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Brief vom 12. Juni 1721

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1236.


[143]
St Clou den 12 Juni 1721 (N. 99).
Hertzallerliebe Louise, vergangenen montag habe ich Ewer 2 bri[e]ff vom 28 undt 31 May, no 42 undt no 43, zu recht entpfangen, auff welche ich heütte hoffe ordentlich zu antwortten. Ich vernehme gern, daß meine schreiben nicht verlohren gehen. Wir werden baldt sehen, ob Ihr die[1], so ich über Brüssel bestehlt, so richtig ahnkommen werden, alß die durch Strasburg. Ob unßere arme marquise[2] zwar in einem alter war, daß sie woll nicht lang mehr hette leben können, weillen sie aber alle ihre sinnen undt verstandt biß ahn ihrem endt behalten, meinen sohn undt mich hertzlich lieb gehabt, muß ich gestehen, das ich mühe habe, ihren todt zu verschmelzen. Sie war gar eine gutte fraw, so rar in dießem landt zu finden, wo abscheüliche boßheit undt falschheit regirt, also die, so gutt sein, woll zu regrettiren sein. Sie hatt keine lange agonnie außgestanden, ist baldt gestorben, nachdem sie daß gesicht undt gehör verlohren. Es ist doch woll recht frantzösch, daß sie sich noch vier jahr weniger geben, alß sie in der that gehabt. Vielleicht hatt sie es auch selber nicht gewust, den ihre verwanten hatten ihr extrait paptister[3], sie hatt es nicht gehabt. Wen daß alter hoch kompt, ist es woll gar nicht schön, liebe Louise! Ich fange ahn, dieße experientz zu haben; alle tag je mehr undt mehr die kräfften zu verliehren, daß ist gar nichts artiges. Die meine seindt seyder meiner aderläß nicht wider kommen, ich kan nicht gehen; ich führe[4] gestern nach Madrit, hoffte, im holtzgen zu spatziren können, den es war daß schönste wetter von der welt; aber ich hatte kaum daß kleine partergen[5] durchgangen, so muste ich mich setzen, meine arme schenckel konten nicht weitter fort. Daß betrübt mich; nach sterben frag ich nicht viel, aber ich mögte gern nicht gantz impotent vor meinem endt werden. Aber man muß woll wollen, waß gottes will ist, liebe Louise, undt es ist schon lange jahren, daß man in deß königs balet gesungen:
Mais, helas! quand lage nous nous glace,
nos beau beau jours ne reviene jamais.
[144] Die zwey vers vorherr, so mitt dießen reimen, seindt:
Quand lhivert a glaces nos guerets,
le printentemps revient prendre sa place
et ramaine a nos champs leurs attrais;
mais, helas! quand lage nous glace,
nos beau jours ne revienent jamais[6].
Undt daß ist woll war. Aber waß will man thun? Der welt lauff ist so undt, wie unßere liebe s. churfürstin alß pflegt zu sagen, unßer herrgott wirdt nichts neües vor unß machen. Es muß unß woll gehen, wie es denen gangen, so vor unß wahren. In meinem alter, liebe Louise, macht man keine neüe kundtschafften, also sehr unahngenehm, seine gutte freünde zu verliehren; daß macht etwaß traweriges undt lehres[7] im leben. Nein, monsieur Teray hatt mich nicht wegen der alteration über die sterbenden zur ader gelaßen; daß ich hir aderlaßen solte, war schon resolvirt, ehe ich von Paris bin. Ich weiß nicht, ob mir die aderlaß woll [bekommen wird]; den ich war so gesundt, alß ich nun bin, wie man mir zur ader gelaßen; aber schwag[8] hatt es mich gemacht, daß ist gewiß. Vor dießem kammen mir meine krafften alß just umb 3 wochen wider; übermorgen wirdt es just 4 wochen sein, daß ich zur ader gelaßen, undt ich bin noch schwächer, alß den ersten tag; bin also gar nicht persuadirt, daß mir die aderlaß gutt ist, undt habe all mein leben gehört, daß man sein bludt nach 60 jahren sparen soll. Der Frantzoßen natur ist gantz anderst, alß wir Teütschen, also darauff nicht zu rechnen. Monsieur Teray sicht es nun woll undt ob er zwar nicht davon spricht; den er pflegte mich nach deß königs todt zwey mahl des jahrs zur ader laßen; seyder 2 jahren her lest er mir nur im frühling zur ader undt nicht mehr im herbst. Ich hoffe also, daß, wo mir gott daß leben noch übers jahr verleydt, daß man [145] mich mitt der aderlaß verschonnen wirdt. Teray ist gewiß der beste docktor von Franckreich, aber er ist ein Frantzoß undt kent die pfaltzischen naturen nicht, so den frantzöschen in nichts gleichen; aber man muß ihn nur gewehren laßen, er wirdt es schon ahn mir lehrnen. Man hatt viel exempel, daß, wen man daß erste mahl von seinem leben ahm fuß zur ader lest, daß leben salvirt; wundert mich also nicht, daß unßer alter landtsman dadurch courirt worden. Ich muß doch lachen, daß Ihr sagt, daß sein hoher verstandt ihm nicht bleiben wirdt, weillen er keinen nie gehabt. Meint Ihr den, liebe Louise, daß ich mein Teütsch so vergeßen, daß