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St Clou den 3 May 1721 (N. 88).
Hertzallerliebe Louise, gestern abendts bin ich mitt Ewerem lieben schreiben vom 19 April, no 32, erfrewet worden. Die von der post haben weißen wollen, daß es nur ihre boßheit schuldt ist, wen die posten übel geh[e]n, weillen sie in 6 tagen … Mir kommen Ewere liebe brieff spätter zu handen, alß nie. Den wie Ihr segt, liebe Louise, so ist dießer brieff, so auch in 6 tagen hette kommen können, 13 tag unterwegen geweßen, wie Ihr leicht zehlen könt. Mitt der post ist nichts ahnzufangen, sie despendirt von zu vielen kopffen, so sich alle eine freüde machen, mir alles zuwieder zu thun, waß sie können, undt es all ihr leben gethan haben; also ist nichts hir zu hoffen. Es ist gewiß, daß frische brieff einen viel einen größern gefallen thun, alß alte schreiben; den man weiß nicht, waß seyderdem wider geschehen ist. Ihr werdet durch mein schreiben von vor 8 tagen ersehen haben, wie daß man mir vergangenen sontag wider den grünen safft hatt schlucken machen, so mich wider starck purgirt undt abgematt hatt. Seyder gestern [099] fange ich wider ahn, mitt beßerm apetit zu [eßen] undt nicht mehr so großen widerwillen zu der speiße habe[1]. Ich eße mein leben keine frantzösche ragoust, finde es ein unsauber undt widerlich geschmir, habe mich mein leben nicht dran gewohnen können. Monsieur le Dauphin pere undt sein sohn, der duc de Berry, haben die ragoust noch mehr verdorben; den sie aßen es nicht, es muste dan handtvoll saltz drin sein, daß einen der halß davon brante. Ich glaube, daß daß abscheüliche versaltzen undt verpfeffert gefreß, so sie alle tag in menge geßen, ursach ahn ihrem kurtzen leben geweßen. Seyder 8 tagen haben wir daß heßlichste wetter von der welt, immer kalter windt undt regen, auch so, daß wider feüer in allen caminen hatt müßen gemacht werden. Ich habe in den 10 tagen, so ich hir bin, noch nicht ein eintzig [mal] konnen in den gartten fahren, den es regnet continuirlich; ich bin diß wetter woll hertzlich müde. Wolte gott, ich könte Eüch noch ein mahl in meinem leben hir zu St Clou ambrassiren! daß würde mir eine rechte freüde sein. Ich bin in allem, auch in eßen undt drincken, noch gantz teütsch, wie ich all mein leben geweßen. Man kan hir keine gutte pfanen-kuchen machen, milch undt butter seindt nicht so gutt, alß bey unß, haben keinen süßen geschmack, seindt wie waßer; die kreütter seindt auch nicht so gutt hir, alß bey unß, die erde ist nicht fett, sondern zu leicht undt sandig, daß macht die kreütter, auch daß graß, ohne starcke undt daß vieh, so es ist[2], kan also keine gutte milch geben, noch die butter gutt werden, noch die pfanen-kuchen. Auch haben die frantzosche koche den rechten griff nicht dazu. Wie gern wolte ich den pfanen-kuchen von Ewer cammer-magtgen eßen! Daß solte mir beßer schmecken, alß alles, waß meine köche machen. Von ihnen eße ich schir nur schlegtweg eßen, alß gebrattene, niehren-bratten, hammel-fleisch, lammer-flei[s]ch, gebrattene hüner, welsche hüner, ganße undt enten; den hamelschlegel eße ich ordinari mitt salat[3]. Es muß eine osterei[chi]sche [100] mode sein, daß man einem glück zur gevatterschafft wünscht; den zu meiner zeit habe ich nie nichts davon gehört. Alle ostereichische maniren, so woll alß die sprach, seindt mir gantz unleydtlich, alles ist affectirt dran; ich bin zu naturlich, liebe Louise, umb affecterie in nichts zu leyden können. Hir ist es gar gemachlich, kinder auß der tauff zu halten; man gibt nichts, auch keine neüjahr. Ich weiß noch alle psalmen undt geistliche lieder, so ich mein leben gewust, undt singe sie in meiner cammer, auch offt in der kutsch; ich habe noch meine Bibel, psalm-bücher undt lutterische lieder-bücher, kan also singen, so viel ich will. Ich habe hoch von nöhten, daß mir gott daß gedachtnuß sterckt; den ich fühle, daß mein gedäch[t]nuß abscheülich abnimbt; ich kan keinen nahmen behalten, glaube, daß ich baldt meinen eygenen vergeßen werde. Ich