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St Clou den 9 October 1721 (N. 32).
Hertzallerlieb[e] Louise, vergangenen montag bin ich mitt Ewer
liebes schreiben vom 23 September, no 69, erfrewet [worden], alß
ich eben in der kutsch war undt nach Madrit zu Chausseray[e] fuhr.
Ich bin froh, darauß zu sehen, daß meine zwey schreiben von no 22
undt no 23 nicht seindt verlohren, wie daß Ewere vom 3
September, so ich gar nicht bekommen. Ich will nichts mehr von meinem
fieber sagen, es war violent, ist aber baldt übergangen
[1], also nichts
mehr davon zu sagen. Meine natur ist gutt, aber, liebe Louise,
sie verschliest
[2] mitt dem alter, welches ich ohne schrecken sehe;
den der allmachtige gott, auff den ich all mein vertrawen setze,
hatt mir mein ziehl gesetzt, daß werde ich gewiß nicht
überschreitten. Ich thue, waß mein docktor mir zu meiner gesundtheit raht,
fühle aber doch woll, daß ich verschließe, wie es den im 70 jahr
nicht anderst sein kan. Meine gesundtheit ist doch, gott lob, nun
wieder ersetzt, außer meine knie, ahn welche ich noch schmertzen
leyde. Aber daß kompt nur von der abscheülichen fatiguen, so ich
vor 8 tagen zu Paris außgestanden, wie ich Eüch vergangenen
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sambstag verzehlt, liebe Louise! Kranckheitten undt mattigkeitten
seindt keine entschuldigung, umb ahn sein versprechen zu fehlen.
Es ist keine lust mehr, waß zu schicken; die krämmer haben nichts
neües mehr. Wie sie auff alles erschrecklich gewinen wollen undt
daß golt gar hoch ist, sie derowegen wenig verkauffen, wollen sie
nichts neües mehr machen, suchen nur, ihre alten schachteln zu
verkauffen; derowegen habe ich Eüch nichts artiges, noch neües
schicken können, liebe Louise! Es ist ein glück, daß di[e]ße schachtel
neü vor Eüch ist. Es ist rar, den der arme man, so mein
goltschmitt en charge war undt woll gearbeydt hatt, ist im ahnfang
dießes jahrs gestorben. Es war mir recht leydt, den es ein gutter,
ehrlicher, recht gewißenhaffter man geweßen. Er hieß Gailliard
[3],
seine fraw mahlt in mignature
[4] nicht übel, hatt mich gemahlt, ehe
sie geheüraht war, hieß mademoiselle Pigeon
[5]; wo mir recht, so
habt Ihr eines davon. Penel
[6], so jetzt mein mignatour-mahler ist,
mahlt beßer. In so bagattellen, wie ich Eüch schicke, ist nur die
neüigkeit der arheydt zu estimiren. Übers jahr, wo ich leben bleibe,
müßen wir suchen, daß dutzendt auß zu machen von den
schachteln, deren Ihr schon 10 habt. Spart Ewern beüttel, liebe Louise!
Es were mir leydt, Eüch ungelegenheit zu machen. Aber wen ich
Eüch die rechte warheit sagen solle, seindt mir die cartten, so
Ihr mir schickt, eben so ahngenehm, alß daß magnifiqste pressent
von silber, noch golt. Ja, liebe Louise, ich sage es Eüch recht
von grundt der seelen, es würde mir eine rechte freüde sein, wen
ich mitt Eüch eßen könte, auff gutt Teütsch eßen könte,
sawerkraudt, braunen köhl, grundeln, krebs
[7]. Ewer niepce undt ihr
dochtergen könten hir mitt mir eßen, aber graff Degenfelt [nicht],
den es ist mir nur von mansleütten erlaubt mitt mir zu eßen
prince[s] du sang, souverains undt cardinals, sonsten darff ich mitt
keinen mansmenschen eßen, nicht einmahl mitt den fürsten vom
hauß Lotteringen undt Savoye. Aber mitt allen damen von qualitet
kan ich eßen. Die meine jungfern geweßen, freüllen solte ich
sagen, umb nach itziger art zu reden, haben ein groß avantage. Wen
sie gleich mäner nehmen, so keine edelleütte sein, können sie doch
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allezeit mitt mir eßen, aber nicht in meine kutsche fahren, sie
heürahten den einen man von qualitet. Jedes landt hatt so seinen
brauch. Niemandts kan vor mir sitzen, alß printzessinen undt
duchessen; aber wen viel damen von qualitet komen, erlaub ich
ihnen, zu arbeytten, den dorffen sie sitzen
[8]. Hiemitt ist Ewer
letztes undt liebes schreiben vollig beantworttet. Ich kome jetzt
auff daß, so mir noch vom vergangenen sambstag übergeblieben ist.