man mir expliciren muß, waß die herren-keller[9] sein? Habe ich den deren nicht überall in der gantzen Pfaltz gesehen, zu Manheim, zu Heydelberg, auch gar zu closter Neüburg? Der war gar ein alter, aber allezeit gar lustiger man, drib allezeit poßen undt etlich mahl kam es zimblich grob herauß. Ich kan nicht glauben, liebe Louise, daß 4 Wochen mattigkeit undt schmertzen in den beinen undt knien etwaß gutts bedeütten kan, insonderheit in meinem alter; aber ich muß woll gedult haben undt mitt gedult erwartten, waß drauß werden wirdt. Daß setzt mich viel weniger in sorgen, alß waß meine dochter ahn ihrem fuß bekomen ahm knochen; auff einem sehnen ist ihr eine dicke undt gar schmertzhaffte geschwulst kommen, die ist auffgangen undt viel materie herauß gangen. Gestern bekamme ich einen brieff von ihr, hatt noch erschrecklich gelitten; es ist ihr faul fleisch in die wundt … Daß hatt man abschneyden müßen undt ihr große schmertzen verursachet. Daß arme mensch lebt in einer continuirlichen qual; den es kan ihr ja nicht ahngenehm sein, daß ihr hoffmeisterin[10] lieber ist, alß sie, undt man mehr consideration vor sie hatt, alß vor sie undt ihre kinder. Der man von dießer damen ist der groste ertzschelm, so in der welt zu finden, undt ruinirt den hertzog von Lotteringen im grundt, zicht alles zu sich. Meine dochter konte endtlich woll ihre partie nehmen, waß ihres herrn lieb ahnging; aber sie hatt ihre kinder hertzlich lieb undt zu sehen, daß sie durch den wüsten hannerey, den Craong, ruinirt wirdt, daß betrübt sie undt dringt ihr durch die seel. Sie jammert mich woll von hertzen, aber es ist ihr [nicht] zu helffen. Sie hette [146] die Craong nicht zur dame d’honneur nehmen sollen, worauff ein groß deshonneur erfolgt. Ich hatte es nicht gerahten, sie hatt sich aber durch ihren herrn bereden laßen; sie hatt ihn hertzlich lieb undt glaubt alles, waß er ihr sagt. Ihr werdet, liebe Louisse, auß meinem schreiben von ander tag nach mein geburdtstag ersehen haben, wie ellendt undt trawerig undt langweillig ich meinen geburdtstag zugebracht habe. Nach vielles vergnügen muß ich hir nicht trachten, würde mich sonst sehr betrogen finden, nur zufrieden sein, wen nichts unglücklicheres, noch betrübtes kompt. Ich wolte woll wetten, daß die commission von der charge, so man meinem enckel, den duc de Chartre[s], gehen, mehr verdrießlichkeit, alß freüde undt vergnügen, geben [wird]; den die bößen princen du sang seindt gar zu eyffersüchtig undt jaloux drüber, werden keine ruhe haben, biß sie es über einen hauffen werffen, undt hundert chicanerie drin machen; also wirdt es mir mehr angsten undt verdruß, alß freüde, geben; bin Eüch aber, liebe Louise, sehr obligirt, mir so viel guts zu wünschen. Wen Ihr hettet, waß ich Eüch hergegen wünsche, würdet Ihr gewiß kein mangel ahn gesundtheit undt vergnügen haben. Unßer printzes von Modene ist wider nach Modene, ihren herrn mitt seinem herrn vattern zu vergleichen. Waß drauß werden kan, wirdt die zeit lehren. Aber ich habe schlegte opinion davon, den sie ist zu tracassière, umb einen frieden zu machen können undt in allem, wie man hir sagt, zu haut a la main. Der alte hertzog ist hoffartig undt quintisch[11], wirdt nicht leyden wollen, daß man ihm alß ein souverain undt regirenden herrn waß vorschreibt. Die printzes hatt den humor, daß sie allezeit meint, daß sie über alles ist undt ihr alles cediren muß; also habe ich schlegte opinion von ihrer negotiation. Ich habe ihr doch etlich mahl den buben so dichte gebutzt[12], daß sie hette demütiger werden sollen; aber der hoffart muttert sich bey ihr. Doch muß ich die warheit sagen, gegen mir ist die mutter gar demütig undt lebt woll mitt mir[13]. Ich thue ihr auch allen gefallen, so mir möglich ist. Ich glaube, Lenor stehlt sich nur ahn, alß wen ihr bang vor geister were, umb mich lachen [147] zu machen; den sie weiß woll, daß ich keinen starcken glauben ahn gespenster habe. Dieb undt mörder seindt raisonabler zu förchten; man hört von nichts anderß, undt ob zwar schon 160 in den gefangnuß stecken, haben sie bekendt, daß noch einmahl so viel in den faubourg St Anthoine sein sollen. Wo diebe wißen, daß viel leütte in einem hauß sein, da melten sie sich nicht ahn, insonderheit wen sie wißen, daß man gewehr hatt. Es seindt abscheülich boße leütte zu Paris, auch gar gutte, aber daß ist gewiß, daß sie ihren kindern zu viel muhtwillen zulaßen undt sie übel erziehen; daß benimbt den kindern die forcht undt liebe gegen ihren eltern. Aber nun muß ich mich ahnziehen undt eine pausse machen; dießen nachmittag werde ich außschreiben.
