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St Clou, sambstag, den 14 Juni 1721 (N. 100).
Hertzallerliebe Louise, vergangenen donnerstag hab ich Ewer
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liebes schreiben vom 4, no 44, zu recht entpfangen, aber wie ich
eben damahls ahn Eüch schriebe, glaube ich, liebe Louise, daß ich
es Eüch schon bericht habe. Aber waß will man thun? Alte
weiber müßen alß repetiren. Meine mattigkeit vergeht noch nicht undt
meine arme knie seindt schmertzhaffter, alß nie; daß gibt ein
reimen ungefehr, ich bin doch woll gar kein poet
[1]. Allezeit wen in
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aderlaß, bin ich 3 gantzer Wochen, ohne wider zu kräfften zu
kommen; dießmahl wehrt es noch langer, den es ist heütte just 4
wochen, daß man mir zur ader gelaßen hatt. Aber wie ich schon offt
gesagt undt nach Pickelharing repetire, wen er mutter Anecken
agirt, daß thut daß liebe alter
[3]. Es ist keine vexirerey mehr, wen
man ins 70 jahr trit; den müßen die kräfften woll abnehmen undt,
wie unßer[e] liebe churfürstin alß pflegt zu sagen, unßer herrgott
wirdt nichts neües vor mich machen, muß woll den ordinari lauff
folgen, biß meine stundt wirdt gekommen sein, daß ich in jene
welt wandern muß. Daß kan man Frantzoßen nicht auß dem kopff
bringen, daß man nicht alle jahr aderlaßen muß, in welchem alter
man auch sein [mag]. Ich weiß gar woll, daß es mir nicht gutt;
aber thue ich es [nicht], so ziehe ich mich eine große plage auff
den halß; gebe lieber mein bludt her undt bleibe matt. Den wozu
habe ich stärcke von nöhten? Ein weniger zu spatziren, ist keine
große sache. Monsieur Teray ist nicht gar vor viel remedien, aber
man plagt ihn selber drumb auß forcht, ihre chargen zu verliehren
[4].
Aber alle menschen dencken nicht wie Ihr undt ich, daß die stundt
gezehlt sein. Aber der mensch ist ordinarie so hoffartig, das er
meint, alles durch seinen verstandt zu ergründen, undt daß ist noch
mehr in der frantzöschen nation, alß andere[n]; ich muß offt
innerlich drüber lachen. Ohne nachzugrüblen, wen unßere stundt sein
wirdt, ist es keine große kunst, zu errahten, daß man baldt fort
muß, wen man alt wirdt; den, wie in einem psalm stehet, unßer
leben wehrt 70 jahr undt wens hoch kompt, so seindts 80 jahr
[5].
Also sicht man woll, daß ahn kein lengers leben in dießer welt zu
gedencken ist; were also woll ohnnohtig, sich viel drumb zu plagen.
Da fehle ich woll gar nicht ahn, gott dem almachtigen 3 mahl deß
tags leib, seel undt leben zu befehlen. Waß die kirschnerin zu
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ihren kindern sagte, finde ich sehr vernünfftig. Wen die leütte zu
Paris ihren kindern solche lehren geben wolten, würden nicht 300
zu dieben undt mordern geworden sein, wie man vergangene woch
erfahren hatt. Ich muß gestehen, ich habe unßer alten marquise
d’Alluy[e] verlast noch nicht verdauet; es ligt mir noch schwer auff
dem hertzen; die arme fraw hatte mich gar lieb. Man merckte in
ihren discoursen ihr alter gantz undt gar nicht, war allezeit lustig
undt von gutter geselschafft. Lenor hatt keinen humor, so lang
trawerig zu sein; gestern hatt sie sich kranck gefreßen ahn erbsen
undt butteram mitt ertberen. Ich hatte sie gewahrnt, aber sie ist
so verschleckt undt freßig, daß man sie nicht abhalten kan. Ich
fürchte, daß sie sich einmahl recht kranck wirdt machen; den sie
will sich nicht wehren laßen undt will nicht begreiffen, daß sie schon
über 70 jahr ist, also der magen die hitze nicht mehr hatt, so er
in der jugendt gehabt. Ich will nichts mehr von der armen kleinen
Börstel sagen, hatt mich sehr gejammert. Ich laße sie in ihrer
ewigen ruhe undt hoffe, daß sie woll sein wirdt, weillen sie woll
gelebt hatt undt ein ehrliches mensch geweßen. Unßer printz von
Heßen ist von seinem tripsdrill courirt, sicht nun wider gantz woll
auß. Er reussirt woll hir; alle leütte finden, daß er verstandt hatt undt
politesse undt woll zu leben weiß. Daß er gallant ist undt damen gern
sicht, damitt wirdt er sich in dießem landt kein boßen ruff machen, undt
wen Eüch jemandt so reden hörte, wie Ihr da sagt, daß Ihr forcht,
daß er eine verbottene liebe mag im kopff haben, würde man sehr
lachen oder meinen, daß Ihr ihn soubçonirt, die buben zu lieben.
Weiber zu lieben, sie mögen geheüraht sein oder nicht, wirdt in
gantz Franckreich vor keine verbottene liebe gehalten. Die eintzige
uneinig[keit] zwischen [den] zwey herrn brüder undt landtgraffen
ist nichts anderst, alß daß der von Cassel dem von Philipsthal
nicht genung zu leben gibt, worauff die von Philipsthal gar
raisonabel sagen, daß sie sich nicht beklagen würden, wen es zu deß
landtgraffen undt seiner herrn söhn bestem ahngelegt würde, allein
daß man so viel ohnnohtige despence thut, es also beßer ahn
seinen herrn bruder ahngelegt were, undt hirin finde ich, daß sie
recht haben. Er hatt auch dießes printzen jüngsten herrn bruder
bey sich; den lest er lange zeit alß capten
[6] dinnen, ohne ihn zu
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befördern. Aber nun muß ich mich ahnziehen, es hat schon halb
11 geschlagen; dießen nachmittag werde ich außschreiben.
