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St Clou, mitwog, den 5 November 1721 (N. 38).
Hertzallerliebe Louise, ich habe noch ein gutte halbe stundt
hir zu sitzen, ohne nichts zu thun zu haben biß zum nacht-eßen,
kan es nicht beßer ahnwenden, alß Eüch zu entreteniren; den ich
pretendire, daß dießer brieff nicht kurtz werden solle, in dem ich
auff alles hoffe zu andtwortten, den ich habe 2 von Ewern lieben
schreiben zu beantworten, fange bey dem ersten ahn vom 18
October, no 76. Ich war vergangenen sambstag geblieben … Ich
glaub, daß gar offt cittronen-pulver kan nicht gesundt vor den
magen sein. Daß hatt vielleicht die dame, so es gebraucht, ihr leben
verkürtzt. Die fürstin Ragotzi wirdt morgen herkommen undt mitt
mir zu mittag eßen. Aber da kompt mein abendt-eßen
ahngestochen, ich werde ihm kein große ehre ahnthun, den ich habe gar
kein hunger.
Donnerstag, den 6 November 1721, umb ein viertel auff 7 morgendts.
Ich bin gestern gar frühe schlaffen gangen, habe 9 uhr in bett
gezehlt undt bin gleich drauff entschlaffen, umb halb 5 erst wacker
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worden, hab geschelt, feüer machen laßen, die cammer zu recht
stellen. Unterdeßen habe ich mein morgen-gebett vericht, nach
halb 6 bin ich auffgestanden, habe mich ahngezogen, ein par gutte
strümpff von castor
[1] ahngethan, einen tugendten
[2] unterrock undt
über dieß alles einen langen, gutten, wattenen nachts-rock, welchen
ich mitt einen großen, breytten gürttel fest mache. Wie daß
gesche[he]n, laß ich zwey lichter ahnzünden undt setze mich ahn meine
taffel. Da wist Ihr nun, liebe Louise, meine morgendts-arbeydt wie
ich selber. Ich schreibe biß halb 11, den laß ich mein
hönigwaßer
[3] bringen, wasche mich so sauber, alß ich kan, reibe mein
schme[r]tzhaffte knie undt schenckel mitt eau vulneraire, so mir
mein docktor gerahten, schel hernach, laß alle meine cammer-weiber
kommen, setze mich a ma toillette, wo alle leütte, mans- undt
weibs-personnen herrein kommen, unterdeßen daß man mich kämbt undt
coeffirt. Wen ich coeffirt bin, gehen alle mansleütte außer meine
docktor undt balbirer undt apotecker hinauß, ziehe schu, strümff
undt calson
[4] ahn, wasche die handt. In der zeit kommen meine
damen, mich zu bedinnen, geben mir die handt zu waschen undt
daß hembt, alß den geht alles docktor-geschir fort undt kompt mein
schneyder herrein mitt meinem kleydt; daß ziehe ich gleich ahn,
so baldt ich mein hembt ahngethan. Wen ich wider geschnürt bin,
kommen alle mansleütte wider herrein; den mein manteau ist so
gemacht, daß, wen ich geschnürt bin, so [bin ich] gantz fertig, den
alle meine unterröck seindt mitt nesteln ahn mein leibstück
gebunden undt le manteau ist auff mein leibstück genehet, daß findt
ich sehr gemachlich. Nach dem ich gantz ahngezogen, welches
ordinarie umb 3 vi[e]rtel auff 12 ist, gehe ich in die capel. Die meß
wehrt auffs lengst anderthalb viertelstundt, gleich, hernach kompt
junker Wend alß erster haußhoffmeister undt rufft mich zur taffel;
unßer eßen wehrt eine gutte stundt. Alle montag, mittwog undt
sambstag fahr ich umb halb 2 zu Chausseray[e] nach Madrit; hab
ich aber zu Paris zu thun, fahr ich mitwogs oder sambstag hin in
Carmelitten, wo wir die meß horen, fahren hernach zum könig, von
dar au Palais-Royal zu madame la duchesse d’Orléans, wo ordinarie
mein sohn auch hin kompt, gehe hernach mitt allen seinen kindern
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undt meinen damen ahn taffel. Mein sohn speist gar selten zu
mittag; den er kan nicht mitt seinem kopff arbeytten, wen er geßen
undt gedruncken hatt. Nach dem gegen 3 fahr ich auß, thue meine
vissitten zu den printzessinen du sang oder zu unßerer hertzogin
von Hannover, hernach fahr ich wider ins Palais-Royal. Mittwogs
gehe ich in die frantzösche undt sambstag in die ittall[i]ensche
comedie; wen die zu endt, gehe ich wider in kutsch undt fahr wider
her undt den zu bett, sagt jene braut. Donnerstags undt sontags,
ehe man in kirch geht, fahre ich im gartten spatzir[en] in dießer
zeit undt im sommer nach der kirch. Freytag undt dinstag gehe
ich gar nicht auß, habe die zwey tage zu viel in Englandt undt
Lotteringen zu schreiben. Sontag, mittwog undt sambstag leße ich
morgendts in der Bibel. Da wist Ihr nun, liebe Louise, unßer
gantzes leben, alß wen Ihr hir bey unß wehret. Aber hiemitt
genung vom hießigen leben geplauttert. Ich war gestern abendts auff
die fürstin Ragotzi geblieben; ihre vissitte wirdt mir gar eine
mittelmäßige freüde sein, wie unßer kleiner Paul alß pflegt zu sagen.
