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Brief vom 25. Juni 1721

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1240.


[160]
St Clou den 25 Juni 1721 (N. 3).
Hertzallerliebe Louise, ich schreibe Eüch heütte, den morgen werde ich umb halb 8 in die kirch undt von dar in kutsch nach Paris zur großhertzogin undt von dar nach Chelle[s], mitt mein enckel, die abtißin von dem closter, zu mittag eßen; werde also morgen nicht schreiben können; den ich werde nur wider kommen, umb zu nacht [zu] eßen undt gleich drauff schlaffen gehen undt mich von meiner kleinen reiße außruhen. Ich habe mitt den zeittungen einen großen brieff bekommen von dem postmeister von Bern, er heist Fischer von Reichenbach; aber sein stiehl [ist] mir gantz frembt, ich finde wörtter drinen, so ich nicht verstehe, alß zum exempel: Wir unß erfrachen dörffen thutt die von I. K. M. general-post-verpachtern erst neüer dingen eingeführte francatur aller außwartigen brieffschafften unß zu verahnlaßen[1]. Daß ist ein doll geschreib in meinem sin, ich kans weder verstehen, noch begreiffen; daß kan mich recht ungedultig machen. Ist es möglich, liebe Louise, [161] daß unßere gutte, ehrliche Teütschen so alber geworden, ihre sprache gantz zu verderben, daß man sie nicht mehr verstehen kan? Da ist daß verfluchte Ostereichisch ahn schult, daß woll eine abscheüliche sprach ist. Zu Geissenheim, wo ich mein leben nicht geweßen, da wolte ich gern ahm Rhein spatziren, aber nicht zu Manheim, ich müste vor drawerigkeit bärsten; graust mir, wen ich nur dran gedencke. Den pfarer Siret habe ich nie gekandt. Ist er ein student zu meiner zeit geweßen, kan er freyllich nicht jung [sein]; den es ist leyder baldt 50 jahr, daß ich von hauß weg bin wieder meinen willen undt danck; den der ehestandt ist mir eben so wenig zugestanden, alß Eüch, liebe Louise, undt hette ich nicht gehorsam sein müßen, so were ich gewiß noch eben so wenig geheüraht, alß Ihr, liebe Louise! Ich bitte Eüch, danckt doch dem pfarher von Creützenach, daß er mich zu sehen wünscht, undt sagt, daß es mich allezeit freüet, zu hören, daß die gutte, ehrliche Pfältzer noch ahn mich gedencken undt affection erweißen! Wen ich daß höre, kommen mir gleich die threnen in den augen. In dießem augenblick erfrewet man mich mitt Ewer liebes schreiben vom 18, no 47. Daß werde ich aber vor biß sambstag sparen, wo mir gott daß leben verleyet, welches ich seyder 20 jahren allezeit in meinen brieffen setze. Den ich erinere mich, daß ich einen sambstag Monsieur s. ein schreiben von unßere[r] lieben churfürstin gab; er fragte mich: Quand faut il faire responce? Ich sagte: Demain, si vous voulles. Er sagte: Non, j’ay affaire demain, je ne saures escrire; mais jeudy sans fautte je vous donneres une lettre pour vostre tante. Denselben donnerstag umb 12 uhr war er todt. Es hatt nicht ahn dem hertzog, noch ahn der hertzogin von Simmern gelegen, daß ich Creützenach [nicht] gesehen, den sie hatten gar sehr gebetten, daß ich eine reiße dahin [machen] mögte. Aber I. G. der churfürst, unßer herr vatter, hatt es nicht erlauben wollen, sagte, es schickte sich nicht, daß eine junge ungeheürahte printzes, wie ich damahl wahre, ahn frembte hoffe reißen solte undt vissitten thun. Daß war die andtwort; aber ahn mir sagten I. G., die hertzogin von Simmern führe kein ordentlich leben genung, umb mich hin zu schicken; habe also Creützenach nicht zu sehen bekommen. Noch ein ort in der Pfaltz, so ich nicht gesehen, ist Op[p]enheim; aber ich glaube, ich habe es Eüch schon gesagt, [162] liebe Louise! Ich glaube, Ihr werdet nun baldt Ewern neveu undt niepce bey Eüch haben. Nicht zu gedencken ahn waß man verlohren hatt, daß ist ohnmöglich, wen man die örter wider sicht, wo man bey ihnen geweßen undt mitt ihnen umbgangen ist. Wie ich den hertzog von Simmern gesehen undt gekandt, war er schon lengst geheüraht ahn die printzes Mary[2] von Oranien, er war gar nicht zu heyraden. Ich hatte I. L. s. woll lieb vor einen vettern undt freündt, aber heürahten hette ich ihn wahrlich nicht gemögt; dazu hette er mir gar nicht gefahlen, er war klein undt gar heßlich. Es hette kein unglück vor die Pfaltz abgewendt, Louvois war gar zu verpicht drauff. Dazu so were ich jetzt schon gar lengst wittib, den es ist schon 43 jahr, daß dießer herr gestorben ist. Gott weiß, wo ich den hin kommen wehre. Wen unßer herrgott meine kinder erhelt, bin ich nun ruhig ahn einem schönnen ort; habe ich keine sonderliche freüde, so habe ich auch keine große schmertzen, noch sorgen, ergebe mich gott dem allmächtigen undt singe, wie in dem lutherischen morgenliedt stehet:
Gott will ich laßen rahten,
Der alle ding vermag;
Er segne meine thatten,
Mein vornehmen undt mein sach!
