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Brief vom 29. Mai 1721

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1231.


[129]
St Clou den 29 May 1721 (N. 95).
Hertzallerliebe Louise, in zwey tagen hatt man mich mitt zwey von Ewern lieben schreiben erfreüet von Geissenheim; seindt viel frischer, alß die von Franckforth, undt wahrdt gestern abendts zu Paris recht verwundert, daß vom 21, no 40, zu entpfangen, so nur 8 tag alt ist. Ich bekamme es eben, wie ich auß der commedie ging, wo ich expresse hingangen war, zu sehen, ob ich meine trauerige grillen verdreiben konte undt meinen geburdtstag lustiger ahnfangen. Aber ich wurde sehr in meiner hoffnung betrogen; den ich erinere mich nicht, in langer zeit einen langweilligern undt melancolischern geburdtstag zugebracht zu haben. Erstlich so wurde [130] ich accablirt von leütten; zum andern so sehen meine fenster just auff der armen marquisen d’Alluye fenster, so vor 14 tagen gestorben undt woll meine gutte freündin ware; zum 3ten so fuhr ich zur großhertzogin, welche man mir vorgestern versichert, daß ich in einem gar gutten standt finden würde; aber selbige nacht ist I. L. ein solch starck erbrechen ahnkommen, so sie in einen solchen ellenden standt gesetzt, daß ich recht erschrocken, wie ich I. L. gesehen; ich forchte, sie wirdts nicht lang mehr machen. Daß hatt mich in solche trawerige gedancken gesetzt, daß mich die commedie gar nicht divertirt hatt. Ich glaube, ich were auch nicht drin geblieben, wen ich nicht zwey printzessinen, alß mehmblich mademoiselle de Clermont undt mademoiselle de la Rochesurion[1] in die commedie geführt hette. Habe also mein 70 jahr langweillig undt recht trawerig ahngefangen; wie es enden wirdt, mag gott allein wißen. Ewer erstes liebes schreiben vom 16 von Geissenheim, no 39, habe ich vergangenen montag, alß ich von Madrit kommen, zu recht [empfangen], war aber, wie Ihr segt, liebe Louise, 10 tag alt, da doch daß gesterige just nur 8 tag alt geworden; also were es gutt, liebe Louise, wen Ihr alle Ewere liebe schreiben von Geissenheim auff dießelbe adresse schickt. Ich werde nicht manquiren, dießen brieff über Brüssel zu adressiren; heütte aber werde ich nur auff Ewer letztes liebes schreiben andtwortten, daß erste aber vor sambstag sparen. Bin fro, auß dießes letzte zu ersehen, daß meine St Clouer dorffkirbe glücklich überkommen undt Eüch, liebe Louise, ahngenehm geweßen, so schlegt sie auch ist. Ich beraube mich deßen gar nicht, habe ringelger genung zu tragen. Vor dießem wahren mir solche bagatellen zimblich lieb, aber seyder ich in den trauerigen undt marlischen[2] gedancken gerahten, frag ich nach nichts dergleichen mehr, kompt mir nur alles wie bagatellen undt eytelkeit vor. Daß ringelgen ist nicht so große dancksagung wehrt; daß es Eüch gefahlen, liebe Louise, auch so apropo kommen, weillen Ihr ein joung[3], wie man hir heist, gewünscht, ist woll die groste undt ahngenembste dancksagung, liebe Louise, so ich hirüber entpfangen konte. Ich habe Eüch ja versprochen, alle jahr eine kirmeß zu schicken, konte also hiran nicht fehlen, da es kirmeß zu St Clou war. Ihr könt nicht glauben, liebe Louise, wie vergnügt [131] ich bin, so woll reussirt zu haben. Es ist nicht hir, sondern in Englandt gefast worden; habe es von Alvares bekommen dießen winter, wie er wieder auß Englandt kam; funde es woll eingefast, kaufte es deßwegen. Daß seindt wahren, die sich zu meinem kurtzen beüttel schicken, den es kost nicht viel. Aber hiemitt auch genung von dießen bagattellen gesprochen. Ich glaube, wir haben der printzes von Wallis, gott seye danck, glückliche niederkunfft zugleich erfahren; aber wie die brieff unrichtig undt langsam gehen, so habt Ihr nicht sogleich erfahren können, daß ich es gewust habe. In langer zeit hatt mich nichts so sehr gefreüet, liebe Louise, alß dieße gutte zeittung. Wolte gott, der verfluchte pfaff, so meines sohns precepter geweßen[4], hette mir keinen großern unwillen zu wegen gebracht, alß er nun thut, mir meine brieff auffzuhalten undt mich damitt zu zergen! Er hatt mir eine betrübtnuß zu [wege] gebracht, so nicht vor meinem endt endern[5] kan, mitt meines sohns heüraht. Aber last unß von waß anderst reden! Der princes von Wallis printz ist getaufft; der konig undt die königin von Preüssen, wie auch hertzog Ernst August, der bischoff von Osnabrück, seindt gevattern, undt ist Wilhelm August[6] genent worden; der printz von Wallis ist vor dem könig in Preussen zu gevatter gestanden, millord Grantham vor dem h. bischoff undt die duchesse Dorset vor die konigin von Preussen[7]. Aber nun ist es zeit, daß ich meine pausse mache; dießen nachmittag werde ich Eüch, liebe Louise, lenger entreteniren.
