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Brief vom 5. November 1721

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1276.


[261]
St Clou, mitwog, den 5 November 1721 (N. 38).
Hertzallerliebe Louise, ich habe noch ein gutte halbe stundt hir zu sitzen, ohne nichts zu thun zu haben biß zum nacht-eßen, kan es nicht beßer ahnwenden, alß Eüch zu entreteniren; den ich pretendire, daß dießer brieff nicht kurtz werden solle, in dem ich auff alles hoffe zu andtwortten, den ich habe 2 von Ewern lieben schreiben zu beantworten, fange bey dem ersten ahn vom 18 October, no 76. Ich war vergangenen sambstag geblieben … Ich glaub, daß gar offt cittronen-pulver kan nicht gesundt vor den magen sein. Daß hatt vielleicht die dame, so es gebraucht, ihr leben verkürtzt. Die fürstin Ragotzi wirdt morgen herkommen undt mitt mir zu mittag eßen. Aber da kompt mein abendt-eßen ahngestochen, ich werde ihm kein große ehre ahnthun, den ich habe gar kein hunger.
Donnerstag, den 6 November 1721, umb ein viertel auff 7 morgendts.
Ich bin gestern gar frühe schlaffen gangen, habe 9 uhr in bett gezehlt undt bin gleich drauff entschlaffen, umb halb 5 erst wacker [262] worden, hab geschelt, feüer machen laßen, die cammer zu recht stellen. Unterdeßen habe ich mein morgen-gebett vericht, nach halb 6 bin ich auffgestanden, habe mich ahngezogen, ein par gutte strümpff von castor[1] ahngethan, einen tugendten[2] unterrock undt über dieß alles einen langen, gutten, wattenen nachts-rock, welchen ich mitt einen großen, breytten gürttel fest mache. Wie daß gesche[he]n, laß ich zwey lichter ahnzünden undt setze mich ahn meine taffel. Da wist Ihr nun, liebe Louise, meine morgendts-arbeydt wie ich selber. Ich schreibe biß halb 11, den laß ich mein hönigwaßer[3] bringen, wasche mich so sauber, alß ich kan, reibe mein schme[r]tzhaffte knie undt schenckel mitt eau vulneraire, so mir mein docktor gerahten, schel hernach, laß alle meine cammer-weiber kommen, setze mich a ma toillette, wo alle leütte, mans- undt weibs-personnen herrein kommen, unterdeßen daß man mich kämbt undt coeffirt. Wen ich coeffirt bin, gehen alle mansleütte außer meine docktor undt balbirer undt apotecker hinauß, ziehe schu, strümff undt calson[4] ahn, wasche die handt. In der zeit kommen meine damen, mich zu bedinnen, geben mir die handt zu waschen undt daß hembt, alß den geht alles docktor-geschir fort undt kompt mein schneyder herrein mitt meinem kleydt; daß ziehe ich gleich ahn, so baldt ich mein hembt ahngethan. Wen ich wider geschnürt bin, kommen alle mansleütte wider herrein; den mein manteau ist so gemacht, daß, wen ich geschnürt bin, so [bin ich] gantz fertig, den alle meine unterröck seindt mitt nesteln ahn mein leibstück gebunden undt le manteau ist auff mein leibstück genehet, daß findt ich sehr gemachlich. Nach dem ich gantz ahngezogen, welches ordinarie umb 3 vi[e]rtel auff 12 ist, gehe ich in die capel. Die meß wehrt auffs lengst anderthalb viertelstundt, gleich, hernach kompt junker Wend alß erster haußhoffmeister undt rufft mich zur taffel; unßer eßen wehrt eine gutte stundt. Alle montag, mittwog undt sambstag fahr ich umb halb 2 zu Chausseray[e] nach Madrit; hab ich aber zu Paris zu thun, fahr ich mitwogs oder sambstag hin in Carmelitten, wo wir die meß horen, fahren hernach zum könig, von dar au Palais-Royal zu madame la duchesse d’Orléans, wo ordinarie mein sohn auch hin kompt, gehe hernach mitt allen seinen kindern [263] undt meinen damen ahn taffel. Mein sohn speist gar selten zu mittag; den er kan nicht mitt seinem kopff arbeytten, wen er geßen undt gedruncken hatt. Nach dem gegen 3 fahr ich auß, thue meine vissitten zu den printzessinen