Ich habe noch etwaß schlimmers dießen nachmittag, nehmblich die
erste vissitte particulliere vom duc d’Ossone
[5], der spanische
gesante; daß gibt ein langweilliges weßen. Aber dießes zeügs hatt
man hir mehr, alß große lust, liebe Louise! Aber waß will man
thun? Die welt ist so beschaffen, ein jedes hatt seine qual. Die
fürstin von Siegen hatt sich in Franckreich gantz verdorben. Wie
sie herkamme, lobte jederman ihre modestie, aber sie begab sich
in schlimme geselschafft, ins spiellen, ins bal-lauffen. Daß hatt sie,
wie viel andere, gantz verdorben undt in daß leichtfertig, gantz
unverschämbte leben gebracht, wo, wie ich hore, sie noch in steckt.
Wie ist es meinem vettern, dem landtgraffen von Cassel, in seinen
alten tagen ahnkommen, so gallandt zu werden? In seiner jugendt
hatt man nichts davon gehört. Wie die fürstin von Siegen lebt,
gewindt keine christliche religion nichts bey ihr; den ich glaube,
daß sie gantz ohne glauben ist. Hir sagt man, daß der landtgraff
eine mariage de cons[c]ience gethan hette undt ein freüllen von
Bernholt von geschlegt [geheirathet]. Es muß nur sein, umb ihn
zu wermen, wie der könig David gethan
[6]; den ich kan nicht
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glauben, daß, wen ein man über 66 jahr ist, daß er gar pressirt ist
undt den ehe-standt so hoch nöhtig hatt. Es solle gar eine schonne
dame sein. Alter hilfft nicht vor thorheit, wie daß alte teütsche
sprichwordt sagt undt die probe hir gar clar ist, wo anderst war
ist, waß man sagt. Man sagt auch hir, daß Churmaintz
[7] auff den
todt ligt. Zorn undt betrübtnuß seindt sehr ungesundt, daß mögte
ihm woll seine niepce kosten. Monsieur le Fevre hatt verstandt
undt verstehet alle affairen auff ein endt. Aber ich kan gar nichts
drin begreiffen, mein alter hirn-kasten ist zu thum dazu, ich kan
nichts mehr lernen; aber wen es nur ahn dem ligt, dem Paris seine
impertinentzen zu vergeben, damitt er woll vor Ewere kinder
arbeydt
[8], so wirdt alles woll gehen. Monsieur le Fevre hatt mich
vergangen montag woll von hertzen lachen machen. Er ist
sterbens-verliebt von der besten dantzerin von gantzen opera,
mademoiselle Preveau
[9]; er muß aber seine liebe gar heimblich halten,
den er hatt gar einen gefährlichen rival, den commande[u]r de
Mesme[s], ambassadeur hir vom maltaischen
[10] orden undt deß
premier pressident von Paris bruder. Vergangen montag kame die
kleine Preveau morgendts herein; monsieur le Fevre war eben in
meiner cammer, wurde so descontenancirt, dieß medgen zu sehen,
daß er wie scheel undt stum davon wahrt
[11]. Pere Enselm
[12] undt
ich lachten woll von hertzen drüber; es war eine scene muette,
wie in den ittallienschen commedien, aber sehr possirlich. Daß
hexenmedgen, so viel verstandt hatt undt schlau wie der teüffel
ist, merckte den poßen gleich undt lachte auch von hertzen,
monsieur le Fevre aber war serieusser, alß ich ihn mein leben
gesehen. So serieusse lieben machen mich allezeit lachen. Ich
habe Ewer schreiben, so Ihr mir, liebe Louise, vor den intententen
vom Elsaß geschickt, durch einen valet de pied zu ihm [geschickt],
ob ich sonsten zwar wenig commers mitt ihm habe, wie ich glaube,