Ich war geblieben, wo Ihr Eüch beschwert, [daß Ihr] meine zwey
brieffe von no 22 undt 23 nicht entpfangen habt, aber wie ich in
Ewerm letzten gesehen, daß sie endtlich ahnkommen, werde ich
weytter nichts davon sagen. Die post wirdt durch deß Torcy geitz
taglich verdrießlicher, fehlt ahn allen ortten. Monsieur Teray
trawet
[9], mir bey dem ersten regenwetter wider grünen safft zu
schlucken machen, weillen die gall wieder ahnfangt, sich sehr zu
rühren, welches woll gar kein wunder ist; den daß burgerliche
leben, so ich jetzt führe, ist gar meine sache nicht, habe große mühe
mich dran zu gewohnen
[10]. Dazu findt man noch hir undt dar
verdrießlichkeytten, so man einschlucken muß, undt daß mehrt die
gall, die mir endtlich ein mahl den garauß geben wirdt, wen es
gottes will sein wirdt. Vor alle Ewere gutte wünsche, liebe Louisse,
so Ihr mir in dießes Ewer liebes schreiben von 20 September,
no 68, thut, dancke ich Eüch von hertzen undt wünsche Eüch
hergegen alles, waß Ihr Eüch selber wünschen undt begehren möget.
Hertzliche Louise, hohe personnen seindt nichts, alß menschen, wie
alle andere, müßen also woll sterben. Die, so es ahngeht, seindt
betrübt, andern gibt es freüden, indifferenten spectacle undt
zeitvertreib. So geht es in der welt her, liebe Louise, ist allezeit so
geweßen undt wirdt allezeit so sein. So lustig man in der jugendt
geweßen, so macht daß alter undt die vielfaltige experientz serieux
undt nachdenckisch. Man kan nicht leben ohne sterben sehen undt
die zu verliehren, so man hertzlich liebt; daß benimbt alle lust
undt verleydt
[11] daß leben. Ihr kent
[12] die Frantzoßen nicht, wen
Ihr meint, daß sie eine boßheit, so sie ahngefangen, enden können,
undt außer ihr interesse lieben sie nichts. So lang waß zu hoffen
ist, ist es merveille; so baldt sie aber, dieße hoffnung, verlohren
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wirdt oder sie bekommen, waß sie wünschen, den hört alle
freündtschafft auff
[13]. In allen andern sachen würde ich graff Degenfelt
sehr beklagen, zu verliehren; ich habe eine solche abscheü all mein
leben gehabt vor die Sudsee undt Missisipi, daß ich niemandts
beklagen kan, so drinen verliehrt, den der geitz ist zu sehr marquirt,
kan ich niemandts beklagen. Aber nun ist es zeit, daß ich mich
ahnziehe. Dießen nachmittag werde ich außschreiben.
Donn[e]rstag, den 9 October, umb halb 4 nachmittags.