du sang oder zu unßerer hertzogin von Hannover, hernach fahr ich wider ins Palais-Royal. Mittwogs gehe ich in die frantzösche undt sambstag in die ittall[i]ensche comedie; wen die zu endt, gehe ich wider in kutsch undt fahr wider her undt den zu bett, sagt jene braut. Donnerstags undt sontags, ehe man in kirch geht, fahre ich im gartten spatzir[en] in dießer zeit undt im sommer nach der kirch. Freytag undt dinstag gehe ich gar nicht auß, habe die zwey tage zu viel in Englandt undt Lotteringen zu schreiben. Sontag, mittwog undt sambstag leße ich morgendts in der Bibel. Da wist Ihr nun, liebe Louise, unßer gantzes leben, alß wen Ihr hir bey unß wehret. Aber hiemitt genung vom hießigen leben geplauttert. Ich war gestern abendts auff die fürstin Ragotzi geblieben; ihre vissitte wirdt mir gar eine mittelmäßige freüde sein, wie unßer kleiner Paul alß pflegt zu sagen. Ich habe noch etwaß schlimmers dießen nachmittag, nehmblich die erste vissitte particulliere vom duc d’Ossone[5], der spanische gesante; daß gibt ein langweilliges weßen. Aber dießes zeügs hatt man hir mehr, alß große lust, liebe Louise! Aber waß will man thun? Die welt ist so beschaffen, ein jedes hatt seine qual. Die fürstin von Siegen hatt sich in Franckreich gantz verdorben. Wie sie herkamme, lobte jederman ihre modestie, aber sie begab sich in schlimme geselschafft, ins spiellen, ins bal-lauffen. Daß hatt sie, wie viel andere, gantz verdorben undt in daß leichtfertig, gantz unverschämbte leben gebracht, wo, wie ich hore, sie noch in steckt. Wie ist es meinem vettern, dem landtgraffen von Cassel, in seinen alten tagen ahnkommen, so gallandt zu werden? In seiner jugendt hatt man nichts davon gehört. Wie die fürstin von Siegen lebt, gewindt keine christliche religion nichts bey ihr; den ich glaube, daß sie gantz ohne glauben ist. Hir sagt man, daß der landtgraff eine mariage de cons[c]ience gethan hette undt ein freüllen von Bernholt von geschlegt [geheirathet]. Es muß nur sein, umb ihn zu wermen, wie der könig David gethan[6]; den ich kan nicht [264] glauben, daß, wen ein man über 66 jahr ist, daß er gar pressirt ist undt den ehe-standt so hoch nöhtig hatt. Es solle gar eine schonne dame sein. Alter hilfft nicht vor thorheit, wie daß alte teütsche sprichwordt sagt undt die probe hir gar clar ist, wo anderst war ist, waß man sagt. Man sagt auch hir, daß Churmaintz[7] auff den todt ligt. Zorn undt betrübtnuß seindt sehr ungesundt, daß mögte ihm woll seine niepce kosten. Monsieur le Fevre hatt verstandt undt verstehet alle affairen auff ein endt. Aber ich kan gar nichts drin begreiffen, mein alter hirn-kasten ist zu thum dazu, ich kan nichts mehr lernen; aber wen es nur ahn dem ligt, dem Paris seine impertinentzen zu vergeben, damitt er woll vor Ewere kinder arbeydt[8], so wirdt alles woll gehen. Monsieur le Fevre hatt mich vergangen montag woll von hertzen lachen machen. Er ist sterbens-verliebt von der besten dantzerin von gantzen opera, mademoiselle Preveau[9]; er muß aber seine liebe gar heimblich halten, den er hatt gar einen gefährlichen rival, den commande[u]r de Mesme[s], ambassadeur hir vom maltaischen[10] orden undt deß premier pressident von Paris bruder. Vergangen montag kame die kleine Preveau morgendts herein; monsieur le Fevre war eben in meiner cammer, wurde so descontenancirt, dieß medgen zu sehen, daß er wie scheel undt stum davon wahrt[11]. Pere Enselm[12] undt ich lachten woll von hertzen drüber; es war eine scene muette, wie in den ittallienschen commedien, aber sehr possirlich. Daß hexenmedgen, so viel verstandt hatt undt schlau wie der teüffel ist, merckte den poßen gleich undt lachte auch von hertzen, monsieur le