daß ich Eüch schon geschrieben habe, warumb ich ihm nicht habe
schreiben können mitt Ewerm paquet
[13]. Der gutte intendent ist
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ahn der ersten lügen nicht erstickt, fürchte also, daß, waß er Eüch
auch hatt versprechen mögen, liebe Louise, so förchte ich, daß er
wenig halten wirdt
[14]. Daß Ihr mir aber deßwegen geschrieben,
verdriest mich gar nicht; Ihr seydt nicht obligirt, alles zu wißen,
waß hir vorgeht. Hiemitt ist Ewer erstes schreiben völlig
beantwordtet. Ich komme auff jetzt
[15] Ewer liebes schreiben vom 21
October, no 77. Der cardinal du Bois versichert sehr, daß hinfüro die
posten beßer gehen werden. Gott gebe, [daß] es [beßer] gehn mag!
so wirdt man Eüch nicht mehr 2 von meinen schreiben auff ein
mahl geben, oder die posten fehlen machen. Gott gebe es! aber
biß ich vollig sehen werde, wirdt mein glaub schwach sein.
Hiemitt ist Ewer erstes schreiben vollig beantwortet. Ich komme jetz[t]
auff daß von 21 October, no 77; aber ich glaub, ich bin nicht
gescheydt, den ich repetire, waß ich schon gesagt habe. Die ursach
ist, daß viel leütte in meiner cammer sein; es spricht ein[e]r hir, daß
ander da, das macht mir den kopff so doll, daß ich nicht mehr
weiß, waß ich sage. Baldt wirdt der duc d’Ossone ahnkommen, da
werde ich noch woll eine größer[e] pausse machen müßen. Die
printzes Ragotzy ist nicht kommen, daß fieber hatt sie auff ein mahl gar
starck mitt frost ahngestoßen undt hernach eine solche hitz, daß
man gemeint, daß sie sterben würde; ist doch wider beßer. Sie
hatt mir ihren beichts-vatter geschickt, einen man, so 33 jahr alt
sein solle, aber er scheindt nicht mehr, alß 22, alt; so einen
beichtsvatter mogte ich wahrlich nicht haben. Aber da sehe ich eine
kutsch von 6 pferden, es ist der duc d’Ossone, ich muß meine
pausse machen.
Donnerstag umb 5 abendts.
Nachdem der duc d’Ossone wieder weg ist, hatt man in die
kirch geleütt, da komme ich eben jetzt her. Von meinen grünen
safft werde ich nichts mehr sagen, den ich habe Eüch schon lengst
einen volligen bericht davon ertheilt. Man hatt offt gespürt, nicht
allein in kranckheitten, sondern in allerhandt begebenheitten, daß,
waß wir menschen offt thun, ein unglück zu verhütten, daß macht
es geschehen. Daß erweist woll, daß der menschen vorsorg wenig
hilfft; jedoch so ist unßer schuldigkeit, alles zu thun, waß wir vor
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unß wißen undt ersinen können zu unßerm besten. Es ist nicht
vor mein alter, noch zu erschrecken, man hette zu viel zu thun;
den daß wirdt alle tag undt jahr ärger. Aber, liebe Louise, gott
bewahre mich, noch 20 jahr noch zu leben! Daß ist woll ein
übeller wunsch, man muß zu viel leyden undt kan kindisch werden,
welches ich vor die abscheülichste sach von der welt halte. Ich
hatte gehofft, dießes Ewer liebes schreiben völlig zu beandtwortten,
allein es ist mir ohnmöglich; den unßere brautt
[16] mitt ihren zwey
schwestern … Sie hatt schon eine von den spanischen trachten
ahn, stehet ihr woll. Aber daß hatt mir alle meine zeit benohmen,
ich muß geschwindt schließen. Adieu den, liebe Louise! Ich
ambrassire Eüch undt behalte Eüch von hertzen lieb.