Ihm sey es heimb gestelt!
Mein leib, mein seel, mein leben,
Undt waß er mir hatt geben,
Stehet alles in seine händt[3].
Ich muß recht lachen über der mäner fraßen, meine gutte gesundtheit zu exprimiren. Daß mich die armen Parisser lieb haben, daß ist war; den wen ich durch die statt fahre, geben sie mir viel seegen[4]. Aber die leütte von hoff, insonderheit die damen, bey denen bin ich gar nicht in gnaden, contrarie, sie haßen mich, außer noch etliche, so ich vor dießem gekandt habe; aber deren seindt wenig. Hertzliebe Louise, meine worter brilliren, met verloff, met verloff, wie ein dreck in einer lanttern. Aber, hertzliebe Louise, ohne zu brilliren, so ist es kein wunder, daß, waß von mir kompt, Eüch gefelt; den wir seindt einander zu nahe, umb unß nicht lieb zu haben. Ewer ringelgen ist zu gering, umb daß die diebe [163] darnach streben solten. Ob man zwar überall nun von dieben hört, so ist doch wenig exempel, daß sie orter attaquiren, daß sie wißen, das bedinten sein, so gewaffnet sein, degen undt flinten haben. Gelt kan nicht erkanndt werden, aber woll silberne loffel, den da konnen wapen auff sein; also spiellen sie ahm sichersten. Man hette woll durch daß loch von der stuben auff die schelmen schießen konnen, sie verlamen[5] undt so erdappen können. Es ist kein wunder, daß die arme weiber vor schrecken kranck geworden; hetten sie aber mehr hertz gehabt, hetten sie die schelmen erdappen können. Die verstorbene printzes d’Espinois[6] war gar eine cour[a]geusse dame; ein dieb, der auch ein mörder war, kamme in ihr hauß, alß wen er ihr waß zu sagen hette, zog einen poignart herauß undt sagte, sie solte ihm gleich gelt geben oder er wolte sie umbbringen. Sie, nicht faull, springt ihm ahn den halß, nimbt seine cravatte undt zicht so geschwindt, daß der dieb ersticken solte, rufft zugleich ihren leütten, lest ihn fangen, in ihren stall führen, den poignart nehmen undt braff abprügeln. Er sagte: Tant de coup[s] qu’il vous plaira, mais sauves[7] moy la vie! Daß that man den; nachdem man ihm über die hundert schlag geben, ließ man ihn lauffen; er danckte noch dazu. Die diebe seindt zu sehr endenkt[8]. Ich glaube, daß Ihr, liebe Louise, Ewere niepce undt graff Degenfelt so baldt bey Eüch haben werdet, alß dießen bri[e]ff. Gott gebe Eüch taußendt vergnügen! Ihr werdet nie so viel trost undt freüden haben, alß ich Eüch von grundt der seelen wünsche. Waß mich glauben macht, daß sie baldt bey Eüch sein werden, ist, daß, wie ich Eüch schon letztmahl geschrieben, daß sie schon von I. L. der printzes von Wallis abschidt genohmen hatten undt den andern tag weg solten, nehmblich den 3ten tag hernach, also meinte ich, daß sie baldt in Hollandt sein werden undt also auch nicht hernach lang in ihrer reiß sein würden; drumb glaube ich noch, daß sie jetzt nicht weitt mehr von Eüch, liebe Louise, sein werden. Heütte ist es gar schön wetter, aber seyder 14 tagen haben wir abscheülich wetter gehabt, kalt undt regen. Heütte habe ich die trawer genohmen vor meinen vettern, landtgraff Philip von Philipsthal. Sein herr sohn hatt gestern abschidt von mir genohmen, hatt mir die threnen in den augen kommen machen, den er ist abscheülich [164] betrübt, jammert mich von hertzen; ist heütte nach hauß zu seiner fraw mutter. Es ist doch hofflich ahn die officir, daß sie den graff Degenfelt besuchen. Ich bin woll Ewerer meinung, daß es ein glück ist, wen leütte nicht sauffen konnen. Adieu, liebe Louise! Ich muß nach bett. Biß sambstag werde ich Eüch meine morgende reiße verzehlen, nun aber nur versichern, daß ich Eüch von hertzen lieb behalte.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 25. Juni 1721 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 6 (1881), S. 160–164
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d06b1240.html
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Tintenfass