Fevre aber war serieusser, alß ich ihn mein leben gesehen. So serieusse lieben machen mich allezeit lachen. Ich habe Ewer schreiben, so Ihr mir, liebe Louise, vor den intententen vom Elsaß geschickt, durch einen valet de pied zu ihm [geschickt], ob ich sonsten zwar wenig commers mitt ihm habe, wie ich glaube, daß ich Eüch schon geschrieben habe, warumb ich ihm nicht habe schreiben können mitt Ewerm paquet[13]. Der gutte intendent ist [265] ahn der ersten lügen nicht erstickt, fürchte also, daß, waß er Eüch auch hatt versprechen mögen, liebe Louise, so förchte ich, daß er wenig halten wirdt[14]. Daß Ihr mir aber deßwegen geschrieben, verdriest mich gar nicht; Ihr seydt nicht obligirt, alles zu wißen, waß hir vorgeht. Hiemitt ist Ewer erstes schreiben völlig beantwordtet. Ich komme auff jetzt[15] Ewer liebes schreiben vom 21 October, no 77. Der cardinal du Bois versichert sehr, daß hinfüro die posten beßer gehen werden. Gott gebe, [daß] es [beßer] gehn mag! so wirdt man Eüch nicht mehr 2 von meinen schreiben auff ein mahl geben, oder die posten fehlen machen. Gott gebe es! aber biß ich vollig sehen werde, wirdt mein glaub schwach sein. Hiemitt ist Ewer erstes schreiben vollig beantwortet. Ich komme jetz[t] auff daß von 21 October, no 77; aber ich glaub, ich bin nicht gescheydt, den ich repetire, waß ich schon gesagt habe. Die ursach ist, daß viel leütte in meiner cammer sein; es spricht ein[e]r hir, daß ander da, das macht mir den kopff so doll, daß ich nicht mehr weiß, waß ich sage. Baldt wirdt der duc d’Ossone ahnkommen, da werde ich noch woll eine größer[e] pausse machen müßen. Die printzes Ragotzy ist nicht kommen, daß fieber hatt sie auff ein mahl gar starck mitt frost ahngestoßen undt hernach eine solche hitz, daß man gemeint, daß sie sterben würde; ist doch wider beßer. Sie hatt mir ihren beichts-vatter geschickt, einen man, so 33 jahr alt sein solle, aber er scheindt nicht mehr, alß 22, alt; so einen beichtsvatter mogte ich wahrlich nicht haben. Aber da sehe ich eine kutsch von 6 pferden, es ist der duc d’Ossone, ich muß meine pausse machen.
Donnerstag umb 5 abendts.
Nachdem der duc d’Ossone wieder weg ist, hatt man in die kirch geleütt, da komme ich eben jetzt her. Von meinen grünen safft werde ich nichts mehr sagen, den ich habe Eüch schon lengst einen volligen bericht davon ertheilt. Man hatt offt gespürt, nicht allein in kranckheitten, sondern in allerhandt begebenheitten, daß, waß wir menschen offt thun, ein unglück zu verhütten, daß macht es geschehen. Daß erweist woll, daß der menschen vorsorg wenig hilfft; jedoch so ist unßer schuldigkeit, alles zu thun, waß wir vor [266] unß wißen undt ersinen können zu unßerm besten. Es ist nicht vor mein alter, noch zu erschrecken, man hette zu viel zu thun; den daß wirdt alle tag undt jahr ärger. Aber, liebe Louise, gott bewahre mich, noch 20 jahr noch zu leben! Daß ist woll ein übeller wunsch, man muß zu viel leyden undt kan kindisch werden, welches ich vor die abscheülichste sach von der welt halte. Ich hatte gehofft, dießes Ewer liebes schreiben völlig zu beandtwortten, allein es ist mir ohnmöglich; den unßere brautt[16] mitt ihren zwey schwestern … Sie hatt schon eine von den spanischen trachten ahn, stehet ihr woll. Aber daß hatt mir alle meine zeit benohmen, ich muß geschwindt schließen. Adieu den, liebe Louise! Ich ambrassire Eüch undt behalte Eüch von hertzen lieb.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 5. November 1721 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 6 (1881), S. 261–266
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d06b1276.html
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Tintenfass