Simiane, so leütte von so guttem hauß sein, alß hir in Franckreich sein; ihr sohn von der ersten ehe ist mein chevallier d’honneur, heist le marquis de Simiane; also segt Ihr woll, liebe Louise, daß mir alle dieße leütte gar woll bekandt sein. Die Veningern, von dern Ihr mir schreibt, ist just deß Philips Ernsten dochter, so alß zu Eichtersheim gewohnt hatt. Ich habe Eichtersheim von weittem, aber nicht bey nahem [gesehen]; man hatt mirs gewießen, alß ich einmahl zu Lünenfels war, wo der dieffe brunen ist, den man zicht undt hernach in einem buch schreibt. Ich habe ihn weder gezogen, noch geschriben, den vers machen ist mein sach gantz undt gar nicht[16]. Den andern Bettendorf, so nicht hauß-hoffmeister geweßen, hießen wir den Bettendorf von Nußloch; habe sie alle woll gekent. Zu meiner zeit wo[h]nte niemandt unten ahm berg, alß deß Botzheimers famille. Aber da kommen meine kutschen; dießen abendt werde ich dießen brieff außschreiben, wo ich nicht große mühe zu haben werde, den es bleibt mir noch nur ein eintziger gantzer bogen überig. Storcken haben mich manchmahl divertirt; wir hatten dern zu Heydelberg undt zu Schwetzingen[17]. Adieu biß dießen abendt nach 6 uhr, daß ist nach dem abendts-gebett! Muß doch noch dießen bogen außschreiben; hiemitt genung, liebe Louise!
Sambstag umb halb 6 abendts.
Da komme ich wieder von meiner kleinen reiße. Im hinfahren hatt unß im bois de Boulogne ein abscheülicher regen biß nach [105] Madrit geführt, aber ein schönner, doch kalter sonnenschein hatt unß wider her geführt. Nun will ich auff Ewern letzten bogen andtwortten. Ich wünsche, das Ihr Eüch beßer in der meß divertiren möget, alß Ihr selber meint. Ich kan leicht begreiffen, daß umb Ewer eygen divertissement Ihr woll nicht in die menge leütte gehen würdet, aber ich finde woll gethan, daß Ihr Ewer freüllen von Wittgenstein hin führet; den es ist beßer, junge leütte müde von divertissementen machen, alß sie immer solches wünschen machen; den die leütte, so nichts sehen, meinen alß, daß solche zusamenkunfften himmlische freüden sein; wen man aber deren viel gesehen, wirdt man es müde undt fragt nichts mehr darnach. Ich habe brieffe vor dießem vom abbé de Buquoy bekommen, seine person aber glaube ich nicht gesehen zu haben; aber sein brieff war so hart gegen unßerm könig, daß ich nicht apropo gefunden, ihm zu andtwortten, noch vor ihm zu sprechen. Ich weiß nichts neües undt Ewer liebes schreiben ist gar exact beantwortet, bleibt mir alß[18] nichts mehr über, alß Eüch auff[s] neü zu versichern, liebe Louisse, daß ich Eüch von hertzen lieb behalte.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 3. Mai 1721 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 6 (1881), S. 98–105
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d06b1225.html
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Tintenfass