Sambstag umb 2 uhr nachmittags.
Es ist eine gutte stundt, daß wir von taffel sein undt umb 3
werde ich nach Madrit, muß mich also eyllen, den ich bin
gebetten, nach dem closter von Longchamps zu fähren
[7], den ich alle
jahr eine vissitte dort gebe. Daß erste mahl, alß ich zu ihnen
ging, wolten sie mir chocolatte, thé undt caffé geben. Ich nehme
mein leben keins von dießen dreyen gedrencken, schocolatte thut
mir wehe im magen, thé findt ich, alß wen man mist undt heü
eße, undt caffé findt ich ahn allerärgsten, ist bitter undt wie ein
stinckender ahtem, mögte gleich speyen, findt nichts eckelhafftiger.
Die armen nonen wahren gantz decontenancirt, meinten, ich
verschmähe sie, ich rieffe aber meine leütte zu zeügen, daß ich mein
leben nichts von denen 3 stücken nehme; aber umb sie zu
contentiren, fraß ich viel von ihrem martzeban, welches sie überauß gutt
machen. Scandal zu geben, deücht nie nichts, liebe Louise! Weillen
er ja in der capelle hatte sein wollen, konte
[8] er im ahnfang knien
konnen; in kirchen zu betten hatt nicht übels ahn sich. Aber ich
muß schlaffen. Da werde ich wider wacker, habe ein kurtz
schläffgen gethan, mögte noch woll lenger schlaffen. Aber da komen
meine kutschen, ich muß fort.
Sambstag umb ein viertel auff 8 abendts.
Da komme ich eben von Madrit undt von Longchamps. Ich
kan nie in dießem felt fahren, ohne ahn Lissander undt Caliste
[9] zu
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gedencken. Habt Ihr, liebe Louise, dießen roman nie geleßen?
Er ist in Teütsch undt Frantzösch. Waß es mich hatt leßen
machen, ist eine schönne historie von einem gespenst, so drinen ist,
undt die liebe ich sehr; daß habe ich Eüch auch schon einmahl
gesagt. Seyder ich wieder kommen bin, ist mein vetter, printz Carl
von Heßen-Philipsthal, zu mir … Der weiß schonne historien von
gespenster. Er hatt selber die königin in Denemarck, seine tante,
gesehen den tag, alß sie gestorben ist. Viel leütte excussiren sich,
interessirt zu sein, undt in kurtzer zeit hernach fallen sie mitt der
thür zur stuben hinein; so habens Ewere leütte auch gemacht. Mein
gott, wie endert alles in Teütschlandt, daß man nun cammer-medger
cammern-jungfern heist! Wen man in jetzigen zeitten trewe leütte
findt, solle man sie woll estimiren, den sie seindt rar. Ich wuste
nicht, daß der graff von Waldeck zum fürsten gemacht ist worden;
wie er hir war, hieß man ihn nur graff. Er ist unßer[e]s
pfaltzgraffen von Birckenfelt schwager, hatt die jüngste pfaltzgreffin
geheüraht. Printzes Carolline hatt zwey wunderliche kranckheitten
nach einander gehabt, daß scharlach-fieber undt hernach daß
hirsch-fieber. Vorher hatte ich mein tag nichts davon gehört; sie ist aber,
gott lob, außer aller gefahr. Ich bin froh, daß unßer printz von
Sultzbach nicht heßlich geworden ist. Wehret Ihr noch zu
Franckfort, würde ich Eüch bitten, ihm doch mein compliment zu machen;
er ist ein gutter bub, ich hab ihn lieb. Ich habe vorgestern brieff
von der printzes von Wallis bekommen, die sagt mir kein wordt
von Ewern englischen kindern. Were ihnen waß widerfahren,
würden I. L. es mir gleich geschrieben haben; alßo seydt in keinen
sorgen, liebe Louise! Waß Ihr da sagt, liebe Louise, ist woll war,
ich habe es gar offt remarquirt, daß offt, waß man ahm meisten forcht,
woll endet undt, waß man ahm meisten wünscht, übel außschlegt.
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Gott gebe Eüch, waß Ewer hertz begehert undt viel ruhe undt
vergnügen! Ach, liebe Louise, spart doch Ewere complimenten vor
jemandts anderst alß vor mich! Den Ihr wist ja gar woll, daß Ewere
liebe schreiben mir gar keine ungedult geben, sondern daß sie mir
gar lieb sein, ich sie mitt lust leße. Habe doch lachen müßen, daß
Ihr sagt, liebe Louise, daß landtgraff Max von Heßen seine
gemahlin schönne haar auff dem kopff hatt; wehren sie nicht auff
dem kopff, würdet Ihr sie gewiß nicht zu sehen bekommen haben.
Daß sie nach dem heüraht ernsthaffter geworden, wundert mich gar
nicht; der h. ehestandt hatt daß, er macht serieux, undt die
haußsorgen seindt warlich keine bagatellen. Hirmitt ist Ewer liebes
schreiben gar ordentlich beantwordtet, bleibt mir nichts mehr überig,
alß Eüch, liebe Louise, zu versichern, daß ich Eüch von hertzen
lieb behalte.