bitte taglich den almachtigen, meinen sin undt gedancken zu regieren, nichts zu thun noch zu gedencken, alß waß mir zu meiner seeligkeit dienlich ist, undt mich in meinem alter nicht zu verlaßen; auch ist daß ende von meinem gebett nach dem unßer-vatter:Ach, herr, verlaße mich nicht, auff daß ich dich nicht verlaße!Ich kan kein beßer Teütsch, alß Ihr, liebe Louise! Aber ich sehe doch woll, wen eine sach nicht recht geschrieben ist. Daß geschicht Eüch gar selten, fehler in Eweren schreiben zu thun; in dießem brieff habe ich noch keinen gefunden. Ich hoffe, Eüch baldt undt ehe daß jahr zum endt geht, wo mir gott daß leben verleyet, ein contrefait in kupffer-stück zu schicken; den man hatt ihn[4] abgemahlt, solle perfect gleichen; daß wirdt woll in kupfer gestochen werden. Man hatt es ihm gewießen, so soll er gesagt [haben]:
Cela est fort bien, fengt also ahn, Frantzösch zu reden; der man hatt eine große politesse. Die Turcken seindt nicht so exact in ihren gesetzten, daß sie keine volle[5] leütte sehen solten; sie sauffen nachts wie bürstenbinder undt geht ihnen mitt dem wein, wie den Christen mitt andern lastern, so ihnen verbotten sein. Die Türcken halten ihr desbeauchen heimblicher, alß die Christen, so sich in jetzigen zeitten eine ehre drauß [machen]. Apropo hirvon so hatt man mir gestern ein poßirlich dialogue verzehlt, so monsieur le duc zu Chantilli mitt seinem dockter gehalten. Ich glaube, ich habe Eüch schon verzehlt, wie kranck er zu Chantilli worden[6], wo er seine [101] desbeauchirte metres gar woll hatt regalliren [wollen] undt hatt cantaritten[7] undt andere starcke sachen eingenohmen, muß aber vergeßen haben, daß sein herr vatter undt schwiger her[r] vatter, der printz de Conti, ahn eben dießelbe sachen gestorben sein; er selber ist gar kranck zu Chantilli worden, undt ist ihm noch ein so starcker schwindel geblieben, daß er les estats de Bourgogne in seinem gouvernement diß jahr nicht halten kan; den der schwindel erlaubt ihm nicht, zu reitten noch in kutschen zu fahren. Der holandische dockter, so ihn courirt undt monsieur Helvetius[8] heist, sagte vor etlichen tagen zu ihm:
Si V. A. S. continue la mesme vie que vous aves menée jusques a pressent, je vous guaranti mort avant six mois.Er andtworte:
Ma vie et ma santé sont a moy, j’en veux ce qui me plait.Darauff judicirt man, daß sein leben nicht gar lang mehr dawern wirdt. Die geheürahte fraw, so er so sehr liebt undt welche ihn absolute regiert, ist ihm nicht getrewe, hatt zwey andere amants; daß merckt dießer eben so wenig alß ihr man, monsieur de Prie, so allezeit über hannerey lachen sollen[9] undt gantz verwundert ist, warumb monsieur le duc sein[e]r frawen so gar gnädig ist, welches alle menschen lachen macht; den ihre lieb ist offendtlich undt kein secret. Vor dießem war madame de Prie gar artlich, aber ihr dolles leben hatt sie so geendert, daß sie nicht kenbar mehr ist. Die moscowittische nation ist so barbarisch undt wilt, daß es kein wunder ist, daß der czaar, so drinen gebohr[e]n undt erzogen ist, auch waß davon behelt; aber verstandt hatt der her[r], daß ist gewiß. Mich deücht, wen ich der hertzog Allexander von Württenberg were undt so sichere hoffnung er hatt, hertzog von Württenberg zu werden, wolte ich nicht die mühe nehmen, eine wilde printzessin zu heürahten, daß hertzogthum Curlandt zu bekommen[10]. Aber, wie unßere liebe s. churfürstin alß pflegt zu sagen, einem jeden seine weiß gefelt undt seinen dreck für weirauch helt. Aber es wirdt spät, ich muß eine pausse machen, umb mich [102] ahnzuziehen, betten gehen in der capel, hernach ahn taffel. Nach dem eßen will ich Eüch noch entreteniren biß umb 3; alßden werde ich in kutsch undt nach Madrit fahren zu Chausseray[e]. Erlaubt mir daß wetter, werde ich dort zu fuß ein wenig spatziren; ich sag ein wenig, den viel ist mir ohnmöglich, meine arme schenckel undt knie können nicht mehr fort; daß thut daß liebe alter, wie Bickelharing sagt, wen er mutter Angen agirt[11].