Donnerstag, den 12 Juni, umb ein viertel auff 2 nachmittag.
Es ist nahe bey einer viertelstundt, daß wir von taffel sein. Nun hoffe ich, ferner auff Ewer liebes schreiben zu andtworten, liebe Louise, wo ich heütte morgen geblieben war, nehmblich ahm freüllen von Pelnitz. Die ist nicht mehr zu Hannover, hatt sich nach ihrem schlagfluß nach Berlin führen laßen, wo sie jetzt ist. Alles, waß man von agathen hir hatt, heist man magnifiq, weillen es rar undt thewer hir ist. Op[p]enheim ist der eintzige ort von der gantzen Pfaltz, so ich nie gesehen; den I. G. s. unßer herr vatter nahmen mich nicht mitt nach Op[p]enheim. Wie sie dort hinfuhren undt die printzes palatine mitt der hertzogin von Hannover dort durch fuhr, ging mein bruder s. allein mitt, welches mich woll von hertzen betrübte; den außer, daß ich all mein leben gern gereist habe, zu dem hatt ich auch 2 curiossitt[et]en, umb zu wünschen, mitt zu gehen, erstlich umb die hertzogin von Hannover zu sehen, so meinen armen bruder s. hette heür[a]hten sollen; undt waß mich noch gern nach Op[p]enheim hette gehn machen, war, daß man mir alß gesagt, daß Op[p]enheim auff den model von Jerusalem gebawet ist; daß hette ich gern sehen mögen. Ich hoffe, daß die cammer zu Heydelberg sich gantz zu Ewe[r]n avantage corigiren wirdt undt Op[p]enheim so woll halten wirdt. Grävenbrock sagt, daß sein churfürst zwar gantz wider woll ist, aber doch resolvirt, mitt dem jagten[14], so Ihr vorbey habt fahren sehen, nach dem Embser baadt zu reißen, wo diß jahr gar viel teütsche [148] fürstliche höffe sein sollen, der margraff von Bareydt, der von Ahnspach, der landtgraff von Darmstatt, der von Cassel undt der graff von Hanaw; also [wird] eine große geselschafft dort sein. Hirmitt ist Ewer liebes schreiben vom 28 May, no 42, völlig beantwortet. Ich komme jetz[t] auff daß von 31 May, no 43. Da bringt man mir in dießem augenblick, liebe Louise, Ewer liebes von 4 Juni, daß werde ich vor übermorgen sparen. Nun aber komme ich auff daß, wie ich schon gesagt. Ewer schreiben hatt kein couvert von nöhten gehabt, weillen sie alle beyde in einem paquet haben sein können. Ich habe woll gehört, daß man brieffe bezahlt, so man von der post bekompt; aber die zu bezahlen, so man auff die post [gibt], daß ist gantz etwas neües, ich habe mein tag nichts davon gehört; das kan man woll ein impot[15] heißen. Ich bin nicht so voller ceremonien undt es ist auch die mode hir nicht, liebe Louise, auff solche bagatellen acht zu haben; also glaubt nie, daß mich so sachen verdri[e]ßen können! Wen ich heütte keinen so großen brieff von Eüch, liebe Louise, bekommen hette, würde ich in großen sorgen wegen Ewere augen geweßen sein. Mir kan daß leßen nicht schaden; ich habe, gott lob, noch gar gutte augen undt habe noch nie keine brillen gebraucht. Ich habe Eüch heütte morgen eine lange relation von meiner aderläß gethan, werde also weider[16] nichts mehr davon sagen. Es ist die printzes von Wallis, so mir alle die bericht, so nach Embs gehen. Ach, liebe Louisen, ich dancke Eüch, mir glückliche Pfingsten zu wünschen, aber da ist nicht ahn zu gedencken; glück liebt nur die jungen undt nicht die alten personnen, wie ich bin. Ich habe ahn nichts mehr zu gedencken, alß ruhig zu sterben, so viel mir möglich sein wirdt. Ich versichere Eüch, liebe Louise, daß ich ahn weitter nichts gedencke. Hirmitt ist Ewer zweyttes schreiben auch vollig beantwortet, bleibt mir also vor dießmahl nicht mehr überig, alß Eüch zu versichern, daß ich Eüch allezeit von hertzen lieb behalte.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 12. Juni 1721 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 6 (1881), S. 143–148
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d06b1236.html
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Tintenfass