Donnerstag, den 29 May, umb 3 uhr nachmittags.
Ich habe nicht gleich nach dem eßen schreiben können, den ich habe meinen vettern, printz Carl von Hessen-Philipsthal, in meiner cammer gefunden. Nachdem ich I. L. ein wenig entretenirt undt ein par wort ahn monsieur de Mavovispis undt monsieur Martine [geschrieben], hernach bin [ich] hingangen, wo niemandt vor mich hingehen kan, undt ahn dem ort bleibe ich lang, den ich leße ordinari; dort habe ich 3 tabletten voller bücher, nehme baldt eins, baldt daß ander undt amussire mich so mitt. Wie ich wieder herrein kommen, bin ich entschlaffen undt werde nun erst wacker, da es 4 schlegt. Nichts geht unrichtigers, alß die post; aber man thut mirs [132] zu leydt, wie ich Eüch, liebe Louisse, schon offt gesagt habe. Mein abscheü von[8] dem eßen ist vergangen, aber ich habe keinen großen hunger nicht. Sawer-kraut schadt meinem magen gantz undt gar nicht; ich habe gar offt davon geßen, ohne es jemahlen in geringsten zu entpfinden. Aber ich kan gar selten hir davon eßen, den erstlich so kan man hir kein gutt sawer-kraudt haben, den daß frantzösche kraut deügt[9] gantz undt gar nicht, hatt keinen geschmack, ist wie waßer; undt zum andern, wen ich gleich gutt sauer-kraut auß Teütschlandt hette, könnens doch meine köch nicht zurichten; es ist erbärmlich, wie sie es zurichten, man kans nicht eßen. Aber da sehe ich unßere hertzogin von Hannover in den hoff fahren, muß also wieder auffs neü eine pause machen.
Donnerstag umb 7 abendts.
Da fährt unßere hertzogin wieder weg, werde also weitter schreiben. In Teütschlandt ist daß kraudt kostlich gutt undt wirdt woll zugericht, aber hir fehlt beydes, man kans ohnmöglich eßen, wie sie es zurichten hir. Monsieur le Fevre ist der discretster man von der welt, der kan woll niemandt in der welt importuniren. Ich halte recht viel von ihm undt sehe ihn nicht offt genung; alle menschen halten hir recht viel von ihm. Seine conversation ist sehr ahngenehm, er weiß viel undt spricht gar nicht wie ein pedant, sondern noblement undt woll. Ich habe ihm gesagt, daß er mir sagen solle, worinen ich Ewern niepcen dinnen könne; werde es von hertzen gern thun. Es geht mir wie Eüch, liebe Louise! Ich habe mein leben nichts von den billiet de banque begreiffen können, ist mein hor[r]eur. Über monsieur le Fevre werde ich woll mein leben nicht ungedultig werden; er spricht zu ahngenehm, umb einen ungedultig [zu machen]. Alle unßer[e] damen hir halten recht viel von ihm undt alle meine leütte; er ist woll erzogen worden undt sehr polie. Ich habe lengst schon auff die brieff geantwordtet, so er mir vom graff Degenfelt undt die comtesse de Holdenesse[10] gebracht hatte. Dieße graffin ist sehr in gnaden bey unßerer lieben printzes von Wallis. Mich deücht, dieße elste schwester gefelt ihr beßer, alß die jüngste; sie meint, daß die elste mehr verstandt hatt, solle auch ahngenehmer in der conversation sein. Ich finde junge [133] leütte, wie graff Degenfelt ist, nicht zu beklagen, wen sie viel zu thun haben; den daß ist gutt vor leib undt sehl undt verhindert, ahn waß bößes undt ungereimbts zu gedencken. Solt man die junge leütte hir zu Paris so ocupiren, würden sie kein so abscheülich leben führen, alß sie thun. Ich zweyffle, daß es Ewere niepce zu Geissenheim gefallen wirdt; den man liebt nichts mehr, alß woran man in sein vatterlandt gewohndt ist. In stätten kan man nicht woll schlaffen; ich schlaffe beßer hir, alß zu Paris. Ich muß über Ewere ex[c]essive politesse lachen, liebe Louise, daß Ihr sagt: Wen ich von mir sprechen darff. Warumb solt Ihr mir nicht von Eüch sprechen? Ihr sprecht da, alß wen Ihr mir bludts-frembt weret; daß ist lacherlich. Aber da schlegt es nein[11]; ich muß es enden undt Ewer liebes schreiben halb unbeantwortet laßen undt vor dießmahl nichts mehr sagen, alß daß ich Eüch all mein leben von hertzen lieb behalte.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 29. Mai 1721 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 6 (1881), S. 129–133
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d06b1231.html
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