Es hatt eyß gefrohren undt ist eine grimigere kälte, alß wir
den gantzen vergangenen winter gehabt haben. Wen der winter so
zunimbt, werden wir alle erfrieren. Wie wir von taffel kammen,
meinte ich, gleich wieder zu schreiben können, allein ich fandt 2
verhindernüße. Die erste war die marquise de Béthune, die hatt
mir die fürstin Ragotzi
[14] hergeschickt, umb zu wißen, wie sie mich
sehen könte. Daß hatte ich ihr aber schon gestern geschrieben,
ich bin gantz gritlich, daß sie herkommen ist. Teütsche fürstinen
schicken sich hir gantz undt gar nicht undt daß wirdt mir eine
plage werden, den sie will, daß ich mich wegen der nahen
verwandtschafft viel umb sie bekümern solle, undt daß ist meine
intention gantz undt gar nicht; es ist gar eine zu dolle humel, ich
weiß abscheüliche historien von ihr. Man solle noch woll sehen,
daß sie hübsch geweßen ist, solle aber erschrecklich dick sein, viel
dicker, alß ich, undt ich bin dick genung. Aber da sehe ich
madame la princesse in den hoff fahren, daß wirdt mir wieder eine
lange pause zu wegen bringen. Da kompt sie herrein.
Donnerstag umb ein viertel auff 6 abendts.
Da fährt madame la princesse undt mademoiselle de Clermon[t]
wieder weg, ihre vissitte hatt 5 viertel-stundt gewehrt. Es ist eine
verfluchte sache mitt dem Missisipie undt billiet de bangue
[15], hatt
man[c]he leütte ruinirt. Die seindt nicht ahm meisten zu beklagen,
so nicht so viel gewunen haben, alß sie gemeint, sondern die seindt
zu beklagen, so alle daß ihrige verlohren haben. Monsieur Laws
ist nun incognito in Englandt unter einem andern nahmen. Er ist
auch, wie mir baron Goertz undt monsieur Harling schreiben, zu
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Hannover etliche tage geweßen, hatt erst seinen nahmen geendert;
aber wie viel leütte zu Hannover sein, so ihn hir zu Paris gesehen,
hatt er nicht unbekandt bleiben [können], undt wie er gesehen, daß
man ihn gekendt, hatt er sich auch nicht lenger verhehlt undt gleich
gestanden, daß er es ist. Er ist jetzt in Englandt, aber da helt
er sich noch gantz incognito. Waß weitter hirauß werden wirdt,
sal die tiedt
[16] lehr[e]n, hir aber gehen alle seine affairen sehr schlegt,
wie ich höre. Man sagt mirs nur en gros, den den detail will ich
mein leben nicht hören; erstlich so verstehe ich gantz undt gar
nicht undt zum andern so habe ich auch einen solchen abscheü vor
dieße sache, daß ich nichts davon horen kan
[17]. Aber ich habe
doch monsieur le Fevre gesagt, daß, wo ich in der sach von
Coubert nützlich sein könte, solte er mirs nur sagen, so wolte ich mein
bestes thun. Er hatt mir gesagt, daß, wen ich die sach ahn
monsieur Paris recomandiren wolte … Ob ich zwar ursach habe, nicht
content von Paris zu sein, so hab ich ihm doch sagen laßen, daß,
wofern er woll in dießer sachen thun wolte, würde ich alles
vergangene vergeßen
[18]. Er hatt versprochen, sein bestes zu thun. Gott
gebe es! Ahn mich wirdts nicht liegen. Ich weiß woll, daß
Samuel Bernard
[19] sehr polie ist, aber ich kene ihn nicht genung, umb
zu wißen, ob er traittable auff dießen text ist; den man zwingt
niemandts hir mitt gewalt. Samuel Bernard hatt meinen sohn dinst
geleyst, er wirdt ihn gewiß nicht propossiren, gelt zu verliehren;
daß wer
[20] auch nicht gerecht. Printz Carl von Philipsthal hatt mir
geschrieben, er wolle nicht von Franckforth, biß er Eüch würde
gesehen haben. Er kan Eüch viel von hir undt von mir verzehlen,
den wir sehen einander offt. Hiemitt ist Ewer liebes schreiben
vollig beantwortet. Ich schicke Eüch hirbey die copie von der
fürstin Ragotzi undt waß ich ihr geantwortet habe
[21]. Adieu, liebe
Louise! Ich ambrassire Eüch von hertzen undt behalte Eüch
allezeit